Der Sieg scheint ihm gewiss zu sein, obwohl Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi noch nicht einmal offiziell verkündet hat, ob er antreten will bei den nächsten Präsidentschaftswahlen, die nun vom 10. bis 12. Dezember stattfinden sollen, so hat es die Wahlbehörde verkündet. Seit einigen Wochen sind in Kairo und anderen Städten riesige Plakate zu sehen, auf denen dazu aufgerufen wird, al-Sisi die Stimme zu geben. Mal wird seine weise Führung gepriesen, mal die Stabilität des Landes. Etwa 40 Parteien haben al-Sisi dazu aufgefordert zu kandidieren, der Präsident lässt sich gern bitten.
Letztlich wird es bei der Wahl im Dezember weniger darum gehen, ob al-Sisi die Wahl gewinnt, sondern wie hoch die Wahlbeteiligung sein wird. Im autoritär regierten Ägypten ist sie der letzte verbliebene Gradmesser, der etwas darüber aussagen kann, wie groß der Rückhalt tatsächlich ist für al-Sisi. Bei der Wahl 2018 soll er 97 Prozent der Stimmen bekommen haben, die Wahlbeteiligung lag aber nur bei 41 Prozent. Damals wurden fast alle auch nur einigermaßen bekannten Gegenkandidaten eingeschüchtert oder nicht zum Urnengang zugelassen.
Dieses Mal haben bereits sieben Kandidaten angekündigt, bei der Wahl anzutreten, darunter der ehemalige Parlamentsabgeordnete Ahmed Tantawi. Nach Angaben der ägyptischen Bürgerrechtsorganisation Egyptian Initiative for Personal Rights (EIPR) wurden bisher etwa 35 seiner Unterstützer zumindest kurzzeitig festgenommen. Bis zum 9. November soll die Liste der zugelassenen Kandidaten veröffentlicht werden, danach darf bis zum 29. November Wahlkampf gemacht werden. Das ist ein kurzer Zeitraum, ursprünglich war der Wahltermin für den Februar erwartet worden.
Al-Sisi hatte in den vergangenen Monaten immer wieder an die Geduld und Stärke seiner Landsleute appelliert. Er hatte 2013 gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Mohammed Mursi von der Muslimbruderschaft geputscht, ein Coup, der von vielen Ägyptern begrüßt wurde, die die Regierung der Islamisten als chaotisch und inkompetent empfanden. Proteste der Muslimbruderschaft wurden blutig niedergeschlagen. In den Folgejahren landeten Zehntausende Menschen aus politischen Gründen im Gefängnis. Bis heute sind in Ägypten viele Regimegegner, aber auch Vertreter der Zivilgesellschaft wie Journalisten inhaftiert, teilweise ohne Gerichtsverfahren.
Die schlechte wirtschaftliche Lage hat die Regierung aber möglicherweise dazu bewogen, den Urnengang vorzuziehen. Die Jugendarbeitslosigkeit beträgt etwa vierzig Prozent, die Inflation ist fast genauso hoch, mit jedem Monat steigt die Unzufriedenheit. Präsident al-Sisi kann mit seinem Sicherheitsapparat zwar die Öffentlichkeit kontrollieren, nicht aber die Preise. Bis zur Hälfte der Ägypter soll bereits unterhalb der Armutsgrenze leben. Das ägyptische Pfund hat in den vergangenen Jahren etwa die Hälfte seines Wertes verloren, viele Lebensmittel und Weizen müssen teuer importiert werden.
Bislang halfen bei solchen Krisen die Nachbarn aus den Golfstaaten aus mit großzügigen Finanzspritzen. Diese Zeiten scheinen sich aber geändert haben. Saudi-Arabien und die Emirate wollen offenbar nicht mehr in ein Fass ohne Boden investieren, sondern auch Gegenwerte sehen. Auch der Internationale Währungsfonds macht ein neues Hilfspaket davon abhängig, dass staatliche Firmen verkauft werden. Gemeint sind damit vor allem die Beteiligungen der Armee, die Hotels betreibt, Nudeln herstellt und gerade ein großes Netz von Autobahnkiosken erweitert, die sich „Chill out“ nennen. Zuletzt hatte al-Sisi versucht, in einem überschaubaren Rahmen wieder so etwas wie eine politische Diskussion zuzulassen, in einem „Nationalen Dialog“ mit ausgewählten Gruppen. Bekannte Oppositionelle wie der seit 2013 inhaftierte Ahmed Duma wurden begnadigt, insgesamt etwa tausend politische Häftlinge freigelassen. Ägyptische Menschenrechtsaktivisten beklagen aber, dass im gleichen Zeitraum 3.000 weitere Menschen aus politischen Gründen inhaftiert worden seien.
Immer wieder werden Oppositionelle aus dem demokratischen Lager verhaftet, Familienangehörige – auch im Ausland lebend – unter Druck gesetzt. Auch eigentlich nicht politisch engagierte Bürger, beispielsweise Journalisten, wurden in den vergangenen Monaten vermehrt verhaftet. Die Auslandsopposition wird durch solche Fälle eingeschüchtert, beispielsweise wenn Verwandte in Ägypten aus fadenscheinigen Gründen inhaftiert werden. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch spricht von „Schachfiguren“ in einer Kampagne, Kritiker im Ausland zum Schweigen zu bringen. Im Westen lebende Ägypter berichten, dass es in letzter Zeit eine „Häufung von Schikanen bei der Einreise ins Land“ gegeben habe. Sie würden zu politischen Aktivitäten oder zu Kontakten zur Opposition befragt. Oft seien ganz unpolitische Leute betroffen.
Es scheint, dass im ägyptischen Regime derzeit einige Nervosität herrscht. Al-Sisi steht unter wachsendem Druck, denn Ägyptens Wirtschafts- und Finanzkrise werden mit jedem Monat größer. Mehrere Sozialprogramme sollen den enormen Preisanstieg – die Inflation liegt inzwischen bei fast 40 Prozent – und die Versorgungsprobleme abfedern. Damit der Internationale Währungsfonds die nächste Tranche eines Drei-Milliarden-Dollar-Kredits auszahlt und Ägyptens Bonität nicht herabgestuft wird, wird al-Sisi jedoch wohl auch nicht um einschneidende Maßnahmen wie eine weitere Währungsabwertung herumkommen – was die Preise weiter steigen lassen würde.
Zudem gibt es ständig auch neue Festnahmen und Verurteilungen, die politisch motiviert scheinen. Im August traf es einen bekannten Publizisten. Letzten Monat wurde er wegen Verleumdung sowie wegen Beleidigung eines Polizisten zu sechs Monaten Haft verurteilt, also bis nach der Präsidentenwahl. Der Journalist hatte an der Gründung einer neuen Sammelbewegung der liberalen Opposition mitgewirkt, der „Freien Strömung“. Diese verkündete in Reaktion auf seine Verurteilung, sie werde die Präsidentenwahl boykottieren.
Auch die EU beginnt langsam, sich Sorgen um die Zukunft Ägyptens zu machen. Die Regierungen der Mitgliedsländer setzen sich vermehrt für Verhafteten ein. Damit soll dem ägyptischen Regime verdeutlicht werden, dass die fortgesetzte Inhaftierung seinem Image und den Beziehungen mit der EU schadet. Politiker und Diplomaten gehen dabei aber in der Regel behutsamer vor. Manche befürchten, dass eine zu konfrontative Haltung zu einer Verhärtung der Position auf der ägyptischen Seite führen könnte.
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