Die Beziehungen zwischen den Rivalen im östlichen Mittelmeer, Türkei und Griechenland, scheint sich langsam aber stetig zu verbessern. Beim letzten Besuch des griechischen Ministerpräsidenten Mitsotakis kam es zu einer überraschenden Geste des Gastgebers Erdogan nach Beendigung der Pressekonferenz, bei der zumindest in höflicher Form an die Unterschiede erinnert wurde: „Mein lieber Freund“, sagt Recep Tayyip Erdogan zum Premier aus Athen, an einem „wichtigen Punkt“ müsse er doch noch widersprechen: „Hamas ist keine Terrororganisation“, nein, es handele sich „um Menschen, die versuchen, ihr Volk zu schützen“. Mehr als 1.000 ihrer Mitglieder, so das türkische Staatsoberhaupt, seien aktuell in der Türkei in medizinischer Behandlung. Was ein türkischer Offizieller später korrigierte, Erdogan habe sich versprochen: Er habe Zivilisten aus Gaza gemeint, keine Kämpfer.
Dass der Sultan zu Überraschungen imstande ist, wenn es bei Begegnungen mit westlichen Politikern um den Krieg in Gaza geht, ist bekannt – auch der deutsche Kanzler Olaf Scholz musste das erleben, als Erdogan vergangenes Jahr nach Berlin kam. Damals war es die Frage eines deutschen Journalisten, die den türkischen Präsidenten provozierte. Beim Besuch des griechischen Premiers in Ankara war es vorsorglich nicht vorgesehen, dass die Presse Fragen stellt. Auch Mitsotakis dürfte damit einverstanden gewesen sein. Aber Erdogan hatte offenbar Lust, nochmals klarzustellen, wie er über Gaza denkt.
Am Tag zuvor hatte er den israelischen Premier mit Adolf Hitler verglichen – in einem Interview mit der griechischen Zeitung Kathimerini. Die Türkei stoppte kürzlich ihren Handel mit dem jüdischen Staat. Als er dann im Präsidentenpalast neben dem griechischen Regierungschef steht, spricht Erdogan wie üblich von dem „Genozid“ in Gaza, den er „im Namen meiner palästinensischen Brüder“ verurteile.
Eigentlich sollte die Reise Mitsotakis’ in das Nachbarland ein freundlicher Besuch werden. Erst im Dezember war Erdogan nach Athen gereist und hatte davon gesprochen, er wolle in den Beziehungen zu Griechenland „eine neue Seite“ aufschlagen. Früher hatte er anders geklungen, nicht lange her, dass er verkündete, für ihn existiere Mitsotakis nicht mehr. Er wolle „nie wieder“ mit ihm reden. Auch Mitsotakis fand lange Zeit starke Worte, wenn es um die Türkei ging, vor allem beim Thema Migration. Immer wieder sagte Mitsotakis, er werde sich von Erdogan nicht mit Geflüchteten „erpressen“ lassen.
Lange Zeit spielten beide auch mit den nationalistischen Gefühlen ihrer Wählerinnen und Wähler. Mitsotakis nutzte in seinen ersten Amtsjahren die anti-türkische Stimmung in Griechenland, um sich als harter Gegenspieler Erdogans zu profilieren. In der Türkei dagegen gibt es bis heute den Traum des „blauen Vaterlands“, sprich der Ägäis. Man fühlt sich durch die griechischen Inseln entlang der türkischen Küste des Zugangs zu dem Meer beraubt. Zu Erdogans rhetorischen Ausfällen gehörte der Satz, man könne die Inseln, die früher zum Osmanischen Reich gehörten, „eines Nachts“ erobern. Im Sommer 2020 dann glaubten in Griechenland viele, es stehe ein Krieg mit der Türkei bevor, da ließ Erdogan ein Bohrschiff bei Rhodos nach Gas suchen, eskortiert von Marineschiffen. Auch die griechische Marine lief damals aus. Und der letzte Konflikt ist erst ein paar Tage her: Da feierte die Istanbuler Chora-Kirche ihre Wiedereröffnung, ein Bau aus der byzantinischen Zeit, wie die Hagia Sophia im Osmanischen Reich in eine Moschee umgewandelt – nach dessen Ende aber in ein Museum. Zuletzt wurde die Kirche renoviert, seit Mai beten dort wieder Muslime. Wenig überraschend reagierte die griechische Presse darauf empört, in Griechenland achtet man sehr darauf, was mit den Kirchen passiert, die davon zeugen, wie viele Griechinnen und Griechen früher in Istanbul lebten.
Auch Mitsotakis kritisierte den Schritt, nach Ankara flog er trotzdem. Immerhin sollte es darum gehen, dass der griechisch-türkische Frühling, im Dezember in Athen ausgerufen, auch Bestand hat. Man wolle das Handelsvolumen zwischen den Ländern auf zehn Milliarden Dollar erhöhen, sagte der türkische Präsident, das wäre fast eine Verdopplung. Man helfe sich bei Naturkatastrophen, bei Waldbränden oder Erdbeben. Kyriakos Mitsotakis dankte dem „lieben Tayyip“ für die Gastfreundschaft. Er erwähnte, dass türkische Staatsbürger nun unkompliziert auf zehn griechische Inseln reisen können, während sie für den Rest des Schengenraums noch Visa beantragen müssen, was in der Türkei ein emotionales Thema ist. „Unsere Völker können sich einander so begegnen“, sagte Mitsotakis. Überall sah der Grieche „positive Entwicklungen“. Überrascht sah er nur aus, als Erdogan am Ende zu seiner Verteidigung der Hamas ansetzte. Da fiel Mitsotakis als Entgegnung nur der Satz ein, man müsse sich wohl darauf einigen, sich nicht einig zu sein. „Und darauf, dass wir einen Waffenstillstand brauchen.“ Dagegen hatte auch Recep Tayyip Erdogan nichts einzuwenden.
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