Staatsoberhäupter in Deutschland nehmen gern in ihren Sonntagsreden in Anspruch, für die gesamte Gesellschaft in ihrem Land zu sprechen. Dies gilt auch für die große Anzahl an Muslimen in Deutschland, die immer wieder Diskriminierung und Missachten durch die Mehrheitsgesellschaft erfahren.
Den Anfang machte 2010 der damalige Präsident Christian Wulff mit seinem Statement zum deutschen Nationalfeiertag, „der Islam gehört inzwischen zu Deutschland“. Damals kam es zu einem großen Aufschrei in der Öffentlichkeit, wie ein Staatsoberhaupt einen solchen Satz überhaupt aussprechen könne. Wulff bekam aber auch viel Zuspruch, nicht nur aus der muslimischen Community. Nun hat, abgewandelt, auch der aktuelle Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier einen ähnlichen Satz in einem Grußwort benutzt: „Der Islam, die muslimische Religion, das muslimische Leben, die muslimische Kultur haben Wurzeln geschlagen in unserem Land“, erklärte er anlässlich der Feier zum 50-jährigen Bestehen des Verbandes der Islamischen Kulturzentren (VIKZ) in Köln.
Es sind nicht nur die Worte, die einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Es sind auch die Orte wichtig und das Publikum, vor denen etwas vorgetragen wird. Im Falle von Wulff war es der Tag der deutschen Einheit, der Nationalfeiertag in Deutschland. Er sprach zur gesamten Gesellschaft, die mittlerweile eine multikulturelle geworden ist, in der ein „common sense“ besteht, der nicht mehr bei religiösen oder ethnischen Grenzen Halt macht. Bei der Rede von Steinmeier verhält es sich etwas anders. Sein Grußwort beim VIKZ, einem der größten islamischen Verbände in Deutschland, muss anders bewertet werden.
Warum spricht ein Bundespräsident bei einer islamischen Interessenvertretung, die nicht gerade transparent nach außen auftritt und Positionen vertritt, die den deutschen und europäischen Werten widersprechen? Nach eigenen Angaben gehören dem VIKZ circa 300 Moscheegemeinden an. Wie viele zahlende Mitglieder diese Gemeinden tatsächlich haben, wie viele Muslime der Verband also vertritt, darüber schweigt sich der VIKZ aus. Dafür gibt er an, dass sowohl seine neue Anlage in Köln für 70 Millionen Euro als auch mindestens 160 Liegenschaften in verschiedenen Bundesländern jeweils aus Mitgliedsbeiträgen, Spenden und Krediten bezahlt werden. Dieselben Mitglieder, die mit ihren Beiträgen die Kosten ihres Gemeindevereins decken, stemmen demnach auch das Eigenkapital für die Immobilien sowie die Kreditratenrückzahlung – und schicken zudem ihre Kinder kostenpflichtig in die Betreuungseinrichtungen des VIKZ. Das ist eine Menge Geld. Da wäre schon interessant zu erfahren, auf wie viele Menschen sich eine solche finanzielle Belastung verteilt oder ob das Geld aus anderen Quellen wie zum Beispiel Unternehmen oder aus dem Ausland stammt.
Die Studie „Muslimisches Leben in Deutschland“ aus dem Jahr 2020 hatte herausgefunden, dass der Verband gerade einmal 11 Prozent aller Muslime in Deutschland bekannt ist. Viel weniger Muslime fühlen sich von diesem vertreten, nämlich lediglich 5 Prozent. Damit entsteht die paradoxe Situation, dass einer der größten islamischen Verbände in Deutschland für Muslime nahezu irrelevant ist – während Politiker wie Steinmeier eine solche Organisation immer wieder aufwerten. Das Problematische daran ist besonders, dass diese Aufwertung nur in die entsprechende Community hinein geht. Die Verbände haben mit solchen Events mit Spitzenpolitikern eine wunderbare Legitimationsbasis: „Schaut her, die deutsche Politik ist immer bei uns zu Gast, sie unterstützt uns und unsere Werte!“ Mit solchen Auftritten ignorieren Politiker, dass die Mehrheit der Muslime ihre Religion abseits der Verbände lebt.
Gerade mit dem Religionsverständnis solcher Verbände will die Mehrzahl der Muslime nichts zu tun haben, anscheinend im Gegensatz zu den Politikern. Neben der Intransparenz solcher Vereine ist es das ultra-konservative Weltbild von ihnen, die von der Mehrheit der Muslime abgelehnt wird. Beim VIKZ, der lobende Worte vom deutschen Staatsoberhaupt erhielt, ist es eine religiöse Ideologie, die von der Unreinheit von Frauen spricht, einem Kontaktverbot zwischen den Geschlechtern, Kopftuchpflicht für Mädchen ab neun Jahren. Auch von antisemitischen Äusserungen wird immer wieder berichtet. Wenn man solche Verbände auf solche problematischen Werte anspricht, kontern sie immer, sich zum Grundgesetz zu bekennen. Allein schon die „Lehre“, Frauen seien unrein, wird wohl nicht von der deutschen Verfassung und den europäischen Grundrechten gedeckt. Die Vermittlung solcher Werte widerspricht zudem fundamental jeder Integration. Eine ganze Reihe von staatlichen Einrichtungen in Deutschland belegen, dass Verbände wie der VIKZ „integrationsfeindlich“ seien.
Die vier großen islamischen Verbände (DITIB, Islamrat, Zentralrat der Muslime und VIKZ) würden aus Sicht vieler Experten die rechtlichen Voraussetzungen für eine Anerkennung als Religionsgemeinschaften nicht erfüllen. Warum also ignorieren deutsche Spitzenpolitiker diese Warnungen? Es ist wohl eine Mischung aus Bequemlichkeit, Ignoranz und Naivität, dem Abschieben von Verantwortung, aber auch dem Anbiedern an eine Community geschuldet, die womöglich ein Wählerpotential darstellen könnte.
Es ist wohl ein Grundproblem der Politik in Europa, dass Muslime weiterhin dieser Art der politischen Geiselnahme unterworfen werden, indem sie politisch von individuellen Bürgern auf ihren Glauben reduziert werden und damit ihre Interessenwahrnehmung aus der Verantwortung von gewählten Vertretern auf religiöse Verbände verlagert wird.
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