Freitag Abend spielten sich vor der türkischen Botschaft in der niederländischen Staat Den Haag tumultartige Szenen ab. Edwin Wagensveld, der holländische Anführer der islam – und fremdenfeindlichen Partei Pegida zerriss vor den Augen von etwa 100 Muslimen den Koran. Eine offenkundige und tiefgründige Beleidung und Provokation für jeden gläubigen Muslim. Bereits im Vorfeld der Ereignisse waren sowohl die niederländischen Sicherheitsbehörden, als auch der Bürgermeister von Den Haag selbst, Jan van Zanen über die geplante Aktion informiert worden. Die niederländischen Behörden reagierten auf die Aufrufe der muslimischen Community, diese Aktion zu unterbinden jedoch nicht, mit der Begründung, man könne niemandem die Meinungsfreiheit untersagen.
Die Frage die sich stellt ist jedoch: handelt es sich bei einer derart gezielten Provokation noch um Meinungsfreiheit? Oder sind die Behörden vielmehr verpflichtet im Sinne des gesellschaftlichen Zusammenhalts solche Aktionen zu unterbinden?
Aber erstmal der Reihe nach. Die niederländische Regierung kämpft seit Jahren mit einem zunehmenden gesellschaftlichen Problem im eigenen Land. Bereits 2016 brachte der damalige Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans Vorschläge für die neue EU – Migrationskontrolle gegenüber Afrika ein: „ die EU müsse eine Mischung aus positiven und negativen Anreizen schaffen und jene Länder belohnen, die effektiv mit der EU zusammenarbeiten. Alle andere Länder müssten mit Konsequenzen rechnen.“ Eines dieser Migrationskontrollinstrumente wären laut Timmermans sogenannte Laissez – Passers, also Passersatzdokumente für Abschiebungen, die die EU – Staaten selber hätten ausstellen können. Für die betroffenen Länder war diese Idee eine reine Farce. Zusammen mit der Regierung in Mali versuchten die Niederlande ein erstes Pilotprojekt zu starten, was jedoch auf Grund von heftigen Protesten in Bamako sofort wieder verworfen wurde. Auch in den Niederlanden selbst werden die integrationspolitischen Versäumnisse der Regierung immer offensichtlicher. So kam es etwa nach dem WM Spiel zwischen Marokko und Belgien, welches Marokko 2:0 gewann sowohl in Belgien, als auch in den Niederlanden zu Zusammenstößen und Übergriffen auf Polizeieinheiten, wie etwa in Rotterdam. Die Gruppe an gewaltbereiten Jugendlichen wurde damals von den Sicherheitsbehörden auf knapp 500 Personen geschätzt.
Aktuell versucht die niederländische Regierung mit gezielten Maßnahmen in Nord und Nord West Afrika, wie etwa durch die Ausbildung einer Grenzschutzeinheit in Niger oder den diplomatischen Gesprächen mit der Regierung in Tunis effiziente Außenposten für den EU – Außengrenzschutz aufzubauen. Dadurch gerät das Land außenpolitisch mehr und mehr in die Kritik.
Eines jener Länder, welches die Niederlande aufgrund der gesetzten Handlungen scharf kritisiert und sich als Sprecher für die sogenannten Umma, also die muslimische Gesamtgesellschaft sieht, ist die Türkei.
Erdogans verlängerter Arm in den Niederlanden ist die DENK Partei. Bei dieser Kleinstpartei handelt es sich um eine politische Bewegung, die sich klar als Partei der Einwanderer positioniert und mehrheitlich von marokkanischen und türkeistämmigen Muslimen gewählt wird. Bei den letzten Wahlen in den Niederlanden gelang es der Partei 3 Sitze in der zweiten Kammer des Parlaments für sich zu beanspruchen. An der Spitze der Partei steht Farid Azarkan. Die Gründer der DENK Partei Tenahan Kuzu und Selcuk Öztürk waren in der Vergangenheit Mitglieder der niederländischen Sozialdemokraten (PvdA), wurden jedoch aus der Partei ausgeschlossen und starteten anschließend mit der Gründung der DENK Partei ihr eigenes politisches Projekt. Seit der Gründung der Partei im Jahre 2015 setzt sich die DENK gegen Rassismus und Diskriminierung ein. Dabei ist es ein offenes Geheimnis, dass die Partei aus Ankara unterstützt wird. Ankara plant und forciert seit knapp einem Jahrzehnt den gezielten Aufbau von Migrantenparteien, um über selbige Einfluss auf die Politik der jeweiligen Staaten nehmen zu können. Bis dato erzielte dieses Vorhaben nur mäßigen Erfolg.
Genau diesen Umstand wird Pegida – Chef Wagensveld der Türkei vor. Am Freitag, nur wenige Stunden vor dem Zerreißen des Korans, kündigte er an man werde mit dieser Aktion ein Zeichen gegen den Einfluss der türkischen Regierung auf Demonstrationen in den Niederlanden setzen. Wagensveld begründet sein Vorgehen wie folgt: „Islamische Länder bedrohen Schweden und Dänemark mit Sanktionen, wenn das Demonstrationsrecht nicht eingeschränkt wird. Dieser Ansatz ist inakzeptabel und erfordert eine harte Antwort.“ Damit verweist Wagensveld auf Demonstrationen pro kurdischer PKK naher Organisationen, die nach wie vor in Schweden Demonstrationen gegen die türkische Regierung abhalten. Die DENK Partei wandte sich in einer Erklärung direkt an den Bürgermeister von Den Haag mit den Worten: „Die geplanten Aktion der Pegida ist keine Meinungsfreiheit, sondern eine offene Hassrede. Man versucht durch solche Aktionen Muslime bis auf die Knochen zu demütigen und die Saat der Spaltung in der Gesellschaft zu säen.“
Auch seitens der niederländischen Justizministerin Dilan Yeşilgöz, einer in der Türkei geborenen Kurdin und einer der kritischsten Stimmen gegen die türkische Außenpolitik in den Niederlanden, wurde die geplante Koranschändung verurteilt. Laut Yeşilgöz würde „das Zerreißen oder Verbrennen des Koran, wie es etwa in Schweden bereits passierte, zu einer erhöhten terroristischen Bedrohung führen.“ Was ähnliche Aktionen für eine gewaltbereite Reaktion hervorrufen können, erlebte Europa am Beispiel der terroristischen Anschläge auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo bereits im Jahr 2015.
Der Bürgermeister von Den Haag, Van Zanen, räumte in einer Stellungnahme ein, dass das Vorgehen von Wagensveld nicht zu dem respektvollen und inklusiven Umgang der Stadt beiträgt, und vielmehr ein unnötiges Aufstacheln und absichtliches Verletzen von Mitmenschen darstellt, gleichzeitig sehe Van Zanen seine Rolle als Bürgermeister darin „das verfassungsmäßig definierte Recht auf freie Meinungsäußerung und Demonstrationsfreiheit so weit wie möglich zu erleichtern.“
Wagensveld versuchte bereits im Oktober und November 2022 den Koran vor dem Haus der Repräsentanten in Den Haag zu verbrennen, wurde allerdings von den Polizeikräften daran gehindert.
Wagensveld, der im Oktober de vergangenen Jahres in Rotterdam wegen Beleidigung und Äußerungen gegen Muslime festgehalten wurde, wurde von der Staatsanwaltschaft nicht schuldig gesprochen und entlassen.
Derartige Zwischenfälle führten bereits in Dänemark und Schweden in den vergangenen Wochen zu Ausschreitungen und Reaktionen von Muslimen in verschiedensten Ländern der Welt. Auf Grund der Unruhen im Land und äußerer Reaktionen hoben die schwedischen Behörden am vergangenen Donnerstag etwa die Gefahrenstufe im Sicherheitssystem von fünf auf vier an. Selbstredend erzeugen Aktionen wie das Verbrennen des Koran auch eine islamfeindliche und anti europäische Rhetorik innerhalb der muslimischen Community und sind Wasser auf den Mühlen des türkischen Staatspräsidenten Erdogan, sondern auch auf den Netzwerken der Muslimbruderschaft, dass das Wort: Islamophobie längst zu ihrem neuen Kampfbegriff ernannten.
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