Noch in den siebziger Jahren bildeten marxistische, maoistische und nasseristische Kampfgruppen die Vorhut der palästinensischen Sache. Sie machten mit Flugzeugentführungen und Terroranschlägen auf sich aufmerksam, griffen Israel von der libanesischen Grenze aus an und produzierten dabei Revoluzzer-Ikonen wie die Luftpiratin Leila Khaled, die auch bei manchen europäischen Bürgerkindern für Verzückung sorgte. Westliche Terrorgruppen wie die deutsche RAF oder die Japanische Rote Armee pilgerten in die Ausbildungslager der palästinensischen Genossen, um dort im Namen der Weltrevolution den Umgang mit Sprengstoff und Schusswaffen zu erlernen.
Heute ist davon wenig übrig. Statt der selbsterklärten Araber-Marxisten mit Schnauzer und Schlaghose sind es jetzt die Islamisten der Hamas, des Islamischen Jihad oder der libanesischen Schiitenmiliz Hizbullah, die gegen das verhasste Israel in den Krieg ziehen. Und viele Linke im Westen jubeln den religiösen Fanatikern zu, die sie unter allerlei intellektuellen Verrenkungen zu Sozialrevolutionären erklären.
Die Zeiten haben sich tatsächlich geändert, sagen sogar alte Linke im Nahen Osten. Mitglieder der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) sitzen nun in Beirut, dort, wo in den siebziger Jahren Yasir Arafat und all die anderen säkularen Palästinakämpfer Hof hielten, die in Libanons Hauptstadt einen regelrechten Exilstaat aufgebaut hatten. Doch Arafat ist längst tot, und in Beirut haben nicht mehr die Palästinenser, sondern die gläubigen Schiiten des Hizbullah das Sagen. Auch in Gaza operiert die Linke nicht eigenständig, sondern im Verbund mit der Hamas. „Die Hamas verfügt über mehr Ressourcen und ist daher weitaus stärker. Aber wir bilden eine gemeinsame Front“, so ein Vertreter der PFLP. Immer wieder erklären Kader der verbleibenden palästinensischen Linksorganisationen, dass ihre Trupps in Gaza nun Seite an Seite mit den Islamisten kämpfen würden. Schliesslich gehe es ja in erster Linie um die Befreiung der Heimat, da würden ideologische Differenzen eigentlich keine Rolle spielen.
Doch die demonstrative Einigkeit kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es um die linken Palästinensergruppen schon seit längerem nicht gut bestellt ist – und ihnen daher nicht viel anderes übrigbleibt, als mit dem islamistischen Klassenfeind gemeinsame Sache zu machen. Die PFLP, die wichtigste Linksfraktion, hat bei den letzten Wahlen im Jahr 2006 nur drei Sitze im Palästinenserparlament geholt. Dabei war die PFLP einst das, was die Hamas heute ist: die grösste und gefürchtetste Kraft unter den militanten Palästinensern. Die vom christlichen Kinderarzt George Habash angeführte Truppe war von enttäuschten panarabischen Nationalisten gegründet worden, die nach der Niederlage im Sechstagekrieg 1967 nicht mehr an einen Sieg der Araberstaaten gegen Israel glaubten.
Nach außen hin gab sich die PFLP – die neben Studenten und Intellektuellen auch viele arme Palästinenser aus den tristen Flüchtlingslagern in Libanon und Jordanien anzog – streng marxistisch. Sie wollte nicht nur Israel beseitigen, sondern alle prowestlichen Regime in der Region gleich mit dazu. Doch die erhoffte Morgenröte über Arabien blieb aus. Stattdessen mussten sich die Linken bald einer neuen Konkurrenz erwehren. Ende der siebziger Jahre trat der radikale Islam seinen Siegeszug an. Befeuert von der Islamischen Revolution in Iran übernahmen dessen Vertreter in Form der Hamas die Führung im Kampf gegen Israel: Im Gegensatz zu den Islamisten, die plötzlich Geld aus Teheran oder vom Golf bekamen, hatten sie nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion keine Unterstützung mehr.
Aber das fehlende Geld war nicht der einzige Grund für den Niedergang. Die arabischen Gesellschaften waren nur begrenzt empfänglich für marxistische Theorie. Man ging einfach zu derjenigen Gruppe, die am stärksten war oder wo Freunde und Verwandte aktiv waren. Wenig hilfreich waren auch die brutalen Bruderkämpfe innerhalb der Palästinenser-Faktionen. Die PFLP-GC etwa bekämpfte in den Wirren des libanesischen Bürgerkriegs die Fatah von Yasir Arafat. In dem blutigen Chaos im Zedernstaat, für das die bewaffneten Palästinenser mitverantwortlich waren, gingen viele linke Illusionen zu Bruch.
Bis heute ist die palästinensische Linke zersplittert. Neben der PFLP und der PFLP-GC gibt es noch die DFLP, die Demokratische Front zur Befreiung Palästinas, sowie eine Reihe weiterer Gruppen und Grüppchen. In den desolaten Flüchtlingslagern südlich von Beirut jubeln die jungen Männer aber der Hamas oder dem Islamischen Jihad zu. Die Islamisten – so heisst es – würden kämpfen, die Linken bloss reden. Trotzdem gibt es auch heute noch junge Linke. Sie sind gut ausgebildet und säkular – unterstützen aber die konservative und islamistische Hamas in ihrem Kampf gegen Israel, dessen Existenz sie ablehnen. Sie wünschen sich einen demokratischen, säkularen und sozialistischen Staat Palästina. Aber ist so etwas mit der islamistischen Hamas überhaupt zu haben? Diese Frage würden sie nach der Befreiung alle gemeinsam klären. Immer wieder betonen die jungen Leute, dass man mit der Hamas als palästinensisch-nationale Bewegung trotz allen ideologischen Differenzen zusammenarbeiten könne.
Allerdings haben sich die Linken im Nahen Osten bei diesem Thema schon mehr als einmal bitter verkalkuliert. Im Iran der siebziger Jahre kämpften sie Seite an Seite mit den Mullahs gegen den Schah, nur um kurz darauf selbst in den Folterkellern des Revolutionsführers Khomeini zu landen. Und in Libanon wurden linke Palästinenser in der Vergangenheit ebenfalls von ehemaligen Verbündeten niedergeschossen. Die Hamas, die in Gaza derzeit den Kampf anführt, hat für ihre linken Freunde jedenfalls nicht nur Zuneigung übrig.