Der Einmarsch Russlands in die Ukraine war für die Bundesregierung der endgültige Wendepunkt zur Diversifizierung ihrer Energiepolitik. Neben einem der wichtigsten Themen des 21. Jahrhunderts, dem Klimawandel, hat die politische Führung der viertgrößten Volkswirtschaft der Welt die Herausforderung, das fossile Zeitalter zu verlassen, zu einer ihrer obersten Prioritäten gemacht.
Deutschland will bis 2045 Klimaneutralität erreichen und mit diesem erklärten Ziel könnten Länder wie die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) zusammen mit anderen Golfstaaten zu Partnern der europäischen Wirtschaft werden. Robert Habeck (Grüne), Vizekanzler und zuständiger Minister für Wirtschaft und Klima, scheint davon überzeugt zu sein, dass die Zusammenarbeit mit der Golfregion dazu beitragen könnte, Klimaziele zu erreichen und Ambitionen zu steigern. Man geht davon aus, dass die VAE über ein erhebliches Potenzial für erneuerbare Energien und hervorragende Bedingungen für den Export großer Mengen grünen Wasserstoffs verfügen.
Angesichts der Entwicklungen im Windenergiesektor in Deutschland haben das emiratische Unternehmen „Masdar“ und das spanische Unternehmen „Iberdrola“ beschlossen, in die Entwicklung eines 476-Megawatt-Windparks in der deutschen Ostsee zu investieren. Quellen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten zufolge haben die beiden führenden Unternehmen im Bereich sauberer Energie eine strategische Vereinbarung für die Investition in den Windpark „Eagle Baltic Sea“ unterzeichnet. Das Projekt soll bis Ende 2024 in Betrieb gehen, mit einem genehmigten Mindesttarif von 64,6 Euro (71,54 Dollar) pro Megawattstunde für die ersten 20 Jahre.
Zusammenarbeit und Perspektiven des Projekts
Saubere Energie und eine nachhaltige Umwelt gehören zu den obersten Prioritäten der aktuellen Bundesregierung in Deutschland, insbesondere da das Land die größte Volkswirtschaft Europas ist. Damit steht es in Bezug auf umweltschädliche Emissionen an der Spitze der europäischen Länder und ist daher gezwungen, noch härter an der Erreichung der CO2-Neutralität zu arbeiten. Im Gegensatz dazu waren die VAE das erste Land in der MENA-Region, das sein Ziel der Klimaneutralität verkündete.
Siemens Energy und die Dubai Electricity and Water Authority (DEWA) haben im Mai 2022 in Dubai das erste grüne Wasserstoff-Pilotprojekt in der MENA-Region eröffnet, weitere Projekte zu grünem Wasserstoff und synthetischen Kraftstoffen sind in Planung. Siemens Energy wurde 1999 als lokales Unternehmen gegründet und hat seit 2014 einen neuen Hauptsitz in Masdar City im Nahen Osten. Gemeinsam mit der Regierung von Abu Dhabi, staatlichen Institutionen und Unternehmen leitet Siemens Energy die Entwicklung innovativer neuer Industrien und Möglichkeiten wie Wasserstoff und nachhaltige Flugkraftstoffe.
Die beiden Länder haben mehrere Abkommen im Zusammenhang mit sauberer Energie geschlossen und viele gemeinsame Programme wurden umgesetzt. Die Regierungen der Vereinigten Arabischen Emirate und Deutschlands diskutierten über die Einführung eines umfangreichen Aktionsprogramms zur Stärkung der Partnerschaft in drei Phasen im Zusammenhang mit der Energie der Zukunft. Zu diesen Säulen gehören die Steigerung der Produktion erneuerbarer Energien, die Verbesserung ihrer Effizienz und des Nachfragemanagements sowie die Ermöglichung einer höheren Speicherung grüner Energie. Dabei geht es auch um Treibstoffe für die Luftfahrt und den maritimen Sektor sowie um eine ambitionierte Partnerschaft in verschiedenen Formen des Energiesektors, die Teil der bereits 2017 von beiden Ländern unterzeichneten „Absichtserklärung“ zur Zusammenarbeit ist. Im Februar 2022 unterzeichneten die VAE und das Bundesland Bayern während eines Delegationsbesuchs in den VAE eine gemeinsame Absichtserklärung zur Zusammenarbeit bei den Bemühungen zur Bekämpfung des Klimawandels und zum Schutz der Umwelt.
In Abstimmung mit der emiratisch-deutschen Partnerschaft im Energiesektor, die 2017 begann, werden beide Seiten versuchen, den öffentlichen, privaten und akademischen Sektor einzubeziehen, um Möglichkeiten für eine Zusammenarbeit in Bereichen wie Klimaneutralität, Abfallmanagement, Kreislaufwirtschaft und Luftverschmutzung zu erkunden Kontrolle, Lebensmittelabfallmanagement, Abwasserbehandlung, Grundwassertechnologien und grüner Wasserstoff.
Frieden und Stabilität im Nahen Osten
Die Bundesregierung sucht nach neuen Friedenslösungen im Nahen Osten. Kurz nach ihrem Amtsantritt unternahm die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) eine Reise nach Israel, Ägypten und Jordanien. Sie kündigte ihre Absicht an, dem seit Jahren stagnierenden Nahost-Friedensprozess neuen Schwung zu verleihen. „Auch wenn der Konflikt im Nahen Osten für viele ein langjähriges Thema ist, können wir ihn nicht als aktuelle Situation akzeptieren. Der Friedensprozess zwischen Israel und den Palästinensern ist seit 2014 weitgehend ins Stocken geraten.“
Die Friedensvision Deutschlands scheint mit der der Vereinigten Arabischen Emirate übereinzustimmen, die Friedensmöglichkeiten durch Dialog und die Suche nach einer gemeinsamen Grundlage für die Zusammenarbeit erkunden und verbessern wollen. Auch der Klimaschutz war Baerbock bei ihrer Reise in den Nahen Osten ein großes Anliegen. Um dieses Problem anzugehen, möchte sie aufgrund der Besorgnis über steigende Temperaturen und zunehmende Wasserknappheit neue Formen der Zusammenarbeit mit regionalen Ländern erkunden. Zur Lage erklärte Baerbock: „Der Aufbau diplomatischer Beziehungen mit arabischen Ländern eröffnet neue und enorme Chancen für den Klima- und Energiesektor.“ Energie- und Klimafragen könnten für eine stärkere Zusammenarbeit und gutnachbarschaftliche Beziehungen sorgen und beziehen sich auf die 2020 unterzeichneten Friedensabkommen zwischen Israel und arabischen Ländern, darunter den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain.
Die aktuelle Bundesregierung ist davon überzeugt, dass Klimapolitik im 21. Jahrhundert auch Geopolitik ist und daher ein integraler Bestandteil der deutschen Außenpolitik sein sollte. Diese Konvergenz der Ansichten zwischen Berlin und Abu Dhabi eröffnet weite Bereiche für die Zusammenarbeit, um israelisch-palästinensische Friedensverhandlungen voranzutreiben, was sich positiv auf die Region als Ganzes auswirken und zu gemeinsamen Projekten zwischen regionalen Ländern führen würde, um stärkere Bindungen zwischen den Menschen aufzubauen .
Als Bundeskanzlerin Angela Merkel abgewählt wurde, hinterließ sie ihrem sozialdemokratischen Nachfolger Olaf Scholz eine schwere Last an herausfordernden Themen, die es zu bewältigen galt. Dazu gehört die Libyen-Krise, zu deren Stabilisierung sich die neue Bundesregierung im Rahmen des UN-Plans und des Berliner Prozesses verpflichtet hat.
In den letzten zehn Jahren stellte der Bürgerkrieg in Libyen die Koordinierung zwischen den europäischen Ländern vor eine schwierige Prüfung und offenbarte erhebliche Unterschiede in ihren Reaktionen. Es hatte auch negative Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen Europa und dem Maghreb. Nach Angaben von Beamten in Abu Dhabi spielten die VAE eine wesentliche Rolle im sog. Berlin-Prozess.
Die erste Berliner Konferenz im Jahr 2020 – noch unter Bundeskanzlerin Merkel – befasste sich mit dem libyschen Übergangsprozess und umfasste die Teilnahme von Schlüsselfiguren wie General Khalifa Haftar und dem Premierminister der Regierung der Nationalen Einheit Fayez al-Sarraj sowie mehreren internationalen Vertretern Organisationen zusammen mit elf Ländern, darunter den VAE. Zu den wichtigsten vereinbarten Punkten gehörten: Keine militärische Lösung des Konflikts, Einhaltung des seit 2011 von den Vereinten Nationen gegen Libyen verhängten Waffenembargos und eine Verpflichtung der betroffenen Länder, das Embargo zu respektieren und sich nicht in die inneren Angelegenheiten Libyens einzumischen um den Frieden wiederherzustellen.
Die 2021 abgeschlossene „Berlin 2“-Konferenz zu Libyen bekräftigte die Verpflichtung, am 24. Dezember Wahlen abzuhalten. Sie forderte außerdem den sofortigen Abzug ausländischer Söldner aus Libyen, den koordinierten und ausgewogenen Abzug ausländischer Streitkräfte, eine beschleunigte Lösung für bewaffnete Gruppen und Milizen, einschließlich der Entwaffnung. Darüber hinaus forderte es die Verhängung von UN-Sanktionen gegen Verstöße gegen das Waffenembargo oder den Waffenstillstand sowie den Aufbau einer einheitlichen libyschen Sicherheits- und Verteidigungstruppe unter ziviler Führung.
Diese Ziele bilden die Grundlage für eine gemeinsame Vision zwischen den VAE und Deutschland, deren Schwerpunkt auf der Unterstützung Libyens bei der Erreichung einer friedlichen politischen Lösung liegt. Dies ist besonders relevant angesichts der jüngsten Entwicklungen in den Beziehungen zwischen der Türkei und den Vereinigten Arabischen Emiraten, die beide wichtige Akteure in der Libyen-Krise sind. Ein Ziel war es, dass beide Parteien zusammen mit dem Engagement Deutschlands im Berliner Prozess zu positiven Ergebnissen beitragen könnten, insbesondere nach der Verschiebung der Wahlen in Libyen und erneuten Spannungen zwischen den Beteiligten.
Wirtschafts- und Handelsbeziehungen
Beide Länder sind kontinuierlich bestrebt, Investitionen zu fördern und mögliche Investitionsmöglichkeiten zu erkunden. Die VAE eröffneten 2021 das Abu Dhabi Investment Office (ADIO) in Deutschland. Ein Jahr später startete das Büro seine erste virtuelle Veranstaltung für deutsche Wirtschaftsführer, Führungskräfte und Unternehmer, bei der Expansionsmöglichkeiten in der Hauptstadt der VAE, Abu Dhabi, vorgestellt wurden. „Durch das Frankfurter Büro von ADIO verstärken wir unsere Unterstützung für deutsche Unternehmen und bieten schnellen Zugang zu zahlreichen Möglichkeiten im Nahen Osten. Ich lade alle deutschen Wirtschaftsführer ein, Abu Dhabi für ihre zukünftige Expansion in Betracht zu ziehen“, so Mohammed Ali Al Shorafa, Vorsitzender von erklärte das Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung in Abu Dhabi.
Für Deutschland gelten die VAE als größter Handelspartner der Region. Im Jahr 2020 erreichte das bilaterale Handelsvolumen 7,51 Milliarden Euro. Angesichts des starken gegenseitigen Interesses an einer weiteren Zusammenarbeit in Bereichen wie erneuerbare Energien, intelligente Fertigung, Digitalisierung und anderen innovationsgetriebenen Sektoren dürfte die Partnerschaft noch profitabler werden. Die Emirate führten die Liste der deutschen Warenimporteure unter den arabischen Ländern an (4761,95 Millionen Euro) im Zeitraum Januar bis September 2021, so der aktuelle Bericht der Arabisch-Deutschen Industrie- und Handelskammer.
Perspektiven
Die deutsche Außenministerin zeigt großes Interesse am Nahen Osten. Allerdings hat ihr Ansatz, wie ihre Besuche in Ägypten und Jordanien zeigten, eine realistischere Wendung genommen als erwartet. Die Grünen neigen ideologisch dazu, in Menschenrechts- und Demokratiefragen eine strengere Haltung einzunehmen. Die Außenministerin wurde in den deutschen Medien dafür kritisiert, dass sie sich bei ihren Gesprächen mit führenden Politikern des Nahen Ostens nicht auf diese Themen konzentrierte. Dies liegt wahrscheinlich daran, wie wichtig es ist, sich mit den Ländern der Region abzustimmen, ohne bei deren Führern Sensibilitäten zu wecken. Ägypten spielt eine wichtige Rolle in der Libyen-Krise und im israelisch-palästinensischen Friedensprozess, während Jordanien seit vielen Jahren ein wichtiger westlicher Partner ist und erheblichen Einfluss in Palästina und Syrien ausübt. Dieser pragmatische Umgang mit diesen Ländern dient der Kontinuität und Zusammenarbeit zwischen Deutschland und der Golfregion, einschließlich der Vereinigten Arabischen Emirate, zur Durchsetzung gemeinsamer Interessen.
Der Bereich saubere Energie gilt als einer der wichtigsten Bereiche für die Zusammenarbeit zwischen Abu Dhabi und Berlin. Deutschland verfügt über die notwendigen Kompetenzen, wissenschaftlichen Fachkenntnisse und Produktionskapazitäten im Bereich saubere Energie, während die VAE über die Investitionsfähigkeit sowie das politische und finanzielle Interesse verfügen, um die Bedeutung dieser Projekte zu erkennen und die Fähigkeit zu haben, sie in vielen Ländern des Nahen Ostens und Afrikas anzuführen.
Die Ansichten und Meinungen in diesem Artikel sind diejenigen des Autoren und müssen nicht die Richtlinien von MENA Research Center wiedergeben