Die Situation vieler deutscher Politiker ist aktuell gekennzeichnet von Verzweiflung: Rechtsextreme Parteien haben massiven Zulauf, besonders im Osten des Landes. Dort drohen bei den kommenden Landtagswahlen im September Verhältnisse, die Deutschland bislang noch nicht erlebt hat mit einem möglichen Sieg der neuen deutschen Rechten. Da ist es nicht verwunderlich, dass die deutsche Regierung, die von ihrer Bevölkerung nicht gerade mit Lob überschüttet wird, den Kampf „gegen rechts“ zu einer ihrer Hauptaufgaben gemacht hat. Ein neues Demokratiefördergesetz soll mit rund 200 Millionen Euro Steuergeld im Jahr Initiativen finanzieren, die sich für „Vielfalt, Toleranz und Demokratie“ einsetzen. Denen, die Demokratie lebendig machten, müsse der Rücken gestärkt werden, sagt die verantwortliche Innenministerin, eine Sozialdemokratin. Um diese „dauerhaft und verlässlich“ zu fördern, wirbt Ministerin Faeser dafür, das Demokratiefördergesetz nun endlich zu beschliessen. Bis jetzt blockiert der liberale Koalitionspartner von der FDP.
Die Federführung für den Gesetzentwurf liegt allerdings nicht bei Faeser, sondern bei der grünen Familienministerin Lisa Paus. Im Parlament fand im März 2023 eine erste Lesung des Entwurfs statt. Dennoch streiten die Ampelkoalitionspartner weiter darüber, wie die finale Fassung des Gesetzes aussehen könnte. Sie streiten zu Recht, denn inzwischen gibt es ernsthafte Zweifel daran, ob ein solches Gesetz überhaupt verfassungsgemäss wäre.
Seit 2015 bündelt das Bundesfamilienministerium verschiedene Projekte zur Extremismusprävention und zur „Stärkung der Zivilgesellschaft“, die zuvor aus unterschiedlichen Töpfen finanziert wurden, in einem Programm mit dem Titel „Demokratie leben!“. Die Projektliste umfasst heute rund 600 Träger, die Zahl der von ihnen organisierten Massnahmen wurde vom Familienministerium bereits vor vier Jahren in einer Presseerklärung mit 5.000 angegeben; es dürften inzwischen mehr geworden sein. Über die Jahre sind die Bundesmittel dafür stark angestiegen: Erhielt „Demokratie leben!“ 2015 erst 40 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt, so waren es 2022 bereits 165 Millionen. Für 2024 sind 182 Millionen eingeplant.
Indes findet man bei vielen Partnerorganisationen Hinweise auf die unterschiedlichsten Aktivitäten – nicht alle haben mit der Bekämpfung von Rechtsextremismus zu tun. In der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt Kiel etwa fand vor kurzem eine Veranstaltung zur „Gender-Apartheid“ in Afghanistan statt. In einer anderen Stadt gab es im vergangenen Sommer ein „Queer-Spektakel“ für Kinder und junge Menschen, auf dem die Teilnehmer unter Anleitung des städtischen Referats der Stadt Stofftaschen, Buttons und Sticker gestalten konnten.
Der deutsche Rechnungshof geht mit dem Programm „Demokratie leben!“ ohnehin sehr hart ins Gericht. Seine zwei Haupteinwände lauten: Erstens seien die Ziele des Programms unklar. Eine „sachgerechte Zielerreichungskontrolle“ sei so nicht möglich. Und zweitens fehle die „Förderkompetenz“ des Bundes. Die wäre nur gegeben, wenn alle geförderten Massnahmen von überregionaler Bedeutung wären. In diesem zweiten Kritikpunkt steckt Sprengkraft.
In einem aktuellen Gutachten kommt auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages zu dem Schluss, dass der Bundesgesetzgeber keine Befugnis zur gesetzlichen Regelung habe, wenn Demokratieförderung auch auf Landesebene betrieben werden könne. Das Familienministerium bemüht sich zwar sehr, eine „gesamtstaatliche Verantwortung“ und die „überregionale Bedeutung“ seiner Fördermassnahmen herauszustellen.
Die liberale Innen- und Rechtspolitikerin Linda Teuteberg hat den Gesetzentwurf von Anfang an scharf kritisiert: Sie bemängelt unter anderem, dass von den geförderten Organisationen kein eindeutiges Bekenntnis zum Grundgesetz verlangt werde. Und sie befürchtet eine Unterminierung des Parlamentarismus durch ein intransparentes Geflecht von aktivistischen Gruppierungen, die letztlich Lobbyarbeit machten.
CDU-Bundestagsabgeordnete haben sie in einem Brief an die Unionsfraktion formuliert. Sie beklagen , dass bei der Kinder- und Jugendhilfe, bei Wohlfahrtsverbänden, bei Freiwilligendiensten oder der Bundeszentrale für politische Bildung „finanzielle Mittel in erheblichem Umfang“ gestrichen würden – „also genau bei den Programmen, die sich bereits aktiv vor Ort für unsere Demokratie und unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt einsetzen“.
Zudem müsse sichergestellt werden, dass alle aus „Demokratie leben!“ geförderten Organisationen tatsächlich die Grundwerte der deutschen Demokratie akzeptierten. „Derzeit erleben wir zum Beispiel, dass Vereine unterstützt werden, die aufgrund ihrer Nähe zum radikalen Islam vom Verfassungsschutz beobachtet werden“, sagt win CDU-Parlamentarier. Nicht alle Feinde des Rechtsextremismus seien automatisch Freunde der Demokratie.
Auf die Frage, ob und gegebenenfalls warum offenbar nur linke Projekte gefördert werden, antworten Politikwissenschafter gern, es seien nun einmal vor allem die kritischen Menschen, die sich zivilgesellschaftlich engagierten. Und die lokalen Demokratie-Partnerschaften erläutern diesen kritischen Menschen dann liebevoll, wie sie an das Steuergeld kommen, das ihr Engagement bezahlt. Auf vielen Homepages steht die Anleitung für Förderanträge im Zentrum.
Allein beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Anliegen, einer dem Familienministerium nachgeordneten Behörde, sind nach einem Bericht des Bundesrechnungshofes vom November 2022 hundert Mitarbeiter damit beschäftigt, die Zuwendungsbescheide zu bearbeiten. Vielfach erhielten die Träger zu hohe Mittelzuweisungen, heisst es da. Und in mehr als einem Drittel der Fälle erbrächten sie die Verwendungsnachweise für das Geld zu spät, ohne dass das Folgen für sie habe.
Ein Bekenntnis zum Grundgesetz wird im Gesetzentwurf der Regierungskoalition in Berlin ebenso wenig gefordert wie eine nachgewiesene Gemeinnützigkeit. Thomas Krüger, der langjährige sozialdemokratische Direktor der Bundeszentrale für politische Bildung, will sich lieber nicht öffentlich zum Konkurrenzprogramm „Demokratie leben!“ äussern. Er dürfte froh sein, die schlimmsten Etatkürzungen, die für seine Behörde geplant waren, abgewehrt zu haben.
Dabei gibt es durchaus Dinge, die Krüger sagen könnte: zum Beispiel, dass sich politische Bildung im Idealfall an wissenschaftlichen Standards orientiert. Dass sie Kontroversen und Interessengegensätze sichtbar macht – während der Aktivismus von „Demokratie leben!“ einen wohligen Konsens beschwört, der sich auf die kitschige Formel „Zusammenland“ bringen lässt.
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