Durch „ihre Bemühungen und Geduld“ schafften es die Ägypter das Land „aus Chaos und Angst in Richtung Stabilität und Sicherheit zu führen“, sagte Abd al – Fattah al – Sisi in einer Rede, die auf die zehn Jahre seiner Regierungszeit zurückblickte. Er erinnerte an die Massenproteste vom 30. Juni 2013, als Millionen von Ägyptern gegen den damaligen Präsidenten Mohammed Mursi auf die Straße gingen. Drei Tage später inszenierte die Armee unter dem damaligen Verteidigungsminister und derzeitigen Präsidenten al – Sisi einen Coup gegen den Islamisten Mursi, den ersten frei gewählten Präsidenten des Landes.
Damit endete auch die turbulente Übergangsperiode Ägyptens, die 2011 mit dem Arabischen Frühling und dem Sturz des langjährigen Machthabers Hosni Mubarak begann. Zehn Jahre später sitzen al – Sisi und das ägyptische Militär fest im politischen Sattel. Es gibt keine wirkliche Opposition, politische Aktivitäten werden streng überwacht, die Zivilgesellschaft wird schikaniert, fast alle Medien werden kontrolliert. Die Probleme des Landes jedoch häufen sich. Speziell in den letzten Wochen wurden die Auswirkungen der wirtschaftlichen Krise Ägyptens besonders sichtbar. Viele Ägypter konnten sich das traditionelle Fleischgericht im Zuge des islamischen Opferfestes in diesem Jahr nicht leisten. Die Fleischpreise haben sich innerhalb des letzten Jahres mehr als verdoppelt. Ein Grund dafür ist der Krieg im Sudan, wo Ägypten rund zehn Prozent des verkauften Rindfleischs importiert. Unterdessen ist die eigene Produktionskapazität um 60 Prozent gesunken, nachdem die Tierfutterpreise wegen des Krieges in der Ukraine um 400 Prozent gestiegen sind.
Hühnerfüße waren bereits zu einem Symbol für die immensen Preissteigerungen geworden. Die ägyptische Regierung empfahl dieses Gericht vor ein paar Monaten der Bevölkerung als eine Proteinoption, da herkömmliches und qualitativ hochwertigeres Hühnerfleisch für immer mehr Menschen unerschwinglich geworden waren. Die Reaktion auf diese Aussage war massive Empörung.
All dies sind jedoch nur Anzeichen für eine tiefer verwurzelte Krise. Schätzungen zufolge leben 60 Prozent der rund 105 Millionen Ägypter unterhalb oder nahe der Armutsgrenze. Die Inflation stieg im Mai auf 32,7 Prozent, und liegt damit nur knapp unter dem Rekord aus dem Juli 2017. Der ägyptische Pfund hat seit März 2022 den halben Wert gegenüber dem US – Dollar verloren. Die ägyptische Regierung wertete die eigene Währung mittlerweile drei Mal ab, um ein Notdarlehen des Internationalen Währungsfonds (IWF) zu erhalten. Die Geldspritze von drei Milliarden Dollar soll über 46 Monate gestreckt werden. Die im Dezember angekündigten Bedingungen des Abkommens umfassen jedoch Strukturreformen, die gegen das ägyptische Regime gerichtet sind. Dazu gehören unter anderem die Privatisierung von staatseigenen Unternehmen, die Kürzung von Subventionen für Grundnahrungsmittel und ein flexibler Wechselkurs.
Die Regierung hat eine Liste von Dutzenden von Unternehmen veröffentlicht, die teilweise verkauft werden sollen. Mächtige Akteure des Staatsapparats, wie etwa das Militär, dass große Teile der ägyptischen Wirtschaft kontrolliert, stellen sich gegen diese Planungen. Die Armee steht hinter Hotels, Molkereien, Baufirmen und Pasta – Fabriken. Daher ist der Drang nach Privatisierungen und Wettbewerb ist begrenzt. Das wiederum schürt die zunehmende Unzufriedenheit in den arabischen Golfstaaten, die zu den wichtigsten ausländischen Unterstützern des Regimes zählen und Ägypten seit 2013 mit Milliarden von Dollar finanziell stabilisierten. Länder wie Saudi – Arabien drängen darauf, etwas für ihr Invest zurück zu bekommen, wie zum Beispiel Mehrheitsbeteiligungen in ägyptischen Unternehmen. Al – Sisi’s Raum für Manöver ist dahingehend jedoch begrenzt.
Der Präsident versucht, den wachsenden Gegenwind der Bevölkerung und die Kritik an sich mit Beruhigungspillen zu dämpfen. Zwei weitere Tage wurden für die letzte Urlaubszeit bewilligt. Al – Sisi appelliert darüber hinaus gerne an die nationale Stimmung. In seiner Rede sprach er von den „großen Opfern“, die von Ägypten und den Ägyptern gemacht wurden, indem er sagte, sie seien „nur einen Sieg wert.“ Er lobte den 30. Juni 2013 als eine „glorreiche Revolution.“ Die Muslimbruderschaft, die man damals erfolgreich von der Macht stieß, wird immer noch regelmäßig für Missbräuche durch das Regime verantwortlich gemacht. Außerdem verweist al – Sisi regelmäßig auf externe Faktoren, auf die er keinen Einfluss hat, die jedoch die Stabilität Ägyptens beeinflussen, wie etwa die Corona – Krise oder der Ukraine – Krieg.
Die politische Plattform „nationaler Dialog“, welche im vergangenen Jahr von al – Sisi ins Leben gerufen wurde, ist eine jener Maßnahmen, die ergriffen wurden, um der wachsenden Unzufriedenheit unter den Menschen entgegenzuwirken. Doch die Hoffnungen einiger Mitglieder der Opposition und der zivilgesellschaftlichen Aktivisten, dass dieser Schritt mehr Freiheit eröffnen oder sogar grundlegende Veränderungen der Machtverhältnisse im Land nach sich ziehen werden, haben sich bis dato nicht bewahrheitet. Alle sensiblen oder sicherheitsrelevanten Themen wurden in den verschiedenen Dialogforen ausgelassen. Es ist möglich, dass die Ergebnisse des „Dialogs“ bald vorgelegt werden; große Sprünge werden nicht erwartet und auch keine große Euphorie in der Bevölkerung.
Ein Zeichen von al – Sisis abnehmender Popularität ist, dass er sich zum ersten Mal einem potenziell ernsthaften Herausforderer stellen könnte, sollte es Ende diesen Jahres, oder Anfang nächsten Jahres zu Neuwahlen kommen. Ahmed Tantawi, ein 43 Jahre alter oppositioneller Abgeordneter, gab im April bekannt, dass er sic hals Präsidentschaftskandidat aufstellen lassen werde. Seitdem wurden seine Anhänger und Verwandten festgenommen oder anderweitig unter Druck gesetzt. Ein Indiz dafür, wie nervös und angespannt das Regime ist wird sein, ob Tantawiens Kandidatur für den nächsten Urnengang zugelassen wird oder nicht.
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