Die EU stellt für die Jahre 2021 bis 2024 für palästinensische Organisationen ca. 1.2 Milliarden Euro an finanzieller Unterstützung zur Verfügung. Für Brüssel sollen die Projektförderungen „die Aussicht auf palästinensische Staatlichkeit unterstützen, zu einer nachhaltigen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung Palästinas beitragen, die Menschenrechte und die Demokratisierung fördern.“ Außerdem sollen „eine effektive und rechenschaftspflichtige Regierungsführung und Institutionen gestärkt werden, um einen palästinensischen Staat zu unterstützen, der die in der Zwei-Staaten-Lösung vorgesehenen Verpflichtungen übernehmen kann“.
Einige dieser palästinensischen Institutionen, die von der EU Finanzmittel erhalten, sind allerdings seit 2021 von israelischen Behörden zu Unterstützern des Terrorismus erklärt worden, deren Büros durchsucht und teilweise geschlossen. Einige der palästinensischen NGOs sollen auch aktiv die von der EU als antisemitisch eingestufte BDS-Bewegung unterstützen bzw. mit dieser zusammenzuarbeiten.
Unter den Organisationen ist es die Al-Haq Organisation, die in öffentlicher Kritik steht. Sie veröffentlicht regelmäßig Berichte zu Repressionen und Menschenrechtsverletzungen durch die israelische Besatzungsmacht, aber auch durch die Palästinensische Autonomiebehörde (PA). Gefördert wird sie von der EU, Deutschland, Schweden, Norwegen, Dänemark, Italien und Frankreich. Genauere Zahlen können zum großen Teil nicht erhoben werden, da weder Al-Haq noch europäische Regierungen die Fördersummen offenlegen.
In einer gemeinsamen Stellungnahme hatten die Außenministerien Deutschlands und acht weiterer EU-Länder letztes Jahr bekanntgegeben, dass das von Israel vorgelegte Material über Al-Haq und die anderen NGOs „keine wesentlichen Informationen“ enthalte, die es rechtfertigen würden, die bisherige Förderpolitik zu widerrufen. Nach den israelischen Vorwürfen suspendierten manche Geberländer ihre Unterstützung und prüften monatelang sorgfältig Dossiers über die Organisationen, die der israelische Geheimdienst erstellt hatte. Nach einhelliger Auffassung mehrerer EU-Mitgliedsstaaten, darunter Deutschland, Dänemark und Frankreich, sowie der USA, Norwegens und der Schweiz enthielten die israelischen Unterlagen aber keine Beweise für die schweren Anschuldigungen.
Eine frühere Version eines solchen israelischen Geheimdossiers, mit dem die dortige Regierung bereits im Mai 2021 versucht hatte, dieselben Organisationen bei Geldgebern zu diskreditieren, ist als Leak im Internet veröffentlicht worden. Es überrascht in seiner Stümperhaftigkeit, weil darin mit unbelegten Behauptungen operiert worden ist, nicht mit Beweisen. Schließlich wiesen die Geberländer die Anschuldigungen zurück und gaben bekannt, die Finanzierung der betroffenen Institutionen fortzusetzen. In den sogenannten C-Gebieten, jenen 60 Prozent der besetzten West-Bank, die vollständig von Israel kontrolliert werden und wo die meisten Wohneinheiten in Siedlungen entstehen, dreht sich die Arbeit um den Zugang zu den eigenen Ressourcen, also um Land- und Wasserrechte palästinensischer Bauern- und Hirtenfamilien. Das alles soll nach israelischer Darstellung nur ein Deckmantel sein, um Gelder an die PFLP abzuzweigen. Beweise hat die israelische Regierung dafür keine vorgelegt, dafür vollmundig die EU der Terrorfinanzierung bezichtigt, was Federica Mogherini als Außenbeauftragte schon 2018 entschieden zurückgewiesen hatte.
Nun gibt es Anzeichen, dass es in einigen europäischen Regierungen zu einem Kurswechsel kommen könnte, unter anderem in Berlin. Man ist nun doch der Meinung, dass die palästinensischen Organisationen letztlich ein verlängerter Arme der „Volksfront zur Befreiung Palästinas“ (PFLP) seien und Gelder an diese umleiteten. Die PFLP, eine 1967 gegründete marxistisch-leninistische Organisation, wurde von Israel, aber auch von der EU und den USA als Terrororganisation gelistet.
Der Chef von Al-Haq, Shawan Jabarin, soll nach eigenen Aussagen Mitglied der PFLP sein, die Menschenrechtsorganisation hat seit 2009 keinerlei Spendenerklärungen veröffentlicht, die weltweit führenden Kreditkarten-Unternehmen wie Visa, Mastercard und American Express untersagen seit sechs Jahren den Geldtransfer an die NGO.
Die Stellungnahme der EU vom Juli letzten Jahres – auch Norwegen schloss sich ihr kurz darauf an – war als starke Aussage zugunsten der sechs NGOs wahrgenommen worden. Dort hieß es recht entschieden, solange keine überzeugenden Belege für eine Verstrickung in Terrorismus vorlägen, würden die Europäer ihre „deutliche Unterstützung“ für die palästinensische Zivilgesellschaft fortführen. Als Rückversicherung war aber auch der Satz aufgenommen worden: „Sollten gegenteilige Belege zur Verfügung gestellt werden, würden wir dementsprechend handeln.“
Israel ließ nicht nach in seinen Bemühungen, die auswärtigen Partner davon zu überzeugen, dass sie ihre Förderung der sechs NGOs einstellen sollten. Weitere Belege wurden zugänglich gemacht, allerdings nicht allen EU-Geberländern: Deutschland wurde von der israelischen Seite bevorzugt behandelt. Jerusalem sieht in der Bundesregierung einen wichtigen Akteur in Europa und geht vermutlich davon aus, dass andere Länder sich am Beispiel Berlins orientieren.
Nun hält das Innenministerium in Berlin die israelischen Vorwürfe für plausibel. Man stellte sich die Testfrage, ob die betroffenen Organisationen nach Lage der Dinge auch in Deutschland verboten würden. Die Antwort lautete: Ja. Die Belege wurden so eingeschätzt, dass sie in einem Gerichtsverfahren Bestand hätten.
Das deutsche Außenministerium scheint hier aber eine andere Sichtweise zu haben. Die These, dass die sechs NGOs letztlich Frontorganisationen der PFLP seien und von dieser kontrolliert würden, um über komplexe Täuschmanöver ausländische Fördergelder abzuzweigen, wird dort nach wie vor bezweifelt. Auch das neue Material, das Israel vorlegte, hat daran nicht viel geändert. Der Konflikt zwischen den Ministerien hält offenbar an. Gibt es keine Einigung in der Sache oder eine anderweitige Lösung, beispielsweise durch eine Intervention aus dem Kanzleramt, dürfte dies im Ergebnis dazu führen, dass Entscheidungen über weitere Förderungen ausgesetzt werden.
Kritiker glauben, dass die Einstufung der sechs NGOs als terroristisch durch Israel politisch motiviert war. Nahrung erhält diese Mutmaßung durch den Umstand, dass Israel seither niemanden von den betroffenen Organisationen verhaftet hat. Auch ein Gerichtsverfahren gegen die NGOs gibt es nicht. Den sechs Organisationen wurden nicht einmal Details zu den Anschuldigungen zugänglich gemacht, aufgrund derer die Einstufung als Terrorgruppen getroffen worden sein soll.
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