Der türkische Autokrat Recep Tayyip Erdogan überließ es seinem Kommunikationschef, die türkische Rolle beim großen Gefangenenaustausch zwischen Russland, Deutschland, den USA und anderen Staaten hervorzuheben. Die Türkei sei ein „diplomatisches Schwergewicht“, schrieb dieser X. Der Geheimdienst MIT habe Gesprächskanäle „für diese historische Operation“ geöffnet und zwischen Mächten vermittelt, die sich feindlich gegenüberstünden. Damit habe die Türkei sich als „verlässlicher Partner“ erwiesen.
Der MIT war nach Angaben des Präsidialamts von Anfang an massgeblich in die Verhandlungen und die Umsetzung des Austauschs involviert. Das Weisse Haus in Washington und der Kremlsprecher bestätigten dies. Der russische Geheimdienst FSB veröffentlichte Fernsehbilder von der Übergabe der Gefangenen in Ankara. An Bord des amerikanischen Flugzeugs befanden sich Russen, die in den USA zu langjährigen Haftstrafen wegen Cyber-Verbrechen, des Schmuggels westlicher Technologie und Finanzdelikten verurteilt worden waren, sowie der sogenannte Tiergartenmörder Wadim Krasikow, der in Deutschland zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilte Geheimdienstagent.
Einer der von den USA Freigelassenen, Wladislaw Kljuschin, war 2021 auf amerikanische Bitte in der Schweiz festgenommen und später in die USA ausgeliefert worden. Aus Slowenien wurde ein russisches Ehepaar, das als sogenannte „Illegale“ – unter falschem Namen lebende Spione – aufgeflogen war, aus Norwegen ein weiterer „Illegaler“ und aus Polen ein Spion überstellt.
Der MIT hatte als Erster die Namen der Freigekommenen verkündet, noch bevor die Regierung und der amerikanische Präsident Joe Biden die Details des Gefangenenaustausches bekannt gaben. Gleichzeitig zeigte das Staatsfernsehen Bilder der sieben Flugzeuge, mit denen die Freigekommenen nach Ankara gebracht worden waren. Ihre Gesichter wurden nur verschwommen gezeigt, offenbar um den Willkommensbildern am Flughafen Köln/Bonn und auf dem Luftwaffenstützpunkt Joint Base Andrews nicht vorzugreifen.
Für Erdogan hätten die Szenen auf dem Flughafen von Ankara reichlich Gelegenheit geboten, sich als verlässlichen NATO-Partner zu inszenieren. Doch das schien nicht in seinem Sinne. Als das Präsidialamt in Ankara bekannt gab, dass Erdogan mit dem amerikanischen Präsidenten telefoniert habe, lag sein Fokus auf dem Nahostkonflikt. Er sagte zu Biden laut der Mitteilung, Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu habe gezeigt, dass er keinen Frieden wolle. Zu dem Gefangenenaustausch wurde der türkische Präsident mit keinem Wort zitiert. Es wurde nur mitgeteilt, dass Biden Erdogan für dessen Unterstützung bei der Operation gedankt habe. Der türkische Präsident setzte hingegen demonstrativ andere Schwerpunkte. Während die Bilder vom Gefangenenaustausch über die Bildschirme flimmerten, verkündete das Präsidialamt, Erdogan habe mit dem Papst telefoniert, um ihm zu sagen, wie unmoralisch er die queere Szene aus der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Paris fand.
Anschließend ließ Erdogan zum nationalen Trauertag für den getöteten Hamas-Führer Ismail Haniyeh ausrufen und schickte seinen Außenminister und seinen Geheimdienstchef zum Begräbnis nach Doha. Um das noch zu unterstreichen, blockierten türkische Behörden das soziale Netzwerk Instagram. Sie ließen durchsickern, dass dies die Strafe dafür sei, dass Instagram Posts gelöscht hatte, in denen Haniyeh als Freiheitskämpfer gefeiert worden war. Unterdessen berief Israel den türkischen Geschäftsträger ein, weil die Botschaft in Tel Aviv die Flagge für Haniyeh auf Halbmast setzte.
Auch in der Mitteilung des MIT wurde Erdogans Rolle bei dem Gefangenenaustausch heruntergespielt. Es hieß lediglich, die Türkei setzte sich unter seiner Führung für Frieden und Stabilität in der Welt ein. Das bedeutet nicht, dass der Gefangenenaustausch auf türkischem Boden für Ankara kein wichtiger diplomatischer Erfolg ist. Die Szenen präsentieren das Land in jener Rolle, die es seit Langem für sich reklamiert und die auch der Präsident gern betont: als Scharnier zwischen Russland und dem Westen. Damit kann Ankara ein weiteres Mal demonstrieren, dass seine geostrategische Bedeutung seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine gewachsen ist.
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