Die deutsche Außenpolitik ist gezwungen, neue Partner zu suchen. Die russische Invasion in der Ukraine, die Erderwärmung, Inflation, ökonomische Stagnation in der global viertgrößten Wirtschaft, in der Konsequenz eine Neuordnung der geopolitischen Realitäten forciert Deutschland dazu, international sich neu aufzustellen.
Die deutsche Außenministerin hat es sich als erste Frau auf diesem Posten auch zur Aufgabe gemacht, Außenpolitik feministischer zu denken sowie in ihrer politischen Verantwortung ebenso eine werte-orientierte Herangehensweise zu wählen. Bei ihrem Besuch in China konnten die politischen Beobachter bereits sehen, wie sie diesen Spagat zwischen interessengeleiteter und wertergeleiteter Außenpolitik erreichen wollte. Dabei ging sie auch auf Distanz zu ihrem Chef, Bundeskanzler Olaf Scholz, der kurz davor dem chinesischen Regime seine Aufwartung gemacht hatte.
Bundeskanzler Olaf Scholz hatte Saudi-Arabien Ende letzten Jahres besucht. Seine Golfreise stand im Zuge des Ukrainekrieges nicht zuletzt im Zeichen der Erschließung neuer Energiepartnerschaften. Aber in der Region wird von Deutschland mehr erwartet. „Die Energie- und Wirtschaftsfragen können jedoch nicht von den allgemeinen sicherheitspolitischen Herausforderungen getrennt werden, mit denen Saudi-Arabien und die GCC-Staaten weiterhin konfrontiert sind“, kommentierte damals damals ein Experte im Zuge des Scholz-Besuches. „Was Deutschland in diesem Zusammenhang vermissen lässt, ist eine aktivere politische Rolle, die seiner Wirtschaftskraft und seiner Position als führendem europäischen Land angemessen ist.“
Sollte sie bei ihrem Besuch in der Golfregion ähnlich auftreten, wie jüngst in China? Bereits der Beginn der Reise zeigte, dass Deutschland nicht immer mit dem Qualitätssiegel „Made in Germany“ punkten kann: Ein technischer Defekt hatte den Start Baerbocks verzögert, die samt Delegation in ein Ersatzflugzeug umsteigen musste. Ähnliches passierte schon in der Vergangenheit Mitgliedern der deutschen Bundesregierung. In der Pause vor dem Abflug hatte die Ministerin bereits Worte gefunden, die zumindest für eine gute Ankunft am Golf sorgen durften: Die Regierungen in Saudi-Arabien und Qatar „haben enormes Gewicht in den aktuellen Krisen der Region“, erklärte sie. „In einer Region, in der sich Spannungen jederzeit zu entladen drohen und viele überzeugt sind, Konflikte mit militärischen Mitteln lösen zu können, geht es uns Europäern um belastbare Kanäle zu unseren Partnern am Golf“, sagte Baerbock. Es gehe auch darum, die Partner in ihrem Engagement für Stabilität und Sicherheit der Region zu bestärken. In den aktuellen Krisen der Region hätten die Stimmen Saudi-Arabiens und Katars enormes Gewicht. Von „Partnern am Golf“ war die Rede.
Als Partner Europas, mit denen man sich auch über Menschenrechtsfragen unterhalten könnte, haben sich die Monarchien am Golf zuletzt nicht gefühlt. Es herrscht Misstrauen unter den Herrschern in Saudi-Arabien und Katar, die gerade ein Selbstbewusstsein entwickelt haben, aus dem die Haltung spricht, Europa brauche sie womöglich mehr, als sie Europa brauchen.
Bei einer Neuausrichtung der Beziehungen zwischen Berlin und Riad durften Themen angesprochen werden, in denen Berlin dem Königreich Anerkennung zeigen konnte: Saudi-Arabien hat tatkräftig dabei geholfen, Ausländer aus von heftigen Gefechten erschüttertem Sudan zu retten, hat sich außerdem als Vermittler in den Konflikt eingeschaltet. Zugleich werden in Berlin auch die jüngsten Bemühungen Riads gelobt, sich mit den Huthi-Rebellen über ein Ende der Gewalt im Jemen zu verständigen. Ebenso die saudisch-iranische Annäherung, deren Gegensatz lange Zeit große destruktive Kraft in der Region entfaltete.
Baerbock traf sich in der Hafenstadt Dschidda zunächst mit ihrem saudischen Kollegen Faisal bin Farhan, danach stand ein Gespräch mit dem jemenitischen Außenminister Ahmed bin Mubarak auf dem Programm. Zudem tauschte sich die Ministerin mit dem UN-Koordinator für Jemen, David Gressly, über die Lage in dem Bürgerkriegsland aus.
Durch die Annäherung zwischen Saudi-Arabien und dem Iran stehen die Chancen auf eine Entspannung des Kriegs im Jemen, wo beide Länder unterschiedliche Seiten unterstützen, so gut wie seit Jahren nicht. Riad sucht einen Ausweg aus dem kostspieligen Konflikt, in dem nach UN-Schätzungen durch direkte und indirekte Kriegsfolgen mindestens 377.000 Menschen ums Leben kamen. Etwa 23 Millionen Menschen sind auf irgendeine Form humanitärer Hilfe angewiesen. Saudi-Arabien kämpft im Jemen gegen die vom Iran unterstützten Huthi-Rebellen, die das Land 2014 überrannten und die weite Teile im Norden beherrschen.
Seit Wochen verhandeln die Konfliktparteien im Sudan in Dschidda über ein vorläufiges Ende der Gewalt. In einer ersten Vereinbarung hatten sich die verfeindeten Militärblöcke auf Maßnahmen zum Schutz von Zivilisten geeinigt. In den nordostafrikanischen Land ist vor rund einem Monat ein Machtkampf gewaltsam eskaliert. Die Armee unter dem Kommando von De-facto-Präsident Abdel Fattah al-Burhan kämpft gegen die paramilitärischen Einheiten seines Vizes Mohammed Hamdan Daglo. Die beiden Generäle hatten sich 2021 gemeinsam an die Macht geputscht. UN-Angaben zufolge starben in dem Konflikt bislang mindestens 604 Menschen, mindestens 5100 wurden verletzt. Die tatsächliche Zahl dürfte jedoch deutlich höher liegen.
Es gibt aber auch heikle Themen. Einerseits öffnet Thronfolger Muhammad bin Salman die saudische Gesellschaft mit der Brechstange. Er hat vor allem den saudischen Frauen viel Bewegungsfreiheit beschert. Doch die Art und Weise, in der er das tut, passt nicht zum Konzept der „feministischen Außenpolitik“, die sich Baerbock auf die Fahnen geschrieben hat. Denn politische Freiheitsrechte gibt es nicht. Der Staat geht mit großer Härte gegen jeden vor, der die Autorität des Kronprinzen infrage stellt. Es ist eine so saudische wie bezeichnende Ironie, dass in den Fängen des brutalen Repressionsapparats auch Aktivistinnen verschwunden sind, die gegen ebenjenes Autofahrverbot gekämpft haben, das der Thronfolger selbst abgeschafft hat. In Dschiddah gibt es inzwischen eine lebendige Kunst- und Musikszene – für die aber jegliche politische Äußerung ein Tabu ist.
Die jüngste Annäherung der arabischen Staaten an das Assad-Regime war natürlich ebenfalls ein Thema der Gespräche. „Jeder Schritt in Richtung Assad sollte von konkreten Zugeständnissen abhängig gemacht werden“, sagte Baerbock nach ihren Gesprächen mit dem Saudi-arabischen Amtskollegen. Assad dürfe nicht „für täglich schwerste Menschenrechtsverletzungen auch noch belohnt“ werden. Die arabischen Länder hatten sich kürzlich auf eine Wiederaufnahme Syriens in die etwa 20 Mitglieder zählende Organisation geeinigt. Sie treiben damit eine laufende Normalisierung mit Assad in der Region voran, der nach Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien 2011 jahrelang isoliert war. „In Syrien ist der politische Prozess zur Lösung des Konflikts weiter in weiter Ferne. Seit über zehn Jahren gibt es nur Blutvergießen, unglaubliches menschliches Leid, über das kaum mehr berichtet wird“, sagte die Ministerin. Im Westen gelten Gespräche mit Assad, dessen Regierung die EU und USA mit umfassenden Sanktionen belegte, als tabu. Diese Strafmaßnahmen waren eine Reaktion auf die gewaltsame Unterdrückung der Zivilbevölkerung durch die Assad-Regierung. Aus den Massenprotesten gegen Assad entwickelte sich später ein Bürgerkrieg mit internationaler Beteiligung.
Der saudische König Salman lud den syrischen Gewaltherrscher für das Gipfeltreffen der Arabischen Liga ein, das ebenfalls in Dschiddah stattfand. Nach Angaben von arabischen Diplomaten hat Riad zuletzt erheblichen Druck auf die verbliebenen arabischen Mächte ausgeübt, die Syrien nicht wieder in die Staatenorganisation aufnehmen wollten. Zuletzt wurde sogar berichtet, das Königreich wolle dem mit Sanktionen belegten Assad-Regime etwa vier Milliarden Dollar zahlen, damit er die Golfstaaten nicht mehr mit dem Aufputschmittel Captagon überschwemmt.
Mehr deutsches Engagement ist eine Forderung, die man auch anderswo am Golf hört. In Katar herrscht aus anderen Gründen Enttäuschung. Es geht um die deutsche Feindseligkeit gegenüber der Fußball-WM, und vor allem geht es um die Auftritte der deutschen Innenministerin Nancy Faeser. Diese hatte im Zuge der WM – nicht nur nach Einschätzung der katarischen Führung – mit effekthascherischer Kritik Punkte beim deutschen Publikum machen wollen. In Doha hat man nicht vergessen, dass die Innenministerin hinter verschlossenen Türen verbindlicher und freundlicher war als vor der deutschen Presse. Das wog auch schwerer als der qatarische Unmut über die negative Stimmung, mit der sich Deutschland im WM-Winter hervorgetan hatte. Auch das hat man in der ganzen Region registriert, wo großer Widerwille herrscht, sich Kritik aus dem Westen an der Menschenrechtslage anzuhören.
Der diplomatische Schaden, den die deutsche Innenministerin hinterlassen habe, sei nicht zuletzt wegen des Engagements aus dem Kanzleramt weitgehend behoben, so Regierungsvertreter in der katarischen Hauptstadt Doha. Die bilateralen Beziehungen seien gut. Es bleibe aber ein Rest Unbehagen, was öffentliche Auftritte deutscher Gäste angehe.
Wie Baerbock der Spagat langfristig gelingen mag, ist schwer zu sagen. Bei den meisten Treffen durften Journalistinnen und Journalisten nicht dabei sein. Eine gemeinsame Pressekonferenz gab es nur in Katar, nicht aber in Saudi-Arabien. Doch die Körpersprache der Ministerin verrät etwas, wie sie ihre Rolle hier am Golf versteht. Baerbock begrüßt den Emir im Palast von Doha mit freundlichem Lächeln und ausgestreckter Hand. Das wirkt selbstbewusst. Ihr Parteifreund Robert Habeck hatte sich bei seinem Besuch in Katar noch vor dem Handelsminister verbeugt. Kritiker sahen darin eine Geste der Unterwerfung. Baerbock schien so etwas nicht in den Sinn zu kommen.
Alle Veröffentlichungs- und Urheberrechte sind dem MENA Research and Study Center vorbehalten.