Ayatollah Ali Chamenei, seines Zeichens Revolutionsführer in der Nachfolge von Chomeni, sagte kurz nach dem Anschlag gegen den britisch-indischen Schriftsteller Salman Rushdie, „der schwarze Pfeil des Todes“ sei abgeschossen und „auf dem Weg ins Ziel“. Gleichzeitig kann er in seinen Äußerungen aber auch diplomatische Sprachgewandheit zeigen. So beispielsweise 2013, als es darum ging, mit den verhassten USA und anderen Staaten das Atomabkommen auszuhandeln. Da prägte er den Begriff der „heroischen Flexibilität“, es war die billige Umschreibung dessen, dass Teheran zum realpolitischen Schutz seiner Interessen ohne Skrupel auch gegen seine eigentlichen nationalistischen und islamistischen Grundsätze brechen kann. Nun hat Chamenei erneut ein Beispiel für die Biegsamkeit des Regimes bewiesen: Gegenüber Diplomaten seines Landes benutzte er erneut den Begriff der „heroischen Flexibilität“, um die jüngste Annäherung Teherans mit dem Erzfeind Saudi-Arabien zu loben. Seit einem Monat sind die Botschaften in beiden Ländern nach sieben Jahren der Abstinenz wieder eröffnet worden.
Die beiden Staaten rivalisieren seit Jahrzehnten um die politische und religiöse Vorherrschaft im Nahen und Mittleren Osten. Ihre aktuelle Annäherung dürfte das Machtgleichgewicht in der Region verändern. Das schiitische Iran war seit der Islamischen Revolution von 1979 politisch und wirtschaftlich weitgehend isoliert. Eines der Gegengewichte gegen den Theokraten-Staat war das sunnitische Saudi-Arabien, Nachbar am anderen Ufer des Persischen Golfs, Hüter der Heiligen Stätten Mekka und Medina sowie enger Bündnispartner der USA.
Die USA ziehen sich langsam aber sicher aus der Region zurück, erst militärisch aus dem Irak und Afghanistan, nun auch politisch im Verhältnis zu Staaten wie Saudi-Arabien. Washington fokussiert sich längst auf den fernen Osten und die aufstrebende Führungsmacht China. Dadurch kommt es zu einem geopolitischen Vakuum in der MENA-Region, in das verstärkt China hineindrängt.
Teheran und Riad führen seit Jahren Stellvertreterkriege: In Libanon und in Syrien, in Jemen. Der Konflikt mit Syrien und Libanon, wo Iran massiv Einfluss nimmt, verliert für Saudi-Arabien seine Brisanz, wenn der syrische Machthaber Baschar al-Assad erst einmal endgültig wieder im Kreis der arabischen Machthaber etabliert ist. Assad hat seinen 2012 während des „Arabischen Frühlings“ begonnenen Bürgerkrieg trotz anhaltender Kämpfe de facto schon gewonnen. Und das, obwohl die Saudis und die Türken die Rebellen bestärkt und die USA dem Ganzen Rückendeckung gegeben hatten. Die Arabische Liga hat den blutbesudelten Kriegsherren aus Damaskus kürzlich rehabilitiert und wieder aufgenommen in den wichtigen Zusammenschluss arabischer Staaten. Die bilaterale Aussöhnung mit Staaten wie Ägypten dürfte folgen. Ayatollah Chamenei sagte jüngst über Gesprächsmöglichkeiten mit dem ebenfalls zu den langjährigen Feinden der Islamischen Republik zählenden Ägyptern: „Wir haben keine Vorbehalte.“ Selbst im Bürgerkrieg in Jemen bewegt sich etwas. Das geplagte Land ist nach Ansicht Riads nicht mehr als der saudische Hinterhof. Iran unterstützt die als Barfuß-Krieger verlachten schiitischen Huthi-Rebellen mit so viel Geld und Waffen, dass die Aufständischen weite Teile seit Jahren kontrollieren können. Eine von Riad geführte Militärkoalition hat es trotz eines auf die Zivilisten keinerlei Rücksicht nehmenden Bombenkriegs bis heute nicht geschafft, die Huthis wieder aus der Hauptstadt Sanaa zu vertreiben.
Zwar kühlt der Konflikt ab, Washington behauptet jedoch, dass Teheran den Huthis weiterhin Waffen liefere. Grundsätzlich sind aber die Saudis und die Iraner an einem Ende der Kämpfe interessiert: Riad, weil sich die hochmodern bewaffneten Streitkräfte als unfähig erwiesen haben. In einer militärischen Auseinandersetzung mit dem bevölkerungsstarken und hochgerüsteten Iran hätten sie auf sich gestellt kaum eine Chance. Und auf den Schutz der USA wollen und können sie nur noch bedingt vertrauen. Die US-Regierung hatte jüngst die sich abzeichnende Entspannung am Golf säuerlich so kommentiert: „Wir begrüßen jede diplomatische Annäherung. Und wenn dies zu einem Ende der bösartigen iranischen Aktivitäten in der Region führen sollte, unterstützen wir es natürlich.“ Für Teheran, deren Land wirtschaftlich seit Jahren unter der Last verschiedenster Sanktionen ächzt, öffnen sich mit der inner-islamischen Annäherung an den US-Partner Saudi-Arabien Türen. Mit der sich parallel rasant entwickelnden politisch-militärischen Zusammenarbeit mit Russland und den relativ guten Beziehungen zu China und der Türkei scheint sich die Islamische Republik, allen Sanktionen zum Trotz, wieder ein Stück weiter aus der ohnehin global nie wasserdichten funktionierenden Isolation durch die USA und Europa herausbeugen zu können. Für Israel und die USA, die Iran eindämmen wollen und als eine neue Atommacht nie akzeptieren könnten, sind das keine erfreulichen Nachrichten.
Alle Veröffentlichungs- und Urheberrechte sind dem MENA Research and Study Center vorbehalten.