Wer die Europäische Union betritt, hat das Recht, Asyl zu beantragen. Gedeckt wird dieses Recht durch die UN-Menschenrechtserklärung, die EU-Grundrechtecharta und die Europäische Menschenrechtskonvention. Die finnische Regierung hat nun das sogenannte Konversionsgesetz verabschiedet, wonach Asylbewerber an der Grenze kategorisch abgewiesen werden können. Zur Not dürfen sie auch gewaltsam zurückgeschafft werden. Ministerpräsident Petteri Orpo sagte, es handele sich dabei um ein für alle beteiligten Parteien „schwieriges Gesetz“. Er weiß offensichtlich, dass seine Regierung damit gegen internationale Verpflichtungen verstößt. Trotzdem tut sie es.
Warum? Finnland sei Opfer der hybriden Kriegsführung Russlands, argumentiert Orpo. Migranten würden dabei als Waffe benutzt und gezielt über die Grenze geschickt. Die bestehenden Gesetze seien in einer Zeit verfasst worden, in der Flüchtlinge noch nicht auf diese Weise instrumentalisiert worden seien. Immer wieder haben Russland und Belarus in den letzten Jahren Migranten aus dem Nahen Osten an die europäischen Grenzen geschleust, um die Europäische Union zu destabilisieren. Aus dieser Warte kann man das Konversionsgesetz als einen Akt der Selbstverteidigung betrachten. Die finnische Innenministerin Mari Rantanen sagte deshalb, die Regierung habe „das Recht und die Pflicht, unsere Grenzen und unser Recht auf Selbstbestimmung zu schützen“. Rantanen hat das neue Gesetz vorgelegt. Sie ist Mitglied der Partei der Wahren Finnen. Diese vertreten seit je eine harte Haltung in Migrationsfragen. Einer der führenden Köpfe der Wahren Finnen, Jussi Halla-aho, begann seine politische Karriere vor mehr als 20 Jahren mit einem Blog unter dem Titel „Scripta – Schriften vom versinkenden Westen“. Darin kritisierte er Zuwanderung, Multikulturalismus und den Islam mit scharfen Worten. Halla-aho wurde wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe verurteilt. Heute ist er Präsident des finnischen Parlaments. Ist die hybride Kriegsführung Russlands also für die Wahren Finnen nur die willkommene Gelegenheit, endlich das zu exekutieren, was sie immer schon durchsetzen wollten: die Grenze für Migranten komplett zu schließen?
Das mag sein, doch hätte die Vierparteienkoalition, deren Mitglied die Wahren Finnen sind, das Konversionsgesetz allein nicht durchsetzen können. Dazu brauchte es eine Fünf-Sechstel-Mehrheit im Parlament. Nach erbitterten Debatten stimmten 167 Abgeordnete dafür und 31 dagegen, die Regierungskoalition hat insgesamt nur 108 Stimmen. Die Zustimmung zum Konversionsgesetz geht damit weit über die Regierung hinaus. Sie spiegelt laut Umfragen auch eine Stimmung in der finnischen Bevölkerung wider.
Selbst wenn das Gesetz eine zunächst auf ein Jahr befristete Ausnahme ist, wie die Regierung betont, passt es zu einer sich insgesamt verhärtenden europäischen Einwanderungs- und Asylpolitik. Unter den skandinavischen Ländern ist Dänemark seit geraumer Zeit Vorreiter einer restriktiven Migrationspolitik. Auch Schweden hat unter dem Einfluss der Schwedendemokraten seit 2022 diesen Weg beschritten. Und die EU selbst hat im April dieses Jahres ihre Asyl- und Migrationspolitik reformiert. Demnach sollen in Zukunft Asylverfahren schon an den Außengrenzen der Europäischen Union möglich sein. Dass bisher kaum ein Land so weit gegangen ist wie die finnische Regierung, hat etwas mit der direkten und realen Bedrohung durch Russland zu tun. Finnland könnte damit einen Präzedenzfall geschaffen haben, der am Ende in eine De-facto-Abschaffung des Asylrechts münden wird. Die EU-Kommission oder einzelne europäische Mitgliedsstaaten haben nun die Möglichkeit, eine Vertragsverletzungsklage einzureichen. Doch ob sie es tun, bleibt abzuwarten. Bei den Europawahlen rückten die europäischen Wahlbürger politisch ein gutes Stück nach rechts, auch das darf man als Bedürfnis interpretieren, die Migration unter Kontrolle zu bekommen. Eine Klage gegen das finnische Konversionsgesetz liefe dem verbreiteten Bedürfnis zuwider, die Grenzen effektiver zu kontrollieren.