Am 14. Mai werden in der Türkei ein neues Parlament und Staatsoberhaupt gewählt. Die jüngsten Umfragen zeigen, dass Präsident Erdogan und seine religiös-fundamentalistische Regierung nicht sicher sein können, als Sieger aus den Wahlen hervorzugehen. Daher wird nun, wie bereits in der Vergangenheit, mögliches Wählerpotential in der europäischen Diaspora aktiviert. Die Wahlkämpfer des Sultans machen sich auf den Weg nach Deutschland, Schweiz, Belgien, um den Erfolg ihres Meisters zu sichern.
Wegen der Wahlkampfveranstaltungen türkischer Abgeordneter der Regierungspartei AKP hat es in Deutschland heftige Kritik gegeben. MENA Research Center hat bereits über die Reaktion der deutschen Regierung berichtet. Höhepunkt war dabei der Auftritt des AKP-Parlamentariers Mustafa Açikgöz in der Neusser Yunus-Emre-Moschee mit einer Hassrede, in der er über die Vernichtung von Anhängern der PKK und Gülen-Bewegung spricht. Diese wurde auch auf Twitter veröffentlicht.
Mustafa Açikgöz, seines Zeichens AKP-Abgeordneter aus Nevşehir, forderte in dem Video die Vernichtung von Andersdenkenden, PKK-Kurden und Anhängern der Gülen-Bewegung. „Genauso wie wir ihnen kein Lebensrecht in der Türkei geben, werden wir es ihnen auch in Deutschland nicht geben.“ Der türkische Parlamentarier warnt seine Landsleute: „Ihr müsst wachsam sein.“ Doch damit nicht genug. Açikgöz verspricht: „Mit Allahs Erlaubnis werden wir sie überall auf der Welt aus den Löchern, in die sie sich verkrochen haben, herausziehen und vernichten. Wir werden ihnen die Augen ausstechen. Darauf könnt ihr euch verlassen.“
Die Neusser Yunus-Emre-Moschee wird der sogenannten Ülkücü-Bewegung zugerechnet, besser bekannt als „Graue Wölfe“. Die Organisation, die nachweislich Kontakte ins Rocker-Milieu und in die Organisierte Kriminalität pflegt, fällt immer wieder mit Gewalt, Hetze und Grenzüberschreitungen. Laut deutschen Sicherheitsorganen sei auch der Moscheeverein bereits im Visier der Sicherheitsbehörden. „Die Aktivitäten der sogenannten Grauen Wölfe in Deutschland unterliegen zudem einer fortlaufenden Beobachtung durch den Verfassungsschutz der Länder und des Bundes“, heißt es in einer Stellungnahme des deutschen Innenministeriums. Seit Jahren fordern Fachpolitiker, Aktivisten und Politologen ein Verbot der „Grauen Wölfe“. In Frankreich ist die Organisation bereits verboten, in anderen europäischen Ländern wird noch abgewartet.
Im vergangenen Jahr hatte bereits das deutsche Bundesamt für Verfassungsschutz gegenüber der Tageszeitung „Die Welt“ mitgeteilt, das davon auszugehen sei, dass die AKP im Wahlkampf versuche, „die Kräfte mitgliederstarker Verbände in Deutschland zu bündeln und ihre Aktivitäten aufeinander abzustimmen“. Die UID verfüge in Deutschland über ein erhebliches Mobilisierungspotenzial, das bereits beim Verfassungsreferendum im April 2017 und bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2018 zum Tragen gekommen sei.
Zuletzt organisierte die UID etwa in Nürnberg ein Wahlkampfevent mit dem langjährigen Gesundheitsminister Recep Akdag. Neben Funktionären des türkischen Generalkonsulats nahmen laut Medienberichten auch Verantwortliche der Ditib teil.
Aber der Auftritt in Neuss war nur das bisherige Finale von Pro-Erdogan Einpeitschern in Deutschland. In den vergangenen Wochen waren Dutzende AKP-Abgeordnete unterwegs , um in den Gemeinden der türkischen Moscheeverbände Ditib und IGMG (Milli Görüs)und auf Wahlkampfveranstaltungen des Lobbyvereins UID um Stimmen zu werben. Die türkische Regierungspartei organisiert über die UID Veranstaltungen, wo die Besucher neben Reden von AKP-Vertretern auch ein persönliches Schreiben des Präsidenten ausgehändigt bekommen. Darin schildert Erdogan seine angeblichen Verdienste – und eine Vision für die nächsten 30 Jahre. „Die in diesem Jahr stattfindenden Wahlen sind sowohl für die Krönung des 100. Jahrestages unserer Republik als auch für die Verwirklichung der Vision von 2053 von entscheidender Bedeutung. Ich habe volles Vertrauen, dass Sie die Zukunft unseres Landes weiterhin nach Kräften unterstützen werden“, heißt es darin.
In dem Brief blickt Erdogan auf die seit 2001 andauernde Regierungsphase der AKP zurück. Vor 21 Jahren sei die Partei mit dem „Ziel einer Großtürkei“ gestartet. „Ihr als unsere im Ausland lebenden Staatsbürger seid ein wesentliches Element dieses gesegneten Marsches. Wo immer ein Staatsbürger von uns lebt, werden wir als Staat euch zur Seite stehen“, heißt es weiter. Seine Regierung, so Erdogan, sei „die erste türkische Regierung, die ein Wahlprogramm für Bürger im Ausland vorbereitet und einen separaten Abschnitt im Regierungsprogramm eingeräumt“ habe. „Wir haben eine Türkei aufgebaut, auf die jeder stolz ist, ganz gleich, wo er lebt.“ Dabei habe die AKP für die Türken im Ausland „Tausende von Lehrern und Religionsbeamten ernannt, damit unsere Kinder in der Gesellschaft, in der sie leben, existieren können, ohne ihre Sprache, Religion und Kultur zu vergessen“.
Aber nicht nur Deutschland ist Ziel der Kampagne: Zunehmend organisiert die UID Auftritte in anderen europäischen Staaten. Auf Social Media hat der AKP-Abgeordnete Zafer Sirakaya mehrere Bilder von Wahlkampfauftritten in Moscheen französischer Städte wie etwa Paris und Lyon veröffentlicht.
Letzten Freitag fand in einer Moschee im belgischen Heusden Zolder eine größere Wahlkampfveranstaltung statt, an der gleich vier AKP-Abgeordnete teilgenommen haben. Auch in der Schweiz wurden bereits mehrere Veranstaltungen der UID in Moschee-Zentren durchgeführt, in denen Vertreter der AKP auftraten und auch dort den Brief des Präsidenten verteilten.
Die nicht genehmigten Wahlkampfauftritte der AKP waren, neben den klaren Aussagen der deutschen Bundesregierung, auch bereits Thema im deutschen Parlament.Die Bundestagsabgeordnete Gökay Akbulut stellte eine Anfrage an die Bundesregierung zu diesem Themenkomplex, insbesondere welche Konsequenzen die Regierung wegen der Rede von Açikgöz in der Neusser Moschee ziehen möchte. Das Innenministerium habe „in einem Schreiben an den Koordinationsrat der Muslime in Deutschland (KRM), dem sechs islamische Dachverbände auf Bundesebene angehören, auf die Genehmigungspflicht dieser Art Veranstaltungen hingewiesen“, so die Antwort.
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