Der 17. Oktober: Mitten im Zentrum Brüssels schießt ein Mann auf Passanten, tötet zwei schwedische Fußballfans und flüchtet. Die Polizei erschießt den Verdächtigen später, inzwischen reklamiert der IS die Tat für sich. Der Terror kehrt also wieder zurück. Der Attentäter fuhr unweit des Kanals in der Innenstadt von Brüssel mit einem Motorroller vor, erschoss zwei Schweden und verletzte einen weiteren Mann schwer, der ebenfalls die schwedische Staatsangehörigkeit hat. Der Attentäter rief „Allahu akbar“, bevor er mit einem Sturmgewehr das Feuer eröffnete. Mindestens eines seiner Opfer trug ein schwedisches Fußballtrikot, offensichtlich waren die Männer auf dem Weg zu Schwedens EM-Qualifikationsspiel gegen Belgien im König-Baudouin-Stadion.
Der Täter, ein 45-jähriger Tunesier, konnte zunächst entkommen. Einen Tag später spürte ihn die Polizei in einem Café auf, wo ihn ein Schuss tödlich verletzte. In einem Bekennervideo sagte der Mann, er habe dem IS die Treue geschworen und brüstete sich: „Jetzt habe ich drei Schweden getötet. Ich danke Gott.“ Er hatte 2019 in Belgien Asyl beantragt, war jedoch im Jahr darauf abgelehnt worden und den Behörden wegen diverser Verbrechen im Zusammenhang mit Menschenhandel, illegalem Aufenthalt und Gefährdung der Staatssicherheit bekannt. Nach Angaben von Premierminister Alexander De Croo hielt er sich illegal in Belgien auf.
Der belgische Justizminister Vincent Van Quickenborne hat nach Kritik an seiner Arbeit im Zusammenhang mit der Terrorattacke seinen Rücktritt erklärt. Van Quickenborne sprach von einem „Riesenfehler“. Deshalb habe er bei Ministerpräsident Alexander De Croo seinen Rücktritt eingereicht. Die Ermittlungen hatten ergeben, dass die belgischen Justizbehörden ein Ersuchen Tunesiens, den späteren Mörder im August 2022 auszuliefern, ignoriert hätten. „Ich möchte die volle politische Verantwortung dafür übernehmen“, fügte Van Quickenborne hinzu. Warum der Auslieferungsantrag von dem Richter nicht bearbeitet wurde, blieb zunächst unklar. Den Angaben der Justiz zufolge wurden diesem Richter im vergangenen Jahr 31 internationale Auslieferungsanträge übergeben. 30 bearbeitete er demnach, nur den des späteren Attentäters nicht. Nach Angaben italienischer Behörden war bereits seit 2016 bekannt, dass er Islamist war.
Die Behörden riefen nach dem Anschlag die höchste Terrorwarnstufe aus und rieten den Bürgern, zu Hause zu bleiben. Unternehmen und Institutionen empfahlen ihren Beschäftigten Heimarbeit, während die Polizei den Stadtteil Schaerbeek durchkämmte, in dem der Islamist zuletzt gelebt haben soll und in dem sie zunächst nur dessen schwarzen Roller fand. Erst am Morgen, mehr als zwölf Stunden nach den ersten Schüssen, gelang der Zugriff. Nach Angaben der Behörden stellte die Polizei den Mann in einem Café in Schaerbeek, nachdem ihn ein Zeuge erkannt hatte.
Terror-Organisationen riefen europaweit Muslime dazu auf, „Rache zu nehmen“ Das offenbar islamistische Motiv steht im Zusammenhang mit den Koranverbrennungen, die in Schweden seit Anfang des Jahres immer wieder stattfinden. Nachdem die 57 Mitgliedsländer der Organization of Islamic Cooperation Schweden im Sommer dafür verurteilt hatten, solche öffentlichen „Schändungen unseres heiligen Buches“ zuzulassen, riefen verschiedene Terror-Organisationen, darunter al-Qaida, IS, al-Shabab und Hisbollah, zu Anschlägen auf. So forderte etwa die zu al-Qaida gehörende as-Sahab Media Foundation europaweit Muslime dazu auf, „Rache zu nehmen“ an Dänemark und Schweden für die Koranverbrennungen. Sie bezeichnete es als heilige Pflicht aller Muslime, „diese aggressiven Menschen“ anzugreifen: „Dänemark und Schweden sind zwei kleine, verachtenswerte Länder, nur zwei kleine Flecken auf der Weltkarte. Muslime in Dänemark, Schweden und ganz Europa, die Pflicht zur Rache lastet auf euch.“
Damals sagte der schwedische Terrorismusexperte Hans Brun, der am Londoner King’s College lehrt, dieser Aufruf richte sich dezidiert an „Einzeltäter“. Der schwedische Staatsschutz Säpo hatte damals für ganz Schweden die Terrorwarnstufe vier (auf einer Skala von fünf) ausgerufen. Außerdem wurden die Grenzkontrollen Anfang August verschärft. Schon vor den Koranverbrennungen wurde Schweden von islamistischen Gruppierungen als neues Feindbild gezeichnet: Seit Dezember 2021 wurden in den sozialen Medien Fake News verbreitet, Schweden würde muslimischen Familien die Kinder wegnehmen und zur Adoption freigeben. Teils hieß es, die Kinder würden gezwungen, Schweinefleisch zu essen, teils, man verkaufe sie an pädophile Kriminelle. Es war die Rede von 20.000 Kindern. Diese Videos wurden millionenfach geteilt, zusammen mit Aufrufen, das „faschistische“ Land zu boykottieren.
Der Attentäter in Brüssel soll laut der belgischen Bundesanwaltschaft immer wieder die Website „Sweden Injustice“ besucht haben, auf der diese und andere Verschwörungserzählungen ventiliert werden. Die belgische Bundesanwaltschaft schloss aber auch einen Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt nicht aus. Wenige Stunden vor dem Anschlag hatte der islamistische Terrorist in sozialen Netzwerken mehrere Beiträge veröffentlicht, die sich auf die Situation in Gaza bezogen, darunter: „Der Sieg der verletzlichen Muslime in Gaza ist die Pflicht eines jeden Muslims.“ Der schwedische Ministerpräsident Ulf Kristersson sagte in einer Pressekonferenz, der tunesische Attentäter sei mehrmals in Schweden gewesen, aber nie der Polizei aufgefallen. „Wir müssen unsere offene demokratische Gesellschaft schützen“, so Kristersson. „Wir müssen für unsere eigenen Werte einstehen und an ihnen festhalten. Wir sind nicht diejenigen, die sich an Terroristen anpassen.“ Das schwedische Außenministerium rief alle Schweden dazu auf, „erhöhte Vorsicht und Wachsamkeit walten zu lassen sowie den Rat der örtlichen Behörden zu befolgen“.
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