Nach den jüngsten Äusserungen um die Proteste iranischer Frauen, die gegen den Kopftuch-Zwang und das Frauenbild des Mullah-Regimes in Teheran auf die Straßen gehen, wird auch in Europa erneut die „Islamophobie“-Debatte angeheizt. Dabei geht es um die grundsätzliche Positionierung gegenüber den Protesten, und was diese mit dem Islam zu tun haben könnten.
Erst kürzlich argumentierte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock, es habe nichts „mit Religion oder Kultur“ zu tun, wenn eine junge Frau ermordet wird, die ihr Kopftuch nicht korrekt trägt. Dabei verkennt sie den Unterschied zwischen einem Staatswesen, in dem es eine freie Religionsausübung gibt und einer Diktatur wie jener im Iran, in der Staat und Gesellschaft auf der Basis eines fundamentalistischen Religionsverständnis aufgebaut sind. Führende europäische Grünen-Politiker beklagen nun „Islamophobie“ beim Einsatz für die iranischen Frauen. Solche Positionen verharmlosen nicht nur die islamisch begründete Unterdrückung von Frauen. Sie delegitimieren die Kritik daran – und lassen gerade die mutigen Iranerinnen, aber auch muslimische Frauen in Europa, die für ihre Rechte kämpfen, im Stich.
Die Islamische Republik Iran führt seit 44 Jahren einen Kampf gegen Frauen, er ist eine wesentliche Grundlage des islamischen Gottesstaates. Die Mullahs kontrollieren das Leben und die Sexualität der Frauen, um die Herrschaft der Männer aufrechtzuerhalten. Es ist ein System der Geschlechterapartheid: Frauen werden in vielen Bereichen der Bildung, Justiz und Kultur ausgeschlossen sowie im Ehe-, Scheidungs-, Sorge-, Zeugen- und Erbrecht massiv benachteiligt. Sie werden unter das Kopftuch gezwungen und mit Peitschenhieben und Gefängnisstrafen bestraft, wenn sie sich widersetzen.
Führende EU-Grüne unterstützen die Protestbewegung im Iran, sehen aber die Solidarisierung in Europa skeptisch. Der Freiheitskampf der Iranerinnen werde „oft missbraucht, um antimuslimische und antifeministische Ressentiments zu schüren“. Wer seine Leidenschaft für Gleichberechtigung nur beim Thema Kopftuch entdecke, lebe „einfach nur seine Islamophobie – und, ja, auch seine patriarchalen Fantasien – aus“, sagt eine Europa-Abgeordnete der Grünen. „Es wird sich ein Weltbild zurechtgeruckelt, in dem böse muslimische Männer ohnmächtige Frauen unterdrücken, die der weiße Mann dann befreien muss.“
Auffällig ist hier insbesondere der Begriff „Islamophobie“. Dabei handelt es sich um einen Kampfbegriff, der jegliche Kritik an islamisch begründeten Unterdrückungsverhältnissen abwehren soll. Sämtliche negative Aussagen über den Islam werden dadurch als Hass auf muslimisch sozialisierte Menschen interpretiert – ganz egal, ob es sich um tatsächliche Ressentiments oder um eine an Aufklärung und Menschenrechten orientierte Ideologie- und Religionskritik handelt. Gerne wird der Begriff auch von Islamisten verwendet. Nach der Islamischen Revolution 1979 diffamierten die iranischen Mullahs mit dem Begriff jene Frauen, die sich dem Schleierzwang widersetzten.
Selbstverständlich gibt es spezifische antimuslimische Ressentiments, die auch einer entsprechenden Kritik bedürfen, dies schreibt eine gläubige Muslimin, die in Europa lebt. Es ist aber ein zentraler Unterschied, ob man in bürgerlichen Gesellschaften mit individuellen Freiheiten lebt oder in einer Theokratie wie dem Iran, in denen der konservativ-orthodoxe Alltagsislam das Leben häufig bis in die intimsten Bereiche bestimmt und die Menschen unmittelbar religiös begründeter Moral und Herrschaft unterworfen sind.
Auch wird ausgeblendet, dass das gegensätzliche Phänomen stark verbreitet ist. Kritikwürdig sind nämlich auch diejenigen, die ihre Leidenschaft für Gleichberechtigung plötzlich ausblenden, wenn es um Islam und Islamismus geht. Die zwar – zu Recht – weiterhin vorhandenen Sexismus, Frauenhass und häusliche Gewalt im Westen skandalisieren, aber zum Kopftuchzwang und der Geschlechtertrennung im Iran, zum Schulverbot für Mädchen in Afghanistan, dem Jungfrauenwahn in vielen konservativ-muslimischen Familien oder Zwangsverheiratungen, Morden im Namen der „Ehre“ und Genitalverstümmelungen in Europa plötzlich nichts mehr zu sagen haben. Genau das ist antimuslimisch und antifeministisch, weil Mädchen und Frauen, die von solcher häufig islamisch begründeten Gewalt betroffen sind, durch dieses Schweigen im Stich gelassen werden.
Zwar wird darauf hingewiesen, dass „manche islamisch geprägten Familien Druck auf Frauen ausüben, das Kopftuch zu tragen“. Frauenunterdrückung im Islam kommt bei ihnen aber ansonsten nur noch in einem zurechtgelegten Weltbild vor und damit kaum als tatsächlich verbreitetes Phänomen. Damit betreiben sie letztlich eine Verharmlosung oder gar Apologie dieser Verhältnisse. So ist es selbstverständlich richtig, dass viele Frauen das Kopftuch freiwillig tragen und jegliche Gewalt gegenüber Kopftuchträgerinnen auf das Schärfste verurteilt werden muss. Mit dieser Erkenntnis sollte allerdings nicht einhergehen, den patriarchalen Gehalt des Schleiers zu leugnen.
Grünen-Parlamentarier verteidigen die EU-Finanzierung einer Kampagne, die etwa den Spruch „Beauty is in diversity as freedom is in hijab“ (etwa: „Schönheit liegt in der Diversität, wie die Freiheit im Hijab“) enthält. Mit der Kampagne sollte Diskriminierung kritisiert werden, ein ehrenwertes Ziel. Trotzdem sollte man aber nicht einfach darüber hinwegsehen, dass insbesondere derart streng gebundene Kopftücher, wie sie in der Kampagne gezeigt werden, häufig zutiefst frauenfeindlich legitimiert werden. Zwar begründen Frauen das Tragen ihres Kopftuchs völlig unterschiedlich. Doch wenn der weibliche Körper zur Sünde erklärt wird, hat das mit Freiheit nichts zu tun.
Die iranischen Frauen, die am 8. März 1979 in Massen auf die Straße gingen, um gegen den damals drohenden Kopftuchzwang zu demonstrieren, hatten eine Parole: „Freiheit ist weder östlich noch westlich, sondern universell!“. Es war ihre Antwort auf die Kampfparole des Revolutionsführers Ayatollah Khomeini – „Weder Ost noch West – Islamische Republik!“.
Die wichtigsten Werke des westlichen Kulturrelativismus waren damals noch gar nicht geschrieben. Und doch kann die Losung der Frauen auch als ein Urteil über diesen Kulturrelativismus verstanden werden. Dieses Urteil gilt auch heute noch. Die Töchter und Enkelinnen der Demonstrantinnen von 1979 wollen von den Feministinnen im Westen und ihren Mitstreitern nicht mehr ignoriert, sondern unterstützt werden.
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