Die Saudis adaptieren Katar. Nur schneller, größer und aggressiver, ermöglicht durch schier unendliche finanzielle Möglichkeiten, die selbst den Reichtum Katars lächerlich klein wirken lassen. „Sie versuchen, den Rückstand in Rekordzeit aufzuholen“, erklärt ein europäischer Manager, der in der Golfregion lange als Berater tätig war.
Zuletzt sorgte die Schlagzeile für Aufsehen, wonach der saudische Kronprinz und de facto Herrscher Muhammed bin Salman Griechenland und Ägypten als Vehikel für eine Vergabe der Fußball-WM 2030 zu gewinnen versuchte. Der Kronprinz des laut Schätzungen 1,2 Billionen Euro schweren saudischen Königshauses habe den Ländern demnach den Bau neuer Stadien und die volle Kostenübernahme des Turniers offeriert. Im Gegenzug würden dann aber drei Viertel aller Partien in Saudi-Arabien ausgetragen.
Bin Salmans „Vision 2030“ ist aus 2016 und damit acht Jahre jünger als die des Emirs von Katar. Die Fußball-WM nun acht Jahre nach der Veranstaltung in Katar auszurichten wäre somit eher Mathematik als Zufall. Auf anderem Gebiet haben die Saudis schon Boden gut gemacht. 2030 finden die Asienspiele in Doha (Katar) statt, 2034 in Riad (Saudi-Arabien). Und zwei Jahre später sollen die Kräfteverhältnisse am Golf dann auch sportlich wieder zurechtgerückt sein. Mit einem Sieg im großen Bieter-Finale: Sowohl Katar als auch Saudi-Arabien wollen die Olympischen Sommerspiele 2036 ausrichten.
Muhammad bin Salman, kurz MBS, kann aktuell kaum gehen vor lauter Kaufkraft. Der staatliche Ölkonzern Aramco hat Ende Februar einen Rekordgewinn von 161 Milliarden Dollar (151 Milliarden Euro) gemeldet. Mehr Geld hat ein Ölkonzern in einem Jahr noch nie verdient. Die Dividende für das vergangene Quartal, rund 19,5 Milliarden Dollar (18,3 Milliarden Euro), fließt hauptsächlich in die Staatskassen, weil der Hauptaktionär des saudischen Konzerns Saudi-Arabien ist. Es dürfte derzeit genug Geld vorhanden sein, um es in Großveranstaltungen und Stars zu investieren. Der Sport ist Teil seiner Agenda 2030, eines Reformprojektes, das für den ehrgeizigen Thronfolger absolute Priorität hat: Er will die saudische Volkswirtschaft umbauen, sein Land soll unabhängig von den Öleinnahmen werden.
Moderne vs. Mittelalter
Gleichzeitig finden in dem Land mit 36 Millionen Einwohnern, das seine Herrscher immer wieder gerne als ein Zentrum der Moderne präsentieren wollen, noch immer Hinrichtungen statt, Dieben wird die Hand amputiert, auf Meineid folgt das Abschneiden der Zunge. Ein Seitensprung wird mit Steinigung geahndet, und Frauen, denen häusliche Gewalt widerfährt, dürfen den ehelichen Wohnsitz nur dann verlassen, wenn der männliche Vormund dies erlaubt. „Zu diesen Arabern wurde ich als ein Fremdling gesandt, unfähig, ihre Gedanken zu denken oder ihre Anschauungen zu teilen“, schrieb T. E. Lawrence in seinem 1926 erschienenen Kriegsbericht „Die sieben Säulen der Weisheit“. Die Einschätzungen und Beobachtungen des englischen Offiziers, der als Lawrence von Arabien weltweit Bekanntheit erlangte, sind immer noch aktuell. Saudi-Arabien war und ist eine eigene, für Außenstehende schwer zu ergründende Welt geblieben.
So wie einst der Offizier und Archäologe verzweifelt 110 Jahre später gerade die Sportwelt an einer validen Interpretation, was genau Saudi-Arabien in den kommenden Monaten noch vorhat, nachdem Jahrzehnte gültige Standards, Gepflogenheiten und Turnier-Traditionen von saudischen Milliarden-Investitionen entwertet wurden.
MBS denkt traditionell in gigantomanischen Kategorien. Aktuell am intensivsten nachzuempfinden im nordwestlichsten Zipfel des riesigen Landes, wo seit fünfeinhalb Jahren die Superstadt Neom entsteht – ein ultramoderner und aus dem Nichts der Wüste gestampfter Flecken Hyper-Futurismus, der jede noch so schräge Science-Fiction-Vision zum Langweiler degradiert. Mindestens 500 Milliarden Euro kostet das auf der Größe Belgiens geplante Projekt. Es ist, als wäre ein Raumschiff im Mittelalter gelandet. Das neueste Projekt ist der größte Würfel der Welt im Norden der Hauptstadt. Ein konsumorientiertes Ungetüm namens Mukaab, in das zwanzigmal des Empire State Building aus New York passen soll und von wo aus unter anderem virtuelle Mars-Reisen starten sollen. Es soll nach saudischem Willen ein neues Wahrzeichen werden; wie der Eiffelturm zum Beispiel. Nur entscheiden über die Bedeutung, die Bauwerke bekommen, nicht immer die Bauherren. Bei Sportevents kommt man mit der Attitüde, so ziemlich alles und fast jeder lasse sich kaufen, womöglich weiter. Wo, wenn nicht auf dem Feld der Sportevents können die arabischen Golfstaaten lernen, dass am Ende alles nur eine Frage des Geldes ist?
Der Sport als Werbeträger
Der Sport spielt dabei eine große Rolle für den saudischen Prinzen: Kurz nach dem Sieg des deutschen Rekordmeisters Bayern München gegen Paris St. Germain in der Champions League machte eine Nachricht auf der Website von „Arab News“, 1975 als erste englischsprachige Zeitung im Königreich Saudi-Arabien gegründet, folgende Schlagzeile: „Messi besucht Saudi-Arabien in diesem Monat“. Der saudische Tourismusminister freue sich sehr, „unseren Tourismusbotschafter und Star Lionel Messi und seine Familie und Freunde diesen Monat bei seinem zweiten Besuch willkommen zu heißen, wo er die schönsten Touristenattraktionen besuchen wird, mit Menschen Kontakte knüpfen und eine einzigartige Erfahrung machen wird“. Vielleicht kommt Messi noch öfter. Und bleibt länger. Al-Hilal, der beliebteste Klub des Landes aus der Hauptstadt Riad, soll den Argentinier, der noch für den Pariser Verein spielt, für die kommende Saison verpflichten wollen. Die Frequenz der Meldungen, mit denen das Werben öffentlich wird, steigt. Nicht unerwähnt soll bleiben, dass die Mannschaft aus der französischen Hauptstadt im Besitz des langjährigen Rivalen Katar ist!
Nach seiner eher durchwachsenen Saison bei Manchester United, um es höflich auszudrücken, entschied sich Cristiano Ronaldo Ende letzten Jahres zum Abgang von der großen Bühne. Er hätte noch einmal zu Real Madrid gehen können, zum FC Chelsea oder vielleicht sogar nach München. Mit Newcastle United stand auch der 2021 von den Saudis übernommene Premier-League-Klub zur Debatte. Doch die Scheichs holten sich den fünfmaligen Weltfußballer lieber direkt in die Wüste. Einer der beiden prägenden Superstars dieses Jahrtausends erhält somit zwar 200 Millionen Euro pro Saison, kickt bei al-Nasr aber fernab sportlicher Relevanz. Der andere, Lionel Messi, fungiert längst als offizieller Botschafter des Landes.
Saudische Gigantomanie im Sport-Business
Auch wenn die Versuche, der Uefa Champions League mit einer eigenen Super League den Rang abzukaufen, anders als im Golf bisher misslangen, sind die Erfolge auf dem Transfermarkt der Sportveranstaltungen beträchtlich. Mindestens noch bis 2029 wird in Riad der spanische Supercup ausgespielt, dieses Jahr fuhr die Formel 1 zum dritten Mal den Großen Preis von Saudi-Arabien aus. Das Land kaufte sich für 90 Millionen Euro den Boxkampf um die Schwergewichts-WM zwischen Andy Ruiz jr. und Anthony Joshua, und hätten nicht derart viele Tennisprofis mit Boykott gedroht, würde mittlerweile auch der Daviscup in Riad ausgespielt. Die jüngste Verpflichtung folgte im Februar, als das Land den Zuschlag für die Fußball-Asienmeisterschaft 2027 erhielt.
Der Versuch, Wimbledon zum echten Sandplatzturnier zu machen? Wer das für eine Fata Morgana hält, sei daran erinnert, dass 2029 die Asiatischen Winterspiele in der Wüste ausgetragen werden. Was aber treibt die Saudis? Woher nach der totalen Abkapselung die plötzliche Faszination für sportliche Großereignisse? Eine Antwort liegt in der Nachbarschaft. Dass das kleine Katar mit seinen 300.000 nativen Einwohnern den Saudis mit der Vergabe der WM und anderen internationalen Events als neuer Sport-Powerplayer eine ganz lange Nase zeigt, war bereits einer der Gründe, dass die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien 2017 die Blockade gegen Katar initiiert haben. Dass sich dieses winzig kleine Land über seine Sportspromotion dermaßen global in den Vordergrund schieben konnte, hat sehr viel Unwille in Saudi-Arabien verursacht.
Der Verweis auf den ungeliebten Nachbarn
Das saudische Selbstbewusstsein ist jedenfalls derzeit so groß wie die Öleinkünfte. Zuletzt veröffentlichte der saudische Botschafter in den Vereinigten Staaten einen Meinungsbeitrag, der dem Vorwurf entgegentrat, es gehe der Führung um Sportwashing, um Imagepflege: „Bei saudischen Sportinvestitionen geht es um uns, nicht darum, wie andere uns sehen.“ Daran ist durchaus etwas Wahres. Für Qatar, den schwerreichen Ausrichter 2022, ist das Geld, das in WM und PSG gepumpt wurde, auch eine Investition in die eigene Sichtbarkeit, die es wiederum zum Schutz vor mächtigen Nachbarn wie Saudi-Arabien anstrebt. Das Königreich hat so etwas weniger nötig, auch wenn es den Kronprinzen natürlich schmerzt, dass er nach dem brutalen Knochensägen-Mord an seinem Kritiker Jamal Khashoggi 2018 in die internationale Schmuddelecke gestellt wurde.
Vielmehr geht es darum, das Königreich als Tourismusdestination jenseits der Pilgerströme zu den heiligen Stätten des Islams zu etablieren. Und es gibt im Königreich – anders als bei anderen Konkurrenten am Golf – einen der größten Binnenmärkte der Region. Etwa siebzig Prozent der mehr als 35 Millionen Saudis sind jünger als 35 Jahre. Sie sind dankbar, dass MBS für seine Reformagenda die erzkonservativen wahhabitischen Religionsgelehrten entmachtet hat, die ihren Alltag in ein enges Korsett rückständiger Sittsamkeit geschnürt hatten. Und sie sollen sich nach dem Willen des Kronprinzen amüsieren dürfen. Nur kritisieren dürfen sie ihn nicht. Den meisten käme das auch nicht in den Sinn. Ihnen ist die gesellschaftliche Öffnung mit der Brechstange wichtiger als der Frust über die politische Repression.
Werte?
Und die Menschenrechte? Bereits während der Fußball-WM letztes Jahr wurde auch für die breite Öffentlichkeit deutlich, wie ein autoritäres System in Katar mit dem sensiblen Thema umgeht. Aber nicht nur die Herrscher vor Ort, auch die Granden der internationalen Sportverbände, in Katar war es der umstrittene FIFA-Präsident Gianni Infantino, haben sich alle Mühe gegeben, Menschenrechtsverletzungen schnell unter den Teppich zu kehren. Beim Sport-Sponsoring der Saudis werden die politischen und gesellschaftlichen Missstände im Land auch immer mehr zum Thema, besonders im Westen. Die Direktorin der Organisation zur Aufdeckung extremer Menschenrechtsverletzungen Reprieve: „Seit 2015 hat das saudi-arabische Regime mehr als 1.000 Menschen hingerichtet, darunter angeklagte Kinder, demokratiefreundliche Demonstranten und unschuldige Drogenkuriere. Allein Ende Februar 2023 gab es in Saudi-Arabien mindestens 13 Hinrichtungen, darunter Hussein Abo al-Kheir, ein jordanischer Vater von acht Kindern, dessen Fall von UN-Experten und britischen Abgeordneten zur Sprache gebracht worden war. Exekutionen am Vorabend des Formel 1-Grand Prix sind eine dreiste Zurschaustellung der Straflosigkeit der saudischen Behörden, die zuversichtlich sind, dass der Sport und seine Handelspartner schweigen werden.“
In den Pressekonferenzen des Internationalen Automobil-Verbandes (FIA) erweckten grundsätzlich alle Fahrer den Eindruck, dass sie sich halbwegs wohlfühlen, beim Grand Prix in Saudi-Arabien zu fahren, als eine Frage nach dem Raketeneinschlag im vergangenen Jahr in der Nähe der Rennstrecke die sportpolitischen Umstände berührte. Nur einer ließ aufhorchen, Mercedes-Pilot Lewis Hamilton: „Nichts hinzuzufügen, das Gegenteil vom Gesagtem.“ Das Gegenteil? „Kann jeder interpretieren“, fügte der siebenmalige Weltmeister hinzu, bevor er auf die dritte Nachfrage konkreter wurde: „Ich habe immer noch das Gefühl, dass der Sport, wenn er an Orte mit Menschenrechtsproblemen geht wie diesen, die Pflicht hat, das Bewusstsein zu schärfen und zu versuchen, eine positive Wirkung zu hinterlassen. Ich habe das Gefühl, dass er mehr tun muss.“ Die FIA hat zuletzt etwas getan. Sie erinnerte alle Fahrer daran, dass politische Äußerungen, Zeichen wie Gesten während des Rennens und der Siegerehrung verboten sind.
Neben einer wirtschaftlichen Neuausrichtung, verletzter nachbarschaftlicher Eitelkeit und dem Wunsch nach globaler Aufmerksamkeit forciert wohl auch die innenpolitische Lage das vom saudischen Kronprinzen Mohammed Bin Salman in seiner „Vision 2030“ manifestierte Streben nach Sport. Es gibt keinerlei öffentliche Meinungsbildung, es gibt keine freie Presse. Aber MBS weiß um die Unzufriedenheit der jungen Leute über die Rückständigkeit und den Konservatismus des Landes. Neben Brot soll es daher auch Spiele geben. Es kamen daher die Vorbilder in der Nachbarschaft gerade recht. Vor allem die Katarer machten mit ihrer „Vision 2030“ vor, wie mit großen Turnieren und prestigeträchtigen Wettbewerben Aufsehen erregt und der Tourismus angekurbelt werden kann. Die Rechnung mit dem sogenannten Sportswashing ging trotz aller Kritik aus Europa global gesehen voll auf.
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