Eigentlich ist die Sache klar: Rechtspopulistische und rechtsextremistische Parteien in Europa sehen in Fremdenfeindlichkeit und Islam-Bashing ein probates Mittel, unzufriedene Wähler auf ihre Seite zu ziehen. Überall werden Migranten oder die islamische Religion als Grundübel aller Probleme Europas gesehen.
So auch die deutsche rechtsextreme AfD, die gute Chancen hat, bei drei Kommunen Landtagswahlen im Osten Deutschlands stärkste Partei zu werden. Auch bei den anstehenden Europawahlen im Juni wird spekuliert, dass diese Gruppierung einen starken Zuwachs haben wird.
Schaut man in das Parteiprogramm der AfD, das 2016 beschlossen wurde, ist die Sache eindeutig: Ganze 50 Mal werden der Islam und Muslime dort erwähnt, nahezu ausschließlich negativ. Auch Äusserungen von führenden Vertretern der Partei lassen darauf schließen, dass der Muslime in Deutschland das Hauptübel sind. Die Grenzen zum muslimfeindlichen Ressentiment werden dabei immer wieder überschritten.
Nun rumort es aber langsam, zumindest in Teilen der Rechtsaußen-Partei. Es mehren sich dort Stimmen, die für einen neuen Umgang mit dem Islam und mit Muslimen plädieren, bis hin zu einem Bündnis mit reaktionären Kräften. Noch ist eine solche Strategie allerdings parteiintern umstritten. Zugrunde liegt die von der Neuen Rechten propagierte kulturrelativistische Ideologie des Ethnopluralismus, die die Existenz homogener Völker behauptet, für gegenseitigen Respekt plädiert sowie letztlich auf ethnisch reine Gesellschaften zielt, die mit dem Grundgesetz in keiner Weise vereinbar sind. Die Präsenz des Islam in Deutschland wird abgelehnt, islamisch begründete Unterdrückungsverhältnisse andernorts werden hingegen unkritisch betrachtet. Relevant sind außerdem gemeinsame Feindbilder, die radikale Rechte und radikale Muslime teilen – insbesondere Liberalismus, „Verwestlichung“ und „Amerikanisierung“.
Vertreter einer solchen Denkschule finden sich in der völkisch-nationalistischen Strömung, die große Teile der AfD entscheidend prägt. Eine wichtige Rolle spielt etwa der AfD-Spitzenkandidat für die Europawahl: Krah hat 2023 eine Art Manifest vorgelegt, das vom deutschen Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft wird. „Politik von rechts“, der Titel der Hetzschrift, hat in weiten Teilen seiner Partei scharfen Widerspruch ausgelöst.
Die „Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam“, die im AfD-Grundsatzprogramm als Beleg für die Unvereinbarkeit islamischer Gesetze mit der hiesigen Rechtsordnung gilt, weise „den richtigen Weg“, heißt es in Krahs Buch. „Es ist nicht einsehbar, weshalb in New York definiert werden soll, wie in Ägypten oder Indonesien der Ausgleich zwischen Individuum und Familie, Stamm, Religionsgemeinschaft erfolgen soll.“
Die Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam ist eine Erklärung, die 1990 von Mitgliedsstaaten der Organisation der Islamischen Konferenz (heute Organisation für Islamische Zusammenarbeit) verabschiedet wurde. Diese Erklärung ist ein Versuch, die Konzepte der Menschenrechte aus islamischer Perspektive zu definieren und zu formulieren.
Die Kairoer Erklärung betont die Bedeutung der Scharia, des islamischen Rechts, als Grundlage für die Interpretation und Umsetzung der Menschenrechte im Islam. Sie legt fest, dass alle Rechte und Freiheiten im Einklang mit der Scharia stehen sollten, was bedeutet, dass sie nicht über die Grenzen dessen hinausgehen dürfen, was im Islam als akzeptabel angesehen wird.
Kritiker argumentieren, dass die Kairoer Erklärung nicht mit den universellen Menschenrechten, wie sie in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen festgelegt sind, übereinstimmt. Einige der Unterschiede umfassen die Einschränkung bestimmter Rechte, wie der Meinungsfreiheit, um die Wahrung der öffentlichen Ordnung und Moral gemäß der Scharia zu gewährleisten.
Die Erklärung hat auch Kritik hinsichtlich der Interpretation und Anwendung der Menschenrechte aus islamischer Sicht erfahren. Einige argumentieren, dass sie nicht ausreichend Schutz für bestimmte Gruppen, insbesondere Frauen und religiöse Minderheiten, bietet.
Insgesamt stellt die Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam einen Versuch dar, die Konzepte der Menschenrechte mit islamischen Werten und Rechtsnormen in Einklang zu bringen, wobei jedoch weiterhin Debatten und Kontroversen über ihre Wirksamkeit und ihre Vereinbarkeit mit den universellen Menschenrechten bestehen.
Teile der AfD scheinen also eine offene Sympathie für die islamische Sichtweise auf Menschenrechte zu haben, solange sie nur nicht in Deutschland stattfindet. Der AfD-Spitzenkandidat musste sich kürzlich parteiintern auch für eine andere von ihm gemachte Aussage verteidigen. Der islamkritische Schriftsteller Salman Rushdie wurde im Oktober vergangenen Jahres mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Es sei „bemerkenswert, mit welcher Inbrunst die linksliberale Schickeria die islamische Welt demütigt“, sagte Krah nach der Preisverleihung. Es sei „kein Verdienst“, den Koran zu „verspotten“. „Wir wenden uns gegen islamische Einwanderung, nicht gegen die islamische Welt“, so Krah. Es geht aber noch weiter: In einem Video verteidigte er den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, „Präsident Erdogan ist nicht dein Feind“, Erdogans Bilanz könne „sich sehen lassen“.
In Teilen der AfD werden Krahs Aussagen alles andere als gefeiert. „Wer Erdogan als Vorbild sieht, rüttelt an den Grundfesten der AfD“, sagt ein AfD-Bundestagsabgeordneter. „Erdogan ist Teil der Muslimbruderschaft, die die Muslime weltweit radikalisieren will. Das ist definitiv nicht in unserem Interesse.“ Auch die Kritik an Salman Rushdie sei „gegen die DNA der AfD“.
Experten sehen jedoch bei rechtspopulistischen Parteien ein Muster, wie diese neuerdings Islamisten hofieren. Rechtsradikale Nationalisten können sich für andere Nationalisten erwärmen, sie teilen zentrale Wertvorstellungen. Sie betonen, dass sich die anderen Parteien bei der Kritik von Antisemitismus oder Frauenfeindlichkeit im orthodox-konservativen Mainstream-Islam lange zurückgehalten und damit den Fremdenfeinden von der AfD zeitweise das Feld überlassen hätten. „Würden Linke oder auch Liberale ihre eigenen Emanzipationsansprüche ernst nehmen, müssten sie die Avantgarde bilden bei der Bekämpfung des radikalen politischen Islam“, so ein Politikwissenschaftler.
Der Vizechef der AfD im ostdeutschen Sachsen-Anhalt, hatte sich für eine Diskussion Ende letzten Jahres Huseyin Özoguz, Moderator des islamistischen YouTube-Formats „Actuarium“ eingeladen. „Ich halte es für angezeigt, dass wir uns öffnen für die Muslime, die ja auch schon AfD-affin sind“, sagte der Rechtsaußen vor der Kamera. „Der Islam ist auch nicht wirklich das Problem“, der Islam gehöre zwar „nicht zu Deutschland“, das solle aber nicht als Kritik am Islam verstanden werden. Die ist kulturrelativistischer Ethnopluralismus in Reinform.  Für Aufruhr in der rechten Partei, die von deutschen Sicherheitsorganen mittlerweile als „teilweise rechtsextremistisch“ eingestuft wird, sorgte kürzlich auch ein Buch, das in einem rechtsextremen Verlag erschienen ist: „Feindbild Islam als Sackgasse“. Das „patriotische Lager“ sollte „sein Islam-Bild“ überdenken, heißt es darin. Der Autor plädiert darin für eine „Perspektivumkehr in ethnisch besonders heterogenen Landesteilen“, die „nach weltanschaulich-ideologischen Schnittmengen und Kooperationspotenzialen zwischen ‚Konservativen‘ jedweder Herkunft Ausschau hält und ‚den‘ Islam nicht an seinen destruktiven, sondern an seinen konstruktiven Potenzialen bemisst“. Es gebe ein „konstruktives Chancenpotenzial in der Öffnung für den (wachsenden) Wählerpool konservativer Muslime“.
In der Neuen Rechten, an der sich ein immer größer werdender Teil der AfD-Mitgliedschaft orientiert, sind solche Thesen keineswegs neu. Alain de Benoist, einer der maßgeblichen Vordenker der Neuen Rechten, sagte schon 1998, dass die „Eröffnung einer Fast-Food-Filiale“ für „unsere Identität sicher eine größere Bedrohung als der Bau einer Moschee“ sei. Andere warnen die AfD davor, sich durch eine scharfe Islamkritik mit „jenen Verteidigern ‚westlicher Werte‘“ zu verbünden, „die darunter vor allem das Recht auf Obszönität, Abtreibung und die Durchsetzung der Schwulenehe verstehen“.
In den 2017 erschienenen „Thesen zum Islam“ endet das antiamerikanische und antisemitische Weltbild des neurechten Publizisten Thor von Waldstein gar in einer Rechtfertigung des Islamismus. So führt er die „Radikalisierung des Islam“ darin unter anderem zurück auf „die US-amerikanische Neokolonialherrschaft, deren Maßlosigkeit zu wachsendem Widerstand geführt hat“ sowie „die Volk, Familie und Religion zersetzende Dekadenz des Westens, deren Zerstörungskraft der Islam spürt und gegen die sich zu wehren sein gutes Recht ist“.
Das Sprachrohr des extremistischen AfD-Flügels und Chefideologe Björn Höcke machte seine Position in der Publikation „Nie zweimal in denselben Fluss“ deutlich. Es brauche zwar eine „konsequente Verhinderung der drohenden Islamisierung Deutschlands“ und die Lösung des „ursächlichen Problems der Einwanderung“, aber einen „gebührenden Respekt gegenüber einer uns fremden Kultur“ sowie außenpolitisch einen „Ausstieg aus der internationalen ‚Anti-Islam-Koalition‘“. Die von der liberalen Islamkritik beklagte fehlende Aufklärung sei eine „interne Angelegenheit der muslimischen Welt, in die wir uns tunlichst nicht einzumischen haben“.
Es bleibt abzuwarten, inwieweit die deutsche AfD noch mehr Potential sieht, wenn sie sich in das Boot von Islamisten setzen. Parteiintern gibt es hier sicherlich noch genügend Gesprächsbedarf.
Alle Veröffentlichungs- und Urheberrechte sind dem MENA Research Center vorbehalten.