Die Debatten um Einwanderung werden in Europa immer hitziger geführt. Profit daraus schlagen rechtsextreme oder politische Parteien, die die „Brandmauer“ der stabilen und konsensorientierten Demokratien teilweise schon weit eingerissen haben. Gleichzeitig nutzen islamistische Gruppen diese Situation, um ihre Positionen in ihrer Community zu verbreiten, weil gerade muslimische Bevölkerungsteile sich immer mehr diskriminiert fühlen von einer Mehrheitsgesellschaft, die sie eigentlich nicht haben will.
Fakt ist, dass die Flüchtlingszahlen, besonders aus islamisch geprägten Ländern, steigen. Europa fällt aber nichts anderes ein, als ein Regime aufzubauen, welches den Kontinent abschotten soll. Dabei werden Grundrechte von Geflüchteten, allgemeine Menschenrechtsnormen mit Füßen getreten. Und es wird in vielen Ländern der EU die Angst geschürt vor Zuwanderung aus „kulturfremden“ Regionen, welche die „Identität“ Europas nachhaltig verändern wird. Die Staats- und Regierungschefs können sich aufgrund der Mehrheitsverhältnisse innerhalb der EU nicht einmal mehr auf humanitäre Standards einigen.
In den Niederlanden hat Regierung hitzig debattiert, nun zerbrach das Kabinett von Ministerpräsident Mark Rutte dann trotz einer Krisensitzung am Streit über die Asylpolitik. Ruttes konservative VVD-Partei hatte geplant, die Aufnahme von Asylsuchenden zu begrenzen: Kinder von Kriegsflüchtlingen sollten mindestens zwei Jahre bis zum Nachzug ihrer Familien warten. Zudem sollte es eine monatliche Obergrenze für den Familiennachzug geben. Das ging den Koalitionspartnern zu weit. Neuwahlen werden nun für den Herbst erwartet, solange bleibt die Regierung geschäftsführend im Amt. Rechtspopulist Geert Wilders machte bereits klar, dass er das Thema Migration ganz oben auf die Tagesordnung setzen wird: „Wir sind die Partei, die eine Mehrheit für eine deutliche Reduzierung des Zustroms von Asylbewerbern sicherstellen kann“.
In Österreich ist Migration ist immer noch ein beherrschendes Thema – obwohl die Zahl der Asylanträge in diesem Jahr deutlich zurückgegangen ist und am Ende des Jahres bei rund 40.000 liegen dürfte (2022: 112.272). Der Rückgang hat auch mit der Politik der konservativen Regierungspartei ÖVP zu tun, die ein Abkommen mit Indien geschlossen hat und zugleich durchsetzen konnte, dass Serbien weniger freizügig Visa an Drittstaatler vergibt. Doch die Konservativen können davon nicht richtig profitieren. Die rechtsextreme FPÖ hat – vor allem dank des Migrationsthemas – in den Umfragen durchschnittlich acht Prozentpunkte Vorsprung und könnte im kommenden Jahr erstmals in ihrer Geschichte den Kanzler stellen.Überfüllte Aufnahmezentren, geschlossene Turnhallen und Verzögerungen an den Schulen wegen mangelnder Deutschkenntnisse vieler Neuankömmlinge werden in der Öffentlichkeit breit debattiert.
In Frankreich dominiert das Thema Migration schon seit Jahrzehnten die politische Debatte. Dafür hat der Front National gesorgt. Für die Partei der Le Pens, die heute „Rassemblement National“ heißt, ist eine strenge Beschränkung der Zuwanderung die zentrale politische Forderung. Seitdem mit Emmanuel Macrons Renaissance eine neue Zentrumspartei existiert, die rechts und links zugleich sein will, driften die französischen Konservativen in der Migrationsdebatte weit nach rechts ab. Es ist der Versuch, neben Macron zu überleben und Le Pen rechts zu überholen. Auch Macrons Regierung plant seit September ein neues Einwanderungsgesetz. Seither ist es immer wieder verschoben worden. Weil dem Präsidenten die Mehrheit im Parlament fehlt, ist er auf die Stimmen der Konservativen angewiesen. Doch die wollen noch viel weiter gehen als die Regierung.
In Schweden konnten Rechte und Konservative die sozialdemokratische Minderheitsregierung über das Thema Migration zu Fall bringen. Das Land, das lange für die liberalste Einwanderungspolitik Europas stand, hatte zuvor bereits im Zuge der Flüchtlingskrise 2015 einen Wandel vollzogen und seine Asylpolitik verschärft. Jedoch lange nicht so stark, wie es Konservative und vor allem die rechtsnationalen Schwedendemokraten forderten. Die Rechten profitieren von den immer häufigeren Schlagzeilen über die grassierende Bandenkriminalität in migrantisch dominierten Vorstädten, die auch unbeteiligte Todesopfer fordert. Viele Jahre hatte die sozialdemokratische Regierung keine echten Antworten auf das Problem gefunden.
Bei der Wahl im September wurden die Rechtsnationalen stärkste Kraft, heute regiert ein konservatives Bündnis, das von den Schwedendemokraten geduldet wird und ihnen großen Einfluss auf die Migrationspolitik gewährt. Diese wird nun konstant verschärft, etwa in Hinblick auf die Einbürgerung und bei der Frage, wer in Schweden künftig überhaupt noch Asyl beantragen kann.
In Dänemark dürfte die Migrationsfrage bei der Wahl im November keine dominante Rolle spielen. Das liegt vor allem daran, dass Ministerpräsidentin Mette Frederiksen ihre Socialdemokraterne schon vor Jahren mit einem rigorosen Kurs bei Integration und Migration nach rechts verschoben hat. Mit dieser Linie konnte sich die Partei bei der Wahl 2019 als stärkste Kraft durchsetzen und der rechtsnationalen Dänischen Volkspartei entscheidende Stimmen abjagen. Die Rechten kommen heute nur noch knapp über die Zwei-Prozent-Hürde ins Parlament. Frederiksens Regierung gab das Ziel von „Null Migration“ aus und führte in den vergangenen Jahren teils umstrittene Maßnahmen ein. Die durch eine jahrzehntelang vermasselte Migrationspolitik gewachsenen Parallelgesellschaften will sie sogar mit Zwangsumsiedlungen bekämpfen. Diese vor ein paar Jahren noch als rigoros angesehenen Maßnahmen sind mittlerweile im politischen Mainstream angekommen und werden von einem großen Teil der Bevölkerung mitgetragen. Bei der letzten Wahl erzielte Frederiksens Partei ihr bestes Ergebnis seit 20 Jahren.
Polens nationalkonservative Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) steht im Ruf, eine besonders harte Migrationspolitik zu betreiben. Für das Zurückweisen von Menschen aus dem Nahen Osten oder Afrika an der Grenze zu Belarus und den Bau einer meterhohen Mauer eben dort wird sie regelmäßig von Menschenrechtsorganisationen kritisiert. Auch Oppositionsführer Donald Tusk übt Kritik an der Migrationspolitik der PiS – doch hält er sie für zu lasch. Gerade erst warf er der Regierung in einem Wahlkampfvideo vor, Zehntausende Menschen „aus muslimischen Ländern“ nach Polen gelassen zu haben. Die Zahlen sind umstritten. Tusk jedoch zeigt auf, dass in Polen Regierung wie Opposition Zuwanderung aus Ländern außerhalb Europas weitgehend ablehnen.
Das Gleiche gilt für Ungarn. Beide Länder haben zwar viele ukrainische Flüchtlinge aufgenommen – Polen gar die meisten in Europa – oder werben Arbeitskräfte etwa in Asien an. Doch einen europäischen Verteilungsschlüssel für Migranten lehnen die Regierungen in Warschau und Budapest ab. Das entspricht zumeist auch der Stimmung in der Bevölkerung. Das Thema Migration wird von den Parteien häufig in Abgrenzung zum Westen der EU ausgenutzt. Bilder von Ausschreitungen wie zuletzt aus Frankreich oder Nachrichten über Attacken in deutschen Regionalzügen werden damit vermengt und entsprechend instrumentalisiert. Ungarns Regierungschef Viktor Orbán oder die polnische PiS werben damit, jene „deutschen oder französischen Zustände“ nicht zuzulassen.
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