Frankreich ändert seine Einwanderungspolitik: Der neue Innenminister Bruno Retailleau von den Republikanern (LR) kündigt an, dass die Abschiebungen massiv erhöht und illegale Einreisen gestoppt werden sollten. „Ich werde in den nächsten Wochen konkrete Vorschläge unterbreiten“, sagte der 63 Jahre alte Minister der Zeitung „Le Figaro“. Zuvor sagte er bereits, Masseneinwanderung sei keine Chance für Frankreich. „Ich werde alle Mittel ergreifen, um die Zuwanderung zu reduzieren“. Er bereite eine Dringlichkeitssitzung der Präfekten der zehn Départements (Verwaltungsbezirke) mit den höchsten Zuwanderungszahlen vor und werde sie anweisen, „mehr abzuschieben und weniger Aufenthaltstitel auszustellen“. Er erwarte von ihnen Hinweise zu Versäumnissen und Lücken bei der Einwanderungskontrolle. Im vergangenen Jahr seien 470.000 Menschen über Aufenthaltstitel und Asylanträge nach Frankreich gekommen, das sei so viel wie die Einwohner der Stadt Toulouse. „Wer will uns weismachen, dass wir angesichts eines solchen Zustroms diese Menschen vernünftig integrieren, sie würdig unterbringen und korrekt unterrichten können?“, fragte Retailleau. Er sei nicht angetreten, um so zu tun, als unternehme er etwas, sondern er wolle wirklich handeln. Es brauche nicht immer neue Gesetze, über Verordnungen habe der Innenminister einen großen Handlungsspielraum.
Der Vorsitzende des Rassemblement National (RN), Jordan Bardella, sagte zuvor, die neue Regierung stehe „unter der Beobachtung“ seiner Partei. Premierminister Michel Barnier wies die Behauptung zurück und sagte, seine Regierung stehe „unter der Beobachtung aller Franzosen“. Sie werde an den Ergebnissen gemessen. Das entspricht dem Credo, das der 73 Jahre alte Regierungschef seinen Ministern bei der ersten Kabinettssitzung auf den Weg gegeben hat. Sie sollten „mehr handeln als reden“ und den Franzosen zuhören. „Gute Ideen kommen von überall“, sagte Barnier. Im Fernsehsender France 2 betonte er, dass es in der Einwanderungspolitik „viel mehr Strenge geben wird“. Barnier sprach von einem „Bruch“, den die Franzosen erwarteten. Die Abschaffung der großzügigen staatlichen Gesundheitsversorgung für illegale Einwanderer sei für ihn kein Tabu. Zuletzt hatte der Verfassungsrat im Januar aufgrund von Verfahrensfehlern eine Einschränkung der medizinischen Leistungen verhindert. Innenminister Retailleau ließ erkennen, dass er die Gesetze von Neuem verschärfen wolle. „Ich sage allen Parlamentariern: Wir dürfen nicht gleichgültig gegenüber der Verzweiflung der oftmals in bescheidenen Verhältnissen lebenden Franzosen sein, die die Folgen des Kontrollverlustes in der Einwanderungspolitik tragen müssen“, so der Innenminister. Er werde künftig Polizei und Beamten klare und strikte Anweisungen geben. Als Vorbilder nannte er Dänemark, Italien und Schweden.
Sogar die deutsche Bundesregierung habe verstanden, dass sie Entschlossenheit bei den Grenzkontrollen zeigen müsse. Er lasse prüfen, ob Frankreich genauso agieren könne. Retailleau deutete an, dass er enger mit der Bundesregierung zusammenarbeiten will. Dank der „härteren Positionen europäischer Staaten wie Deutschland“ könne man „eine Art Allianz bilden“. Der Innenminister plädierte dafür, die sogenannte „Rückführungsrichtlinie“ der EU zu überarbeiten. Außerdem plant er ein Rückführungsabkommen mit Algerien. Der langjährige Fraktionsvorsitzende der Republikaner im Senat sieht die Masseneinwanderung seit Langem kritisch. Das französische Fernseh- und Rundfunkarchiv INA hat eine Übersicht seiner Äußerungen zu dem Thema zusammengestellt. Bereits 1997 sagte er, dass die Assimilierung immer seltener gelinge. Viele Neubürger aus Afrika seien „Menschen, die nicht kommen, um Franzosen zu werden, sondern um von den sozialen Vorteilen zu profitieren“. Zuletzt prangerte er die „Verrohung der französischen Gesellschaft“ an, die eine direkte Folge der unkontrollierten Masseneinwanderung sei. Retailleau äußerte die Überzeugung, dass Frankreich beim Zugang zur medizinischen Versorgung, Schulbildung und zu Sozialleistungen zu attraktiv sei und deshalb viele Einwanderer anziehe. „Wir sind im Vergleich zu anderen europäischen Ländern zu attraktiv“, sagte er im Fernsehen. Unter seiner Federführung war das jüngste Einwanderungsgesetz im vergangenen Dezember verschärft worden. Doch der nationale Vorrang, den Retailleau französischen Staatsbürgern bei Sozialleistungen gewähren wollte, ist an Einwänden des Verfassungsrates gescheitert.
Der Innenminister möchte nun einen neuen Anlauf nehmen. 35 Gesetzesverschärfungen seien aufgrund von Formfehlern von den obersten Verfassungshütern verworfen worden. Diese Fehler könne man beheben. Unklar ist, ob der neue Innenminister auch mit der Tradition des Bodenrechts (Ius Soli) brechen will, wonach alle auf französischem Boden geborenen Kinder ein Recht auf die Staatsbürgerschaft erwerben. Bislang wurde das Bodenrecht nur auf der Insel Mayotte eingeschränkt, um den Zustrom von schwangeren Frauen von den Nachbarinseln zu bremsen. Die Gebärstation auf Mayotte hat die höchsten Entbindungszahlen in ganz Frankreich. Als er noch im Senat wirkte, hat Retailleau die für Mayotte beschlossenen Einschränkungen als vorbildlich auch für den Rest Frankreichs bezeichnet. Der Innenminister hat angekündigt, dass er den Straftatbestand des illegalen Aufenthalts wieder einführen will. Damit sollen Menschen bestraft werden können, die illegale Einwanderer beherbergen. Die grüne Parteivorsitzende Marine Tondelier beklagte eine „erniedrigende Botschaft“ der Regierung. Mehrere Minister hätten „rassistische Positionen vertreten“. „Das Vokabular des Innenministers ist das der extremen Rechten“, sagte Pascal Brice vom Hilfsverband Acteurs de la solidarité.