Vor einigen Tagen berichtete MENA Research Center über die Versuche der deutschen Behörden, die als rechtsextremistisch eingestufte türkische Bewegung der „Grauen Wölfe“ endlich zu verbieten. Gleichzeitig wurde in dem Artikel darauf hingewiesen, dass Politiker, nicht nur in Deutschland, immer wieder die Nähe zu Personen und Institutionen suchen, die sich in Kreisen der Rechtsextremen bewegen.
Nun wurde ein neuer Fall bekannt, der den Chef der SPD im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen betrifft. Marc Herter, Vorsitzender der wichtigen SPD-Region westliches Westfalen, erfahrener Netzwerker und Oberbürgermeister der Stadt Hamm soll sogar, so einige Insider, bei der Landtagswahl in vier Jahren Ministerpräsident werden. Umso erstaunlicher ist ein nun bekannt gewordener Fauxpas des derzeit wichtigsten Repräsentanten der nordrhein-westfälischen SPD. Der Sozialdemokrat nahm an der Geburtstagsfeier von Aslan A. teil. A. war zumindest bis vor einigen Jahren führendes Mitglied der türkischen Gruppierung „Graue Wölfe“ und sympathisiert noch heute in sozialen Medien offen mit der vom Verfassungsschutz beobachteten rechtsextremen Gruppierung, dessen politische Mutterorganisation MHP in der Türkei eine enge Bündnispartnerin von Präsident Recep Tayyip Erdogans AKP ist. In Deutschland hat die Vereinigung rund 300 Kultur-, Sport-, Eltern- oder Unternehmensverbände unter harmlosen Namen.
Die Sicherheitsbehörden führen die Ülkücü-Bewegung als rechtsextremistische türkische Vereinigung. Der türkische und der deutsche Rechtsextremismus wiesen demnach viele Gemeinsamkeiten auf, wie es in einem Dossier des Inlandsgeheimdienstes heißt: Rassendenken, Überhöhung der eigenen Ethnie, Herabwürdigung Andersdenkender, Traum von einem Großreich, das über bestehende Grenzen hinausgeht. Ein ideologisches Kernelement ist der Antisemitismus. Gesteuert werden die deutschen Ülkücü-Ortsvereine laut Verfassungsschutz unter anderem über einen in Deutschland ansässigen Dachverband, der aus der Türkei von den Ultranationalisten der MHP „nach dem Prinzip von Befehl und Gehorsam dirigiert“ wird. Zu den Erkennungszeichen zählt neben dem Wolfsgruß auch ein Wolfskopf. Schon 2004 warnte der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz, dass die „Grauen Wölfe“ zur Entstehung von Parallelgesellschaften beitragen und dass aus ihrem Selbstverständnis zwingend folgt, dass sie ein Integrationshindernis sind. Aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage geht hervor, dass die türkischen Rechtsextremisten zuletzt verstärkt versucht haben, Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung zu nehmen – etwa durch Kandidaturen bei den nordrhein-westfälischen Kommunalwahlen 2020. Die Sicherheitsbehörden rechnen den „Grauen Wölfen“ hierzulande rund 12.000 Anhänger zu. Auch einzelne Funktionäre des von der Türkei aus gesteuerten Moscheeverbands DITIB und sogar lange als bestens integriert geltende Deutschtürken bekennen ganz unbefangen ihre Nähe. Erst vor kurzem zeigte sich der frühere deutsche Fußballnationalspieler Mesut Özil in den sozialen Medien mit einem der Symbole der „Grauen Wölfe“, das er sich allem Anschein nach auf die Brust hat tätowieren lassen.
Auch Aslan A. macht aus seiner Nähe zu den „Grauen Wölfen“ keinen Hehl. Immer wieder postet A. Fotos von Menschen, die den Gruß der türkischen Rechtsextremen zeigen – die zum Wolfskopf geformte emporgestreckte rechte Hand. Herter weist empört eine mutmaßliche Nähe zu den Rechtsextremen zurück. „Mir eine Nähe zum türkischen Rechtsextremismus zu unterstellen, ist absurd. Die Geschichte ist an den Haaren herbeigezogen.“ Wer ihn kenne, wisse, dass er sich sein gesamtes politisches Leben gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit unabhängig von der Herkunft der jeweiligen Nationalisten eingesetzt habe. Er sei er bei Aslan A. aus Anlass eines Festessens eingeladen gewesen. „Ich bin regelmäßig bei muslimischen Gemeinden wie auch bei Privatpersonen als Oberbürgermeister zu Gast.“ Tatsächlich suchte auch Herters Amtsvorgänger Thomas Hunsteger-Petermann von der konservativen CDU intensiv den Kontakt zur türkischen Community. Rund acht Prozent der Hammer Bürger haben türkische Wurzeln, bei Rats- und Oberbürgermeisterwahlen können ihre Stimmen den Ausschlag geben.
„Ich kann und will nicht jeden vor Bürgerkontakten regelmäßig auf seine politische Gesinnung hin überprüfen.“ Über die politische Haltung von A. sei Herter nichts bekannt. Er kenne A. nur als „freien Journalisten, der über Moscheefeierlichkeiten berichtet“. A. ist auch für die türkischsprachige Erdogan-treue, nationalistische Onlinezeitung „Öztürk“ (übersetzt: „wahrer Türke“) mit Sitz in Bielefeld tätig. Auf Nachfrage dazu teilt Herter mit, da er A. vor dem 28. Juni „nur auf öffentlichen Veranstaltungen“ begegnet sei, habe er davon keine Kenntnis. Das heißt auch: Um einen Erstkontakt handelte es sich bei dem Partybesuch also nicht. Einige Wochen vor seiner Geburtstagsfeier, kurz vor den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in der Türkei, hatte A. erneut den Ülkücü-Ortsverband in einer anderen westdeutschen Stadt besucht. Dort hatte sich von den deutschen Behörden offenbar weitestgehend unbeachtet hoher Besuch eingefunden: Der Spitzenkandidat des ultranationalistischen und rechtspopulistischen Wählerbündnisses Ata İttifakı (Partei des Sieges), Sinan Oğan, hielt dort eine Wahlkampfrede. Oğan war früher bei der MHP und gründete nach einem verlorenen Machtkampf eine eigene Partei.
Dieser twitterte im Wahlkampf: „Flüchtlinge sind die größte Gefahr für unsere Wirtschaft, Kultur, öffentliche Ordnung, innere und äußere Sicherheit. Jetzt kommt die Zeit, dass sie nach Hause geschickt werden.“ Er landete später mit knapp drei Millionen Stimmen auf dem dritten Platz und stellte sich vor der Stichwahl auf die Seite von Präsident Recep Tayyip Erdogan. In der Türkei nannte man Oğan Königsmacher. Inzwischen ist er Teil des Regierungsbündnisses. Auf den Bildern aus Deutschland, die das Onlinemedium Öztürk veröffentlichte, zeigt auch Ogan den Wolfsgruß. Die Fotos davon machte A. Ein Selfie mit dem Spitzenkandidaten postete er auf Facebook.
Wieso Herter völlig unvorbereitet in die missliche Lage geraten sein will, ist noch aus einem anderen Grund merkwürdig: Der Vorsitzende des größten deutschen SPD-Landesverbands wurde an jenem Abend von Ismail Erkul begleitet, einem Parteifreund, der so gut wie kaum jemand in Hamm geeignet sein müsste, den Oberbürgermeister politisch unbeschadet durch die türkische Community zu navigieren. Denn der deutschtürkische Multifunktionär Erkul ist seit vielen Jahren Vorsitzender des Hammer Integrationsrats und kennt alle relevanten Personen – mit Aslan A. ist er nach eigenen Angaben sogar befreundet. Im Sommer 2017 wurde Erkul – seinerzeit war er auch Sprecher der Hammer DITIB-Gemeinden – stellvertretender Vorsitzender der SPD in Hamm. Die Lokalzeitung „Westfälischer Anzeiger“ notierte damals, sein schlechtes Wahlergebnis spiegele, dass es nach tagelanger Debatte in Teilen der Parteibasis Vorbehalte gegen Erkul gegeben habe. „Wegen der politischen Lage in der Türkei und der Nähe Erkuls zur DITIB hielten es einige Genossen für unpassend, ihn in ein so exponiertes Amt zu wählen.“
SPD-Interimschef Herter hat auch nach dem Vorfall mit Aslan A. weiter volles Vertrauen zu seinem Parteifreund Erkul. „Herr Erkul setzt sich seit vielen Jahren für ein gutes Zusammenleben der Menschen in Hamm ein. Ich kenne ihn als Menschen mit einer klaren Haltung gegen jede Form von rechtsradikalen Umtrieben, egal welcher Herkunft die Person ist.“
Allerdings ist es nicht das erste Mal, dass Erkul versagt hat. Im April 2017 – kurz vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen – begleitete er Herter, der da noch Landtagsabgeordneter für Hamm war, und den damaligen Oberbürgermeister Hunsteger-Petermann zur Jubiläumsfeier eines türkischen Kulturvereins. Auf Fotos in der Onlinezeitung „Öztürk“ war Erkul bei seiner Festtagsrede zu sehen, an der Wand hing eine Fahne mit dem Vereinsemblem des Ülkücü-Dachverbands „Türk Federasyon“. Herter teilt dazu mit, die Verbindung zur Ülkücü-Bewegung sei erst im Verlauf der Feierlichkeiten deutlich geworden. Im Nachgang sei mit Verweis darauf der Kontakt zu diesem Kulturverein eingestellt worden.
Nach Einschätzung von Radikalismus-Experten haben viele Städte in Europa ein grundsätzliches Problem mit türkischen Rechtsextremisten und fanatischen AKP-Anhängern, auch gebe es viele Anhänger der „Grauen Wölfe“. Trotzdem kuscheln Spitzenpolitiker seit Jahren mit der türkischen Community, ohne zu differenzieren. Viele Mittelsmänner fungieren dabei als Brückenkopf nicht nur zur DITIB und sorgen für Stimmen aus der türkischen Community. Das hat nichts mit Naivität, sondern ist politisches Kalkül. Früher habe man vielleicht denken können, dass solche Einladungen auf einer Unkenntnis von Politikern beruhten. Seit aber in den Medien ausführlich darüber informiert wird, wie gefährlich türkische Rechtsextremisten sind, und seit sich der Bundestag klar positioniert hat, kann sich kein Politiker mehr herausreden, auch hier muss die Brandmauer stehen.
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