Nach Erkenntnissen des deutschen Generalbundesanwalts sollen sieben Männer aus Zentralasien im Alter von 21 bis 47 Jahren entschlossen gewesen sein, in Deutschland und Westeuropa aufsehenerregende Anschläge zu begehen. Ihnen wird nun der Prozess gemacht.
Für die Anschläge standen sie in engem Kontakt mit Führungsfiguren des ISPK („Islamischer Staat Provinz Khorasan“), dem afghanisch-pakistanischen Ableger der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS). Einmal reiste ein Mitglied der mutmaßlichen Zelle über Iran nach Afghanistan, um sich dort mit einem ISPK-Mann zu treffen. Der höchst konspirativ agierende ISPK gilt derzeit als die größte dschihadistische Bedrohung in Deutschland. Nicht erst seit dem verheerenden Islamistenanschlag auf eine Konzerthalle in einem Moskauer Vorort Ende März schätzen die Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern die Gefahr durch ISPK-Terroristen auch hierzulande als hoch ein.
Die sieben Männer gehörten zu einer mutmaßlichen Terrorzelle, die seit vielen Monaten von deutschen Sicherheitsbehörden gemeinsam mit niederländischen Ermittlern und der europäischen Agentur für justizielle Zusammenarbeit Eurojust beobachtet wurde. Die Behörden wollten einerseits möglichst viel über das noch immer vergleichsweise neue Phänomen ISPK in Erfahrung bringen und andererseits das weitläufige Kontaktnetz der Männer und ihre Pläne möglichst detailliert aufklären.
Vor etwas mehr als einem Jahr entschieden sich die Ermittler dann zum raschen Zugriff. Auch wenn die Gruppe noch keine konkreten Anschlagspläne verfolgte, waren auch die bis dahin bei umfangreichen Überwachungsmaßnahmen zusammengetragenen Informationen höchst beunruhigend. Seither sitzen der mutmaßliche Anführer der Gruppe und dessen Ehefrau in Holland in Haft. Die nun in Düsseldorf angeklagten Männer wurden von Spezialkräften an mehreren Orten in Nordrhein-Westfalen festgenommen. Fünf der mutmaßlichen ISPK-Anhänger stammen aus Tadschikistan, je einer aus Kirgistan und Turkmenistan. Nach Erkenntnissen des Staatsanwalts kamen die Männer, die sich seit mehreren Jahren kennen und untereinander vernetzt sind, kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine von dort und über Polen mit gefälschten Papieren nach Deutschland. Ende Juni 2022 schlossen sie sich dann zu einer abgeschottet und konspirativ agierenden Vereinigung zusammen, um in Deutschland und in anderen westeuropäischen Ländern „öffentlichkeitswirksame terroristische Anschläge zu verüben“, wie es in der Anklageschrift heißt. Bis zu ihrer Festnahme trafen die mutmaßlichen Mitglieder der Terrorzelle mindestens 58-mal an verschiedenen Orten in Nordrhein-Westfalen, den Niederlanden und Belgien zusammen, um in rastloser Folge über eine Vielzahl geeigneter Anschlagsziele, die technische Umsetzung und mögliche Opfer zu sprechen. Laut Anklage diskutierten die Männer auch über einen Anschlag auf eine liberale Moschee in Berlin; zwei der Beschuldigten tauschten Bilddateien der Moschee untereinander aus. Ein Hinweis dafür, wie eng die Verdächtigen in die ISPK-Struktur eingebunden waren, könnte sein, dass die liberale Berliner Moschee einige Monate später in einem von der Terrorgruppe herausgegebenen Onlinemagazin als „Ort der Teufelsanbetung“ bezeichnet und damit auch für andere Attentäter implizit als mögliches Anschlagsziel benannt wurde.
Seit Anfang 2023 soll sich die Gruppe dann besonders für Anschläge auf Juden interessiert haben. Bei einem der Treffen informierte sich ein mutmaßliches Mitglied im Internet über den Tagesablauf von gläubigen Juden und ihre Gebets- und Bekleidungsvorschriften. Anfang April 2023 verfolgten verdeckte Fahnder der Bundespolizei drei der Männer vom Kölner Hauptbahnhof auf die Deutzer Kirmes, wo sie zahlreiche Fahrgeschäfte und die Umgebung fotografierten. Dazu finden sich in der am Dienstag verlesenen Anklage nur wenige Zeilen, nach Einschätzung der Ermittler diente auch der Kirmesbesuch der Suche nach möglichen Anschlagszielen.
Einer der Männer soll im März 2023 mehrere mit einer klaren Flüssigkeit gefüllte Plastikflaschen in einem Koffer platzieren – vermutlich um dessen Eignung als Kofferbombe zu prüfen. Bilder davon schickte er an einen anderen Angeklagten, der in die technischen Vorbereitungen eines Anschlags eingebunden gewesen sein soll. Auch um die Beschaffung von Waffen hat sich die Gruppe laut Anklage intensiv bemüht. Der Kauf einer Pistole des Typs Makarov scheiterte im Juni 2023 aber, weil nicht genug Geld zusammenkam. Auch zum Kauf einer Stinger-Rakete zum Preis von 5000 Euro kam es nicht; die Kriegswaffe war der Gruppe von einem Mann aus dem teilweise russisch besetzten Gebiet Donezk angeboten worden. Parallel recherchierte ein anderes Mitglied der mutmaßlichen Terrorzelle wiederholt im Internet nach Waffen, etwa nach Maschinenpistolen des Typs AK-47. Letztlich scheiterten die Anschläge vor allem an der Finanzierung. Ein potentieller Geldgeber der Gruppe – ein tschetschenischer ISPK-Kämpfer – kam in Afghanistan ums Leben. Der mutmaßlichen Terrorzelle gelang es dann zwar, einen neuen Finanzier zu gewinnen; einen bisher nicht identifizierten, in Österreich lebenden Tschetschenen. Kurz darauf wurden die sieben Männer aber festgenommen. Auch wenn die Gruppe noch keine konkreten Anschlagsziele gehabt hat, ergibt sich für die Staatsanwaltschaft aus der Gesamtschau der Ermittlungsergebnisse ein schwerer Tatverdacht. Sehr ergiebig muss die Auswertung von Mobiltelefonen und Chat-Nachrichten gewesen sein. Auf dem Handy des mutmaßlichen Kopfs der Gruppe fanden sich Dokumente für die Planung von Terrorakten wie etwa Anleitungen für eine Gasexplosion und die Sprengmittelherstellung.
In Whatsapp-Chats bekundete einer der Angeklagten, dass das Leben unter „Ungläubigen“ keine Freude mache, er Europa „satt“ habe und die Gruppe hier in der Erwartung lebe, „zu Gott ziehen zu dürfen“. An anderer Stelle hieß es, man werde sich „nach dem Märtyrertod im Paradies wiedersehen“. Einem Chat-Partner in Tadschikistan vertraute einer der Männer an, die Gruppe sei dabei, ihre Pflicht auf dem Weg zu Allah zu erfüllen, und dass es, so Gott wolle, bald „eine Bombe geben“ werde. Einem in die Zelle eingeschleusten V-Mann der Polizei sagte der Mann, die islamische Religion müsse „mit einem großen Knall in das Licht gehoben“ werden. Einen der anderen Angeklagten forderte der Beschuldigte auf, Sport zu treiben und sich so „bereit zu halten“.
Sechs der sieben Männer wird auch Unterstützung der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) vorgeworfen, weil sie in wechselnder Beteiligung mehrere Tausend Euro an Verantwortliche des IS im Ausland transferiert haben sollen. Das Geld wurde nach Erkenntnissen der Ermittler nicht nur unter Gleichgesinnten gesammelt, drei der Beschuldigten stahlen zudem regelmäßig hochpreisige Kleidungsstücke, die dann an Kunden in der Türkei veräußert wurden.
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