„Die Kairo-Verschwörung“ erzählt die Geschichte des Fischersohnes Adam, der in der Kleinstadt Mansala im Nildelta unter der hilflosen Härte seines Vaters heranwächst. Als Adam aus heiterem Himmel ein Stipendium für die Azhar-Universität in Kairo bekommt, ist es die Chance seines Lebens. Die Universität gilt als wichtigste Institution des sunnitischen Islams. Mehr als tausend Jahre alt, wird sie in Tarik Salehs Film als „Leuchtturm der islamischen Wissenschaften“ eingeführt. Der schwedische Regisseur inszeniert hier ein Netz aus Intrigen zwischen Regierung, Muslimbrüdern und religiöser Führung.
Der Innenhof der ehrwürdigen Al-Azhar-Universität: Dicht drängen sich Lehrer und Studenten, die rot-weißen Kopfbedeckungen leuchten, die uralten Mauern ragen in den Himmel Ägyptens. Alles atmet Geschichte, ja, Ewigkeit. Dann erhebt Raed seine Stimme, Raed, der in seiner Freizeit arabischen Rap hört, aber die heiligen Verse des Koran jetzt so rein rezitiert, so voller Jubel und Demut und Hingabe, dass den Zuschauern der Atem stockt. Tarik Salehs Film „Die Kairo-Verschwörung“ ist ein Kind vieler Genres. Aber nicht zuletzt ist er eine Feier der Schönheit des Islams.
Der Regisseur und Drehbuchautor des Films, der nun in den europäischen Kinos läuft, ist Tarik Saleh, Sohn einer schwedischen Mutter und eines ägyptischen Vaters. In Ägypten darf er nicht mehr drehen, seit ihn die Staatssicherheit nur Tage vor Drehbeginn für seinen Film „Die Nile Hilton Affäre“ aus dem Land warf. Also zog er für den aktuellen Film mit seinem Team nach Istanbul, verzichtete auf ägyptische Schauspieler, um sie nicht zu gefährden, und verpflichtete Darsteller mit Wurzeln in Palästina, Syrien oder Algerien.
Alles beginnt mit einem Stipendium, das es Adam, dem Sohn eines einfachen Fischers erlaubt, an der Eliteuniversität studieren zu können. Als der Dorfimam die frohe Kunde überbringt, nimmt der junge Mann sie mit relativer Ausdruckslosigkeit auf. Für ihn als Gläubigen bedeutet das Stipendium keinen persönlichen Erfolg, sondern den Willen Gottes, dem er sich zu fügen hat. Nach anfänglicher Skepsis gibt auch der autoritäre Vater, der Adams (oder Gottes) Plänen zunächst ablehnend gegenübersteht, seinen Segen. Wenn es Gottes Wille ist, möge Gottes Wille geschehen.
In Kairo wird Adam allerdings weniger mit religiösen Glaubensfragen als vielmehr mit machtpolitischen Konflikten konfrontiert. Kaum ist er an der Universität eingetroffen, stirbt deren Leiter, der Großimam, der zugleich eine der höchsten Positionen im sunnitischen Islam bekleidet hat. Um dessen Nachfolge entbrennen erbitterte Kämpfe zwischen dem Staat und den Leitern der Hochschule. Der Präsident des Landes will die Macht islamistischer Kräfte einschränken und einen staatstreuen Nachfolger installieren. Die Staatssicherheit hat einen Spitzel in der Studierendenschaft, der unter ungeklärten Umständen beseitigt wird. Nun sucht der zuständige Colonel Ibrahim einen neuen Agenten – und findet ihn in Adam. Der soll das Vertrauen einer radikalisierten Studentengruppe gewinnen und dem Colonel Bericht erstatten. Adam bleibt keine Wahl. Wer nicht mit der Staatssicherheit kooperiert, bekommt Schwierigkeiten. Der ägyptische Geheimdienst will einen passenden Nachfolger installieren, dafür braucht er Informanten aus dem Inneren der Azhar. Der letzte Zuträger ist gerade aufgeflogen und wurde auf spektakuläre Weise ermordet. Adam, der Fischersohn, von seinen Kommilitonen genannt „Sardine“, soll ihn ersetzen. Der Agent wirbt ihn ohne Mühe an.
Scheichs lassen sich Fastfood von McDonald’s liefern – „Man sagt, die Burger sind halal“ -, und zeugen uneheliche Kinder. Vielleicht ist die Hochschule wirklich von Muslimbrüdern unterwandert, wie Ibrahim behauptet. Oder ist das nur eine besonders perfide Finte? Tief und tiefer wird Adam in Intrigen und Täuschung versinken und am Ende alle verraten, seinen Freund, die Azhar, und ob er so seinen Glauben oder wenigstens sein Leben retten kann, ist sehr die Frage.
Das Leben des Protagonisten wird von anderen bestimmt. Erst gehorcht er dem Dorf-Imam und seinem Vater, dann dem Oberst, der ihn mit der Gesundheit seines Vaters erpresst. Getrieben von Angst, führt Adam die Befehle aus. Aber mit der Zeit wird er erwachsen. Die Umstände erfordern den Mut zur eigenen Meinung oder auch nur den Mut, seine Talente clever einzusetzen, um zu überleben. Eigenständiges Denken wird im starren Machtgefüge nur geduldet, wenn in religiöse Gleichnisse getarnt, sonst gilt es schnell als Übermut.
Wir erfahren nichts über Adams Gefühle, Neigungen, Träume. Wie gläubig ist er wirklich? Am Ende wird er in einer Verhörzelle den Koran brillant auslegen – aber tut er das vor allem, um seine eigene Haut zu retten? Wenn er am Ende gefragt wird, was er in Kairo gelernt habe, schweigt er. Gelernt worüber? Über die Religion, die Politik? In jedem Fall hat er viel gelernt über Macht. Es ist ihm zu wünschen, dass er bald wieder fischen geht.
Tarik Saleh inszeniert eindrückliche Bilder in den prachtvollen Gemäuern. Von oben sieht man ein Meer aus roten Punkten im Innenhof, die Kopfbedeckungen der Studenten, als Sinnbild der ihnen abverlangten Konformität. Der Film zeigt eine von männlicher Autorität geprägte Welt. Zu Hause ist es der schweigende Patriarch, der die Hände seiner Söhne peitscht, und auch in der Universität ist Pflichterfüllung das oberste Gebot. Die patriarchalen Machtstrukturen sind so stark ausgeprägt, dass Frauen überhaupt nur in einer einzigen Szene vorkommen.
Tatsächlich wirken viele Motive in „Die Kairo-Verschwörung“ vertraut, die strenge Choreografie der Studenten, die asketischen Schlafräume, die unruhigen Schatten in den Säulengängen, alles brillant fotografiert vom französischen Kameramann Pierre Aïm. Mit etwas Fantasie könnte auch der Strippenzieher Ibrahim als zotteliger Verwandter George Smileys durchgehen, dem (Anti-)Helden vieler Romane des Briten John le Carré.
Zwar sind sich die Autokratie und die religiöse Autorität einig in ihrer Abneigung gegen den politischen Islam und jede Art religiöser Radikalisierung, aber einander sonst in Misstrauen zugetan. Als der Agent Ibrahim zum ersten Mal die Azhar besucht, lassen ihn die Gelehrten souverän abblitzen. Schon Präsident Nasser habe die Azhar unterwerfen wollen, sagen sie, Sadat habe versucht, sie zu korrumpieren, Mubarak habe die Regeln ändern wollen, um es den Frauen und den Amerikanern recht zu machen: „Was genau ist dein Auftrag?“
Natürlich kann der Film als kritische Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen ägyptischen Regierung gesehen werden. Der Geheimdienstchef droht unverhohlen mit Folter, unter den Türschlitzen der Gefängniszellen quillt Blut heraus. Und wenn die Studierenden der Universität über Palästina, Syrien oder den Irak diskutieren, wird eine Sympathie der Männer zum Terrorismus und zum Dschihad angedeutet.
Dennoch lässt sich der Film keineswegs für eine Kritik am Islam instrumentalisieren, zumal der Regisseur selbst inmitten von antimuslimischen Vorurteilen aufgewachsen ist. Staat und Religion auch in ihren radikalen Ausformungen sind in diesem Thriller vor allem Ausdruck tief sitzender patriarchaler Machtstrukturen. Männer arbeiten in Büros unter den Bildern anderer Männer, selbst in den Wohnräumen, in denen die Frauen auf sie zu warten haben, hängen die Autoritäten an den Wänden. Väter herrschen über ihre Söhne, Imame über ihre Schüler, Generäle über ihre Offiziere, Offiziere über ihre Agenten.
Diese Machtstrukturen werden sichtbar durch Adams Handeln, oder eher noch: durch seine Passivität. Der junge Mann folgt allen: seinem Vater, seinem Dorfimam, den Lehrern auf der Universität, dem Colonel Ibrahim. Wenn der ihm bei einem Treffen im Café sagt, er solle sich eine Zimtlatte bestellen sowie einen Brownie mit Sahne, bestellt er sich genau das. Wenn er einem befreundeten Studenten an der Universität eine Falle stellen soll, um das Vertrauen der Radikalen zu gewinnen, fügt er sich. Wenn er vom Anführer der Radikalen aufgefordert wird, seinen Onkel anzurufen, gehorcht er.
Das Drehbuch des Films ist beim Filmfestival in Cannes ausgezeichnet worden. Schweden hatte den Film als Oscar-Kandidaten eingereicht. In die ägyptischen Kinos wird es „Die Kairo-Verschwörung“ wahrscheinlich nie schaffen, was allerdings im Streaming-Zeitalter auch nicht mehr viel heißt. Dabei könnten sich die ägyptischen Zensoren fast zurücklehnen. Natürlich beschreibt „Die Kairo-Verschwörung“ einen sehr ägyptischen Konflikt. Nach Thriller-Maßstäben allerdings ist der Geheimdienst am Nil dann auch nicht viel teuflischer als seine Schwesterorganisationen anderswo im Kino.
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