Mehr als zehn Jahre nach dessen Ausschluss hat der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman den jahrelang isolierten syrischen Präsidenten Baschar al-Assad herzlich zu Beginn des Gipfels der Arabischen Liga in Dschidda empfangen. Die beiden begegneten sich mit einer Umarmung und gaben sich einen Bruderkuss. Für Assad ist es das erste große Treffen auf internationaler Bühne seit mehr als zehn Jahren. Assads Teilnahme kommentierten saudische Medien positiv. „Das arabische Haus bekommt ein neues Erscheinungsbild. Beziehungen werden gestärkt, Probleme mit Brüdern in Zusammenarbeit beseitigt, und niemand wird ausgeschlossen“, sagte ein Sprecher im Staatsfernsehen Al-Ekhbariya. Saudi-Arabien sei es gelungen, die Lage in der Region zu beruhigen und „tatsächliche Veränderungen“ zu bewirken.
Letztlich stellte Jordanien den Antrag, Assad wieder aufzunehmen. Anlass für das Nachbarland war zum einen das verheerende Erdbeben in der Region, wo vor allem arabische Länder in Syrien Hilfe leisteten. Die westliche Gemeinschaft konzentrierte sich indes auf die Türkei und die von dort aus zugängliche syrische Region Idlib, die von Rebellen gegen Assad kontrolliert wird. Der von Assad kontrollierte Teil Syriens erhielt wiederum Hilfslieferungen aus Katar, den Emiraten und Saudi Arabien. In der Not rückt man also zusammen.
Ein zweiter, wichtiger Grund für Jordanien sind die vielen Flüchtlinge, die bereits seit zwölf Jahren dort leben und zunehmend zur Belastung werden. Die jordanische Regierung spricht von 1,3 Millionen Syrerinnen und Syrern bei einer eigenen Bevölkerung von knapp über elf Millionen. In Amman werden deshalb Überlegungen für eine Rückführung angestellt. Doch dafür brauchen die Jordanier Assad.
Kurz vor dem Gipfel kamen in Moskau die Verteidigungsminister und Geheimdienstchefs der Türkei, Syriens, Russlands und Irans zusammen. Es ging um Sicherheit und die Rückführung syrischer Flüchtlinge. Die dürren Meldungen, die zunächst kursierten, deuteten nicht auf große Fortschritte hin. Aber es war auch nicht erwartet worden, dass die Gespräche Ankara und Damaskus einander maßgeblich näher bringen würden. Ein Treffen beider Machthaber liegt nach wie vor in weiter Ferne. Baschar al-Assad hatte schon vorher deutlich gemacht, dass er es weiter auf die harte Tour versuchen will. Er werde Recep Tayyip Erdogan erst dann treffen, wenn die Türkei ihre Truppen aus Syrien abziehe, verlangte der syrische Präsident. Assad will wohl Erdogan keinen Verhandlungserfolg gönnen, den er im Wahlkampf nutzen könnte. Aber der syrische Diktator geht eine riskante Wette ein, sollte er darauf setzen, dass Erdogan abgewählt wird Der syrische Gewaltherrscher hätte es womöglich etwas einfacher, würde Erdogan bei der Präsidentenwahl unterliegen. Denn dieser kann die zynischen und skrupellosen Machtspiele Assads und seiner russischen und iranischen Verbündeten auf Augenhöhe mitspielen.
Längst haben sich die arabischen Nachbarn damit abgefunden, dass Assad seine Herrschaft über Syrien erfolgreich verteidigt hat. Sie arrangieren sich auf ihre Weise damit – in einer Zeit, die von arabischen Diplomaten als „Zeit der Deals“ beschrieben wird. Gemeint sind Zweckarrangements, um Konflikte wie jenen in Syrien irgendwie zu beruhigen. Assad lobt derweil die „offene und realistische“ saudische Politik, von der die Region profitiere.
Fachleute finden für die Entwicklung andere Worte: „Das saudische Entgegenkommen gegenüber Damaskus ist durch Resignation und Zynismus motiviert, denn seit 2015 gibt es keine Politik mehr, keinen klaren Fahrplan und keinen regionalen Konsens. Riad ist sich wahrscheinlich darüber im Klaren, dass Assad, nachdem er die Anerkennung und den Fototermin in der Tasche hat, wahrscheinlich keine wesentlichen Kompromisse eingehen wird: Flüchtlinge, Drogenhandel, Beziehungen zu Iran, geschweige denn politische Versöhnung.“ Jedes Entgegenkommen, sagt ein Experte, sei daher ein Nettogewinn für Damaskus, während der Gegenwert für die anderen Länder fragwürdig sei.
Und Assads Profit ist groß – selbst dann, wenn die neue Herzlichkeit vom Golf, die dem Gewaltherrscher in erster Linie aus den Vereinigten Arabischen Emiraten entgegenschlägt, sich nicht in Geld für den Wiederaufbau äußern sollte. „Für Assad geht es nicht um Stabilisierung, Wiederaufbau, Investitionen oder wirtschaftliche Integration. Es geht ihm nicht darum, die Not des syrischen Volkes zu lindern, sondern darum, seine Macht zu festigen und seinen engsten Kreis zu bereichern“, sagt ein Politik-Analyst in der Türkei. „Letztlich geht es ihm um die regionale Anerkennung, die jede Hoffnung auf eine künftige Herausforderung im eigenen Land zunichtemacht und jeden ernsthaften internationalen Druck blockiert. Für ihn ist das Signal, das von den arabischen Normalisierungsbemühungen ausgeht, ein wichtiger politischer Sieg.“
Der jüngste Besuch der deutschen Außenministerin Baerbock am Golf machte die Frustration vieler westlicher Politiker deutlich. In ihren Statements widersprach sie entschieden den Annäherungsversuchen der Golfstaaten. Aus Kreisen europäischer Diplomaten heißt es übereinstimmend, der UN-geführte politische Prozess sei damit noch weiter geschwächt. „Eigentlich müsste man jetzt die arabischen Staaten in die Verantwortung nehmen, selbst eine politische Lösung herbeizuführen und in großem Stil die humanitäre Hilfe zu finanzieren“, sagt einer. Mancher hatte den UN-Prozess ohnehin schon abgeschrieben. Es herrscht aber überdies großes Unbehagen über das Signal, das von einer arabischen Rehabilitierung Assads ausgeht: Dass ein Kriegsverbrecher, der Giftgas gegen Zivilisten eingesetzt hat, nur lange genug durchhalten muss, um sich Strafe und Ächtung zu entziehen. Die westliche Syriendiplomatie beschäftigt sich mit der Frage, wie man mit einem Regime umgehen sollte, das fest im Sattel sitzt und von dem keine Zugeständnisse zu erwarten sind. Noch hält die EU die Linie, dass Annäherung nur bei glaubwürdigen Verhaltensänderungen Assads möglich ist. Aber mit einer Stimme sprechen die Europäer in dieser Angelegenheit nicht immer – und schon gar nicht in derselben Tonlage. Auch Washington hat sich zuletzt den arabischen Avancen in Richtung Assad nicht immer mit voller Entschlossenheit entgegengestellt.
Ein Spaziergang dürfte es für den syrischen Machthaber trotzdem nicht werden. Zuletzt wurden neue EU-Sanktionen verabschiedet. Washington kann immer wieder Druck ausüben. Und noch gibt es auch unter den arabischen Herrschern hartnäckige Normalisierungsgegner wie Qatar oder Kuwait. Aus mehreren Quellen ist derzeit zu hören, dass eine Einladung Assads zum nächsten Gipfel ausbleiben soll. Doch Damaskus ist geduldig, und gut darin, abzuwarten.
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