Zunächst möchte das Team von MENA Research Center allen Leserinnen und Lesern ein friedvolles, gesundes und glückliches neues Jahr wünschen! Wir hoffen, dass unsere neuen Features und Inhalte, die wir im Laufe der nächsten Woche vorstellen werden, den zahlreichen Lesern gefallen werden. Euer Feedback, Kommentare bedeuten uns viel und wir freuen uns jetzt schon auf einen regen Austausch.
Das vergangene Jahr war sicherlich kein gutes Jahr! Die Corona-Pandemie forderte weltweit weitere Menschenleben, die brutale Invasion Russlands in der Ukraine bedeutete nicht nur Leid und Tod vieler Menschen, sie war auch verantwortlich für eine Wirtschafts- und Finanzkrise, deren Konsequenzen noch gar nicht absehbar sind. Die Fußball-WM in Katar wurde erwartbar zu einem Politikum, welches sich nicht nur gegen die inhumane Politik der dortigen Herrscherfamilie richtete, sondern ebenso einmal mehr deutlich machte, wie korrupt die FIFA und deren Präsident Gianni Infantino wirklich ist.
Es soll nun kein Jahresrückblick 2022 erfolgen. Vielmehr wollen wir den Blick in die Glaskugel versuchen, welche Herausforderungen es für unsere Themengebiete in diesem Jahr geben wird, auf welche Aspekte auch wir einen genaueren Blick haben werden.
Schwerpunkte können nicht bereits heute definiert werden. Die Lage in Israel mit einer neuen Regierung, an der auch Extremisten beteiligt sind, wird mit Sorge beobachtet werden. Die Geopolitik verändert sich ständig, besonders nach einem „annus horribilis“ 2022.
Daher schauen wir zunächst auf unser heimatliches Krisengebiet, der EU, sowie auf Erdogans Schicksalsjahr in der Türkei.
Europäische Union:
Katargate
Der Skandal um Bestechung un Korruption, mittlerweile besser bekannt als „Katargate“, wird sich auch in diesem Jahr fortsetzen. Die Staatsanwaltschaft in Brüssel hat auch während der Feiertage weiterhin fleissig daran gearbeitet, weitere Hintergründe und beteiligte Personen aufzudecken.
Mittlerweile scheint immer deutlicher zu werden, dass die Anzahl an involvierten Politikern immer größer wird und nicht nur Katar bei der Bestechung europäischer Mandatsträger eine tragende Rolle spielte, sondern auch das Königreich Marokko. Ebenso fällt immer wieder der Name eines südafrikanischen Oligarchen, der anscheinend auch in diesem miesen Spiel auf EU-Ebene involviert war.
Bislang gibt es keine Hinweise, dass Korruption und Bestechung zugunsten Katars auch in anderen EU-Institutionen Teil der politischen Meinungsbildung wurde, die verantwortliche Staatsanwaltschaft überprüft aber bereits die EU-Kommission. Es ist davon auszugehen, dass auch andere NGOs genauer unter die Lupe genommen werden.
Eine Konsequenz aus dem Skandal wird sicherlich sein, dass das EU-Parlament und deren Abgeordnete in Zukunft ihre Gesprächspartner und -organisationen aus dem Bereich der „Advocacy“ vor Treffen und Veranstaltungen genauer durchleuchten werden, das Lobbying-Register des Parlaments wurde hier bereits angepasst.
Migration und Fluchtbewegungen
Alle aktuellen Daten aus den verantwortlichen Behörden der EU-Mitgliedstaaten gehen davon aus, dass 2023 mit stark steigenden Migrationsbewegungen in die EU zu rechnen ist. Darauf muss die EU reagieren. Dabei geht es nicht allein um die wachsende Anzahl von Flüchtlingen aus der MENA-Region, aus Afghanistan oder Irak, dem afrikanischen Kontinent. Vielmehr wächst bei den Verantwortlichen in den EU-Institutionen die Befürchtung, dass es zu einer Herausforderung für die Anstrengungen einer weiteren Vertiefung des europäischen Gedankens kommen könnte, mehr Regierungen in den Mitgliedsländern einen europakritischen Kurs fahren, internationale Rechtsnormen bei Menschenrechten in Frage gestellt werden.
Es sollte zumindest einem Großteil der Verantwortlichen in EU und den Mitgliedsländern endlich klar sein, dass es nur eine gemeinsame europäische Lösung geben kann, die sich an den internationalen Rechtsnormen orientiert und die andauernde Abschottung Europas nicht zielführend sein kann.
Wirtschaft und Energie
Die Invasion Russlands in der Ukraine hat vielen Ländern der EU deutlich gemacht, wie gefährlich es sein kann, in die Abhängigkeit eines despotischen Regimes zu gelangen. Gleichzeitig zwingt uns allen der aufkommende Klima-Kollaps, endlich umzudenken. Der europäische Wohlstand der letzten 50 Jahre lässt sich nicht konservieren, ohne dass wir alle einen Preis bezahlen müssen, der mutmaßlich in die Katastrophe führen wird. Viele Experten sprechen nun davon, dass die EU-Staaten, allen voran Deutschland, von einer Abhängigkeit in die nächste rutschen könnte: Der Flüssiggas-Deal mit Katar beschert zwar Europa einen neuen Schub an Ressourcen, allerdings ist der Vertrag über mehrere Jahre auf Drängen der Kataris gültig. Einen ersten Vorgeschmack auf eine mögliche Abhängigkeit zeigte sich bereits kurz nach der Fußball-WM im Wüstenstaat: Der Emir von Katar verbat sich weitere Kritik an seinem Emirat von der deutschen Bundesregierung, bei weiteren kritischen Worten könne der Gas-Vertrag einseitig aufgekündigt werden.
Es bleibt abzuwarten, wie die Europäische Union in den kommenden Monaten ihr politisches Handeln anpassen wird an die neuen Gegebenheiten. Besonders die politischen Konsequenzen aus Katargate werden zeigen, ob die EU und ihre Mitgliedstaaten ein Konzept findet für das Dilemma Werteordnung versus Wirtschaftsinteressen.
Türkei:
Die in diesem Jahr anstehenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in der Türkei haben bereits im vergangenen Jahr zu Verwerfungen geführt, innen- wie außenpolitisch. Erdogans Macht scheint aktuell zu wanken, was ihn dazu führen könnte, noch aggressiver gegen Kritiker und mögliche Konkurrenten in seiner Heimat vorzugehen. Einen Vorgeschmack bekam bereits der wohl größte Konkurrent des Sultans, der Bürgermeister von Istanbul: Mit einem fingierten Gerichtsprozess soll er mundtot gemacht und seine Teilnahme an den Wahlen verhindert werden.
Der Druck auf Erdogan wächst zusehends: Die Wirtschaft und die Inflation zwingt immer mehr Bürger in die Knie, die syrischen Flüchtlinge werden zu einer Gefahr für die Stabilität des Landes hochstilisiert. Ähnlich wie andere Autokraten versucht nun Erdogan, die Flucht nach vorn anzutreten. Er verkündet eine neue militärische Aggression in Nordsyrien, schränkt daheim mittels Gesetzen die Presse- und Meinungsfreiheit weiter ein, will weiterhin ein Gesprächspartner für den Diktator in Moskau sein und erpresst Europa mit möglichen neuen Fluchtwellen.
Aber nicht nur Migranten aus Krisengebieten, die bislang in der Türkei Schutz fanden, droht der Exodus: EU-Staaten verzeichnen in den vergangenen Wochen eine erhöhte Anzahl an türkischen Bürgern, die aus dem Land flüchten und Schutz in der EU suchen. Die Innenministerien im Westen befürchten, dass diese Zahl 2023 noch stark ansteigen könnte.
Vor den Wahlen in der Türkei ist davon auszugehen, dass Erdogan und seine AKP auch im Ausland Wahlkampagnen starten, die darauf gerichtet sind, in Westeuropa lebende Türken zu indoktrinieren, sie gegen die Gesellschaften, in denen sie leben, aufzuwiegeln. Auch werden türkische Dachorganisationen in Ländern wie Deutschland, Österreich, Frankreich, Belgien und Skandinavien alles daran setzen, kritische Stimmen innerhalb der türkischen Communities mundtot zu machen. Erdogan treibt also wieder einmal seine Kritiker vor sich her, zu Hause sowie im Ausland.
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