Noch letztes Jahr sah man ein Foto des deutschen Wirtschaftsministers und Vizekanzlers Robert Habeck, wie er etwas unbeholfen bei seinem Besuch in Katar eine tiefe Verbeugung vor dem autoritären Emir machte. Das Foto ging damals durch die Medien und der Betrachter war sich nie sicher, ob es nur eine höfliche Geste des Ministers war oder eher eine besondere Art des Kniefalls.
Damals ging es darum, dass nach der russischen Invasion in der Ukraine darum ging, sich unabhängig von russischen Gaslieferungen zu machen. Daher fuhr Habeck nach Katar, einem wichtigen Exporteur von Flüssigerdgas. Was später folgte, war ein Gas-Deal: Ab 2026 liefert Katar Flüssiggas nach Deutschland – in großem Stil.
Ein Jahr später, steht dieser Deal plötzlich in einem ganz anderen Licht da. Einen Monat, nachdem Terroristen der Hamas in Israel eingefallen sind und ganze Familien massakriert haben, ist Katar wieder im Gespräch, als ein Staat, der neben Iran einer der wichtigsten Finanziers der Hamas ist. Als das Land, in dessen Hauptstadt Doha sich Irans Außenminister und der Hamas-Chef trafen, um dort über Möglichkeiten zu sprechen, die „Achse des Widerstands“ gegen Israel zu stärken. So ist es nicht überraschend, dass es erste Forderungen gibt, den Gas-Deal, der für Deutschlands Energiesicherheit so wichtig schien, zu kippen.
Gas ist nur ein Teilaspekt. Das Golfemirat mischt über Aktienbeteiligungen bei den größten deutschen Konzernen wie VW, Siemens, RWE und der Deutschen Bank mit. An die 17 Prozent hält die staatlich gelenkte Investmentgesellschaft Qatar Holding LLC an VW. Oder die Deutsche Bank, wo die Herrscherfamilie al-Thani zunächst mit 1,8 Milliarden Euro einstieg. Mehr als sechs Prozent halten zwei Fonds der Herrscherfamilie Al-Thani heute am Stammkapital der Bank. Auf solchen Wegen ist das Emirat zum größten arabischen Investor in der Bundesrepublik avanciert. Mehr als 25 Milliarden Euro aus Katar stecken in deutschen Unternehmen.
Wie stehen nun die durch katarisches Geld beeinflussbaren deutschen Unternehmen zur Situation in Israel? Üben sie Kritik oder halten sie sich zurück mit öffentlichen Stellungnahmen? Auf einmal geht es nicht mehr nur um Aktien und Dividenden. Nun geht es auch um jene 200 Geiseln, die sich noch in den Händen der Hamas befinden sollen. Und um die Frage: Soll man Tamin bin Hamad Al-Thani, dem Emir von Katar, jetzt mit Fragen nach Verantwortung und Moral kommen? Soll man fragen, warum sich Irans Außenminister und der Hamas-Chef ausgerechnet in Doha treffen durften? Oder ob Katar absichtlich übersehen hat, dass Hilfsgelder nach Gaza auch an Terroristen gingen? Oder soll man darauf setzen, dass der Emir nun ganz im Gegenteil die Vermittlerrolle einnimmt, die sich insbesondere der Westen gerade von ihm erhofft?VW erklärte, dass es „an der Seite Israels und seiner Bevölkerung“ stehe und „die terroristischen Angriffe der Hamas auf unschuldige israelische Zivilisten auf das Schärfste“ verurteile. Zu den schweren Vorwürfen gegen seinen Großaktionär schreibt VW nur: „Katar trägt als langfristiger Investor die Unternehmensstrategie der Volkswagen AG vollumfänglich mit.“ Ähnliche Reaktionen aus Frankfurt: Die Deutsche Bank schreibt auf Anfrage, man habe langjährige Aktionäre aus Katar, die die Strategie der Bank unterstützten. „Darüber hinaus äußern wir uns aber nicht zu einzelnen Aktionären oder unserem Austausch mit ihnen.“ Abgesehen davon verurteile die Bank die terroristischen Anschläge, die auf zivile Ziele gerichtet waren. Gleichzeitig mache man sich Sorgen um die Zivilisten im Gazastreifen, die keine Verbindung zu den Terroristen haben.
Die deutschen Unternehmen wissen, dass sie am kürzeren Hebel sitzen. Würde der Investor vom Golf sein Milliardenpaket an VW verkaufen, hätte dies schwere Auswirkungen auf den Aktienkurs. Dazu kommt, dass die Aktionäre aus Nahost bei Konzernchefs bislang beliebt waren, auch weil sie sich nicht ins Tagesgeschäft einmischen. Bei der Deutschen Bank etwa sah die Familie Al-Thani jahrelang zu, wie der Aktienkurs verfiel und winkte Jahr für Jahr Milliarden-Boni durch.
Was also tun mit Katar? Und vor allem: Wer soll es tun? Es sei eine politische Frage, die auch nur von der Politik in Berlin entschieden werden kann, nicht von den Mitaktionären. Deutsche Dividenden als Finanzierungsquelle für islamistische Terroristen? Dass ein solcher Verdacht geeignet ist, den Ruf der Bundesrepublik weltweit zu beschädigen, darüber ist man sich auch in der Bundesregierung im Klaren. In mehreren regierungsinternen Runden kam das Thema wiederholt zur Sprache. Bisher ohne Konsequenz allerdings, denn Kanzler Olaf Scholz und seine Ministerriege stehen vor allem vor dem Gas-Dilemma: Katar soll ja von 2026 an große Mengen an Flüssiggas nach Deutschland liefern. Ein Vorhaben, das die Regierung keinesfalls gefährden will, um die Energieversorgung in Deutschland nicht noch schwieriger zu machen. Deshalb wird beispielsweise der Gedanke, Katar wegen der Verbindungen zur Hamas mit Wirtschaftssanktionen zu belegen, in Berlin nicht einmal diskutiert.
Deutsche Experten meinen, dass der Fall Katar auch die Grenzen der wertegeleiteten Außenpolitik aufzeige. Folgende Frage macht auch bei Ökonomen die Runde: „Kein Gas aus Russland zu beziehen, das war schmerzhaft, aber es ging. Jetzt aber auch kein Flüssiggas aus Katar, dann stellt sich irgendwann die Frage: Wo können wir überhaupt noch Gas kaufen?“ Trotzdem tendiert man dazu, nicht aus Geldgründen Katar zu schonen, sondern aus außenpolitischen Erwägungen. Aktuell werde Katar vermutlich als Vermittler gebraucht, damit die Lage im Nahen Osten nicht komplett eskaliere. Sehr wohl aber sei jetzt der richtige Zeitpunkt, sich Sorgen zu machen über die enge Verflechtung der deutschen Wirtschaft mit Katar.
In Regierungskreisen verweist man darauf, dass die aus der Muslimbruderschaft entstandene Terrorgruppe Hamas zum größten Teil von Iran finanziert wird. Aber natürlich gibt es erhebliche Zahlungen Katars. Der Emir von Katar stellt etwa Monat für Monat eine zweistellige Millionensumme zur Bezahlung von öffentlich Bediensteten der Hamas sowie zur Unterstützung armer palästinensischer Familien bereit. In deutschen Regierungskreisen heißt es, diese Zahlungen seien mit Wissen, ja sogar mit der Billigung Israels und der USA erfolgt. So flogen Abgesandte des Emirs laut Information der Geheimdienste wohl in Doha mit Koffern voller Geld über den Ben-Gurion-Flughafen von Tel Aviv ein und passierten in Begleitung von Agenten des israelischen Geheimdienst Mossad am offiziellen Übergang Erez die Grenze nach Gaza. Auch wurden Baumaterialien aus Ägypten und Benzin für eine Meerwasserentsalzungsanlage aus Israel mit Hilfe Katars nach Gaza geliefert.
Hinter all dem steckte wohl das Kalkül, in Gaza ein Mindestmaß an öffentlicher Ordnung sowie Schulen, eine halbwegs funktionierende Verwaltung und eine ausreichende Gesundheits- und Lebensmittelversorgung zu gewährleisten. Die Idee dahinter: Andernfalls würde der Gaza-Streifen endgültig zum unkontrollierbaren Pulverfass mit unabsehbaren Folgen für die Sicherheit der Menschen im Westen Israels. Auch könnte es unzählige Flüchtlinge geben. Da die Hamas ihren politischen Sitz in Doha hat und weder Washington noch Tel Aviv selbst als Geldgeber auftreten wollen, bot sich Katar als Finanzier an.
Eines aber ist nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel offensichtlich: Die Strategie, die Hamas und Gaza mit dem Geld ruhig zu stellen, ist nicht aufgegangen. Die Bühne, auf der sich diese Frage entscheidet, ist die Weltpolitik, nicht der Aufsichtsrat von VW und Deutscher Bank. In der deutschen Wirtschaft hat das alles aber jetzt schon Folgen. Wenn der Name Katar fällt, ist die Vorsicht auf einmal groß. Wer wo investiert, wird künftig wohl kritischer beäugt als in der Vergangenheit.
Alle Veröffentlichungs- und Urheberrechte sind dem MENA Research Center vorbehalten.