Trotz der Enttäuschung über die Absage der drei Konzerte in Wien haben sich viele Swifties die Laune nicht ganz verderben lassen. Zu Tausenden versammelten sie sich statt im Ernst-Happel-Stadion vor dem Stephansdom und an anderen Orten in der Innenstadt, wo sie lautstark die Lieder ihres Idols sangen.
Als Entschädigung veranlasste der Wiener Bürgermeister freien Eintritt für die Fans mit Konzerttickets in diverse Museen und Freibäder der Stadt. Das ORF-Radio spielte eine ganze Stunde lang Swift-Songs, und auch eine bekannte Diskothek öffnete ihre Türen gratis für die Swifties. Eine „Swifties-Tröst-Challenge“ sei im Gang, fand ein Journalist. Es wurde mittlerweile bekannt, dass im Zusammenhang mit den Attentatsplänen auf die Konzerte eine weitere Person festgenommen wurde. Der 18-jährige Iraker soll mit dem 19-jährigen Hauptverdächtigen im Kontakt gestanden haben und wie dieser kürzlich der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) die Treue geschworen haben.
Obwohl die Ermittlungen noch andauern, hat einen knappen Monat vor den Parlamentswahlen die politische Debatte über den vereitelten Terroranschlag begonnen. Die FPÖ, die seit anderthalb Jahren alle Umfragen anführt, sieht in der „weltweit einzigen Absage von Swift-Konzerten“ ein Armutszeugnis für die Sicherheitspolitik, die seit 24 Jahren weitestgehend Innenministern der konservativen ÖVP obliege. Österreich sei wegen einer falschen Einwanderungspolitik kein sicheres Land mehr, konstatierte der Parteichef Herbert Kickl.
Allerdings sind der geständige Hauptverdächtige und sein 17-jähriger mutmasslicher Komplize in Österreich geboren und aufgewachsen. Die Eltern haben Wurzeln auf dem Balkan, einer Region, der Österreich schon aus historischen Gründen eng verbunden ist. Ihre islamistische Radikalisierung ist deshalb eher ein Versagen der Integrations- als der Migrationspolitik – auch wenn mittlerweile weitgehend unbestritten ist, dass die Sicherheitslage in Wien und anderen grösseren Städten unter der hohen Zuwanderung der letzten Jahre gelitten hat.
Die Kanzlerpartei ÖVP setzte rasch zum Gegenschlag an. Sie sieht im vereitelten Anschlag einen Beleg für den seit Monaten wiederholten Vorwurf, die FPÖ mit Kickl an der Spitze sei ein Sicherheitsrisiko für Österreich. Innenminister Gerhard Karner nutzte deshalb eine Pressekonferenz zum Stand der Ermittlungen für einen Seitenhieb auf Kickl, der sein Amt in der schwarz-blauen Koalition unter Sebastian Kurz innegehabt hatte: Er wolle sich gar nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn das frühere Bundesamt für Verfassungsschutz (BVT) jetzt zuständig gewesen wäre. Es sei von Kickl zertrümmert worden und damit international völlig isoliert gewesen, sagte Karner.
Er erinnerte daran, dass Kickl zu Beginn seiner Amtszeit im Innenministerium Anfang 2018 eine umstrittene Hausdurchsuchung beim BVT veranlasst hatte. Diese wurde von einer eigentlich zur Bekämpfung von Strassenkriminalität eingesetzten Polizeieinheit durchgeführt, und hochsensible Daten gerieten dabei in die Hände Unbefugter. Zwar hatte es im BVT tatsächlich gravierende Missstände gegeben, es herrschten Inkompetenz und parteipolitische Netzwerke. Doch Kickls rabiater Versuch, diese zu zerschlagen, war völlig untauglich und wurde später auch für rechtswidrig befunden. Er zerstörte das Vertrauen der internationalen Partnerdienste, die das Amt zeitweise von ihrer Kommunikation ausschlossen – was für ein kleines und sicherheitspolitisch leichtgewichtiges Land verheerend ist.
Seit die ÖVP die FPÖ zu ihrem Hauptgegner im Wahlkampf erkoren hat, wirft sie Kickl diese Ereignisse immer wieder vor. Dabei betont sie auch, es sei dem vor drei Jahren neu aufgestellten Staatsschutz DSN, der Nachfolgeorganisation des BVT, gelungen, die internationale Reputation wiederherzustellen. Bundeskanzler Karl Nehammer erklärte im Fernsehen, die internationale Zusammenarbeit funktioniere wieder sehr gut, und die DSN sei auch im sogenannten Berner Club aufgenommen worden, einem informellen Zusammenschluss westlicher Inlandgeheimdienste zum Austausch von Informationen. Das BVT war aus diesem Zirkel wegen Sicherheitsbedenken ausgeschlossen worden.
Die DSN hatte in den vergangenen Wochen eine wichtige Rolle gespielt bei den Ermittlungen zu den Terrorplänen und laut Nehammer auch herausgefunden, dass der 19-jährige Hauptverdächtige vermutlich nicht allein handelte. Allerdings bestätigte der Kanzler, dass ein ausländischer Dienst auf die Spur gestossen sei und nicht die DSN. Laut dem amerikanischen Sender ABC war es ein amerikanischer Geheimdienst, der das Bekenntnis des Haupttäters zum IS Anfang Juli auf Telegram entdeckt hatte und diesen entscheidenden Hinweis dann an Wien weitergab – und zwar an das Heeresnachrichtenamt, den militärischen Nachrichtendienst Österreichs. Dieses gab die Information dann an die DSN weiter.
Der Schluss, der neue Inlanddienst DSN genieße eben doch noch nicht das Vertrauen der internationalen Partner, wäre dennoch falsch. Vielmehr kommunizieren Dienste meist mit dem direkten Gegenüber, wie ein österreichischer Geheimdienstexperte sagt. Vermutlich kam der Tipp von der NSA, die weltweit elektronische Kommunikation überwacht und dem amerikanischen Verteidigungsministerium untersteht. Es wäre naheliegend, dass diese sich dann an den militärischen Dienst in Österreich wandte.
Klar ist, dass Österreich in der Extremismusbekämpfung besonders auf internationale Zusammenarbeit angewiesen ist, was Innenminister und Kanzler nun auch betonten. Die hiesigen Sicherheitsbehörden sind nicht befugt, verschlüsselte Messengerdienste zu überwachen. Die ÖVP fordert solche Möglichkeiten schon lange. „Terroristen kommunizieren nicht mit Briefen“, erklärte der Innenminister. Wegen verfassungs- und datenschutzrechtlicher Bedenken lehnten die anderen Parteien ihre Reformvorschläge aber bisher ab. Auch das ist nach dem vereitelten Anschlag zum Wahlkampfthema geworden.
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