Während die Mullah-Führung im Iran Salman Rushdie selbst sowie seine Anhänger für den Mordangriff Ende vergangener Woche verantwortlich macht, schweigen in Europa die muslimischen Verbände und verurteilen nicht das Attentat. Der Sprecher des iranischen Außenministeriums meinte bei einer Pressekonferenz, Meinungsfreiheit rechtfertige nicht Rushdies „Beleidigungen“ von Religion in seinen Werken. Über den Angreifer von Rushdie habe er nur die Informationen, die den Medien zu entnehmen seien.
Rushdie war am Freitag bei einer Veranstaltung im US-Bundesstaat New York auf offener Bühne angegriffen und verletzt worden. Er wurde noch vor Ort von einem Teilnehmer der Veranstaltung, der Notfallmediziner war, versorgt und daraufhin in ein Krankenhaus gebracht worden. Trotz der diversen Messerstiche in Gesicht, Hals und Abdomen befindet sich der Nobelpreisträger auf dem Weg der Besserung und muss nicht mehr künstlich beatmet werden. Der 24-jährige Angreifer wurde festgenommen.
Der in Indien geborene Rushdie war vor allem wegen „Blasphemie“ in seinem Buch „Die satanischen Verse“ in der islamischen Welt in die Kritik geraten. 1988 wurde das Buch in vielen islamischen Ländern verboten. 1989 sprach das damalige geistliche und politische Oberhaupt des Irans, Ajatollah Ruhollah Chomeini, eine sogenannte „Fatwa“ zur Tötung Rushdies aus unterhob gar ein Kopfgeld auf Rushdie und diejenigen, die an dem Buch beteiligt waren. Von diesem Aufruf an alle Muslime war die iranische Führung später abgerückt. Trotzdem wurde der japanische Übersetzer der „Satanischen Verse“ von einem Attentäter umgebracht, der sich auf die Fatwa Chomeinis berief.
Die ultra-konservative iranische Zeitung „Kayhan“ lobte nach dem Mordversuch den Angreifer als „mutigen Mann“, der dem „lasterhaften“ Rushdie „den Hals mit einem Messer aufgerissen“ habe. Andere Medien im Iran äußerten sich ähnlich. Auch in Pakistan gab es Unterstützungsbekundungen für den Täter.
Der von der Polizei als Hadi Matar identifizierte Angreifer erschien am Samstag zu einer Anhörung vor Gericht in Chautauqua. Zum gegen ihn erhobenen Vorwurf des „Mordversuches“ erklärte er sich über seinen Anwalt für nicht schuldig. Damit blieb weiter unklar, ob der 24-Jährige in Folge der „Fatwa“ von 1989 handelte. Der nächste Gerichtstermin für Matar ist für kommenden Freitag angesetzt.
In der westlichen Welt löste der Angriff großes Entsetzen aus. US-Präsident Joe Biden verurteilte den „feigen Angriff“ und würdigte Rushdie für seine „Weigerung, sich einschüchtern oder zum Schweigen bringen zu lassen“. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz sprach von einer „abscheulichen Tat“ und würdigte Rushdies furchtlosen Einsatz für die Meinungsfreiheit.
Die sozialen Medien werden auch für Hetze und Hate Speech durch islamistische Extremisten missbraucht. Auf Twitter huldigen muslimische Fanatiker dem mit verfälschten Fotos von der Festnahme zur dschihadistischen Ikone stilisierten Attentäter. Der arabische Hashtag „Hadi Matar repräsentiert mich“ ist das muslimische Pendant zum „Je suis Charlie“ nach dem Massaker in der Pariser Charlie-Hebdo-Redaktion 2015, diesmal allerdings in Täter-Opfer-Umkehr: Nicht der Toten oder Verletzten wird gedacht, sondern der Attentäter wird heroisiert.
„Herzlichen Glückwunsch, Gott segne Dich für diese Arbeit“ heißt es unter dem Hashtag. „Friede sei mit demjenigen, der leise Stichwunden auf Satans Körper regnete“, schrieb ein anderer. Ebenso werden Warnungen auf Twitter verbreitet: „Wer es wagt, den Islam und Mohammed zu beleidigen, muss mit einem ähnlichen Schicksal rechnen. Es ist kein Terrorismus, es ist heroische Verteidigung.“
Laut Recherchen hat Twitter bis Montagabend nur einen Tweet mit Hinweis auf den Verstoß der Richtlinien des Konzerns gelöscht, in dem der Mordanschlag als „größte Frohbotschaft des Jahrhunderts“ bezeichnet wurde.
Europäische Islamverbände haben sich bislang nicht zum Attentat geäussert. Der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) veröffentlichte am Tag des Attentats und dem darauf folgenden Wochenende Statements zu Islamfeindlichkeit in Deutschland sowie Zunahme von Rassismus im Land, nichts zu dem Attentat. Gleiches gilt für den Bund der Muslimischen Jugend (BDJM) und den in Deutschland besonders starken Ditib-Verband, welcher die türkischen Muslime im Land vertritt.
Auch wenn die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) bislang keine Presseaussendung zum Mordanschlag gegen Rushdie herausgegeben hat, hat dessen Präsident Ümit Vural zumindest über Twitter sein Mitgefühl ausgedrückt und die Meinungsfreiheit als Menschenrecht hervorgehoben. Ähnlich verhält es sich in Frankreich, Belgien und Skandinavien.
Recherchiert man noch die aktuellen Stellungnahmen von Politikern in Deutschland, Österreich, Frankreich und Belgien mit Migrationshintergrund, ist das Bild ebenso uneindeutig: Diejenigen, die sich immer wieder kritisch mit dem Islam und dessen Rolle im 21. Jahrhundert auseinandersetzen, für eine säkulare Gesellschaft eintreten, haben ihre Anteilnahme ausgedrückt. Andere, die wiederum in ihrer politischen Arbeit und Kommunikation auf die religiösen Communities setzen, schweigen sich aus. Gerade diese Multiplikatoren sollten ein Zeichen setzen in ihre Wählerschaft hinein, welche Werte ausschlaggebend sind in einer europäischen Gesellschaft. Leider ist diese Hoffnung vergebens!
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