Nach dem islamistisch motivierten Terrorakt von Mannheim im vergangenen Monat suchen die deutschen die deutschen Parteien immer noch nach Antworten, wie man der Gefahr des Islamismus in Europa begegnen kann.
Dabei ist die Debatte besonders in Kreisen der Regierungspartei der Grünen davon geprägt, wie man mit der wachsenden Zahl von gewaltbereiten Fanatikern, aber auch mit dem legalistischen Islam umgehen soll.
Tatsächlich ist bei der Partei unstrittig, dass Islamismus in Deutschland heute ein ernsthaftes Problem darstellt. So spricht die innenpolitische Sprecherin der Grünen Kaddor im Bundestag von einer „hasserfüllten politischen Ideologie, die tötet“. Der Islamismus sei eine ernstzunehmende Bedrohung für die Menschen im Lande – einschliesslich der Muslime.
Auch Parteichef Omid Nouripour äusserte sich nach der Bluttat von Mannheim, bei der ein Polizist ums Leben kam und mehrere Personen zum Teil schwer verletzt wurden, unmissverständlich. Der Islamismus sei eine massive Gefahr für die deutsche Demokratie und Gesellschaft. „Ihn müssen wir bekämpfen, national und international“, sagte er.
Schon nach den Sympathiekundgebungen für den Überfall der Hamas auf Israel und Demonstrationen, bei denen Forderungen nach einem Kalifat laut wurden, reagierten die Grünen mit entschlossenen Forderungen nach strafrechtlichen Konsequenzen und Vereinsverboten. Eine mit der Bekämpfung des Rechtsextremismus vergleichbare Priorität genoss und genießt die des Islamismus in der Partei freilich nicht. Umfassende Konzepte fehlen. Bereits bei der Problemanzeige hapert es mitunter noch immer. Symptomatisch war dafür das Wahlprogramm der Partei zur Europawahl.
Darin wird beklagt, dass muslimisches Leben zur Zielscheibe von rechten und verschwörungsideologischen Bewegungen geworden sei. Begrüsst wird deshalb, dass die EU „nach langer Zeit endlich die Stelle der EU-Koordinatorin gegen Islamfeindlichkeit neu besetzt“ habe. Vom Islamismus als einem auf europäischer Ebene zu adressierenden Problem ist nicht die Rede.
Das war bereits im Wahlprogramm der Partei zur Bundestagswahl 2021 so. Auch hier ging es in erster Linie um die gleichberechtigte Integration des Islam als Religionsgemeinschaft und darum, wie man Muslime besser vor Diskriminierung schützt. Immerhin erklärte man sich darin solidarisch „mit Kritikern von fundamentalistisch-politischen Kräften, wenn sie massiv bedroht werden“. Für Menschen, die aus der islamistischen Szene ausgestiegen sind, wollte man durch Programme eine Brücke bauen.
Im Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2017 waren die Grünen schon weiter. Darin wurde gefordert, alles zu unternehmen, damit junge Menschen nicht in „menschenverachtende, gewaltpropagierende Ideologien“ abgleiten. „Dazu wollen wir eine umfassende und wirkungsvolle Präventionsstrategie gegen gewaltbereiten Islamismus anwenden.“ Ein bundesweites Präventionszentrum, so die Forderung, solle die Aufgaben koordinieren und alle relevanten staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteure vernetzen.
Es sind mehrfache Bedenken, die die Grünen seit Regierungsantritt auf nationaler Ebene daran hindern, sich systematisch des Problems Islamismus anzunehmen. Sie fürchten ganz grundsätzlich, dass dies vor allem auf das Konto der politischen Rechten einzahlt.
Zudem ist die Sorge gross, dass Muslime dadurch unter Generalverdacht gestellt würden. Von der Union im Bundestag oder auf Landesebene eingebrachte Anträge zur Bekämpfung des politischen Islam stossen deshalb regelmässig auf Ablehnung der Grünen. Man wirft der Union vor, Muslime insgesamt unter Rechtfertigungsdruck zu setzen.
Wo sich die Partei deshalb dem Thema Islamismus stellt, tut sie dies nur dann, wenn auch von der Bekämpfung von sogenanntem antimuslimischem Rassismus die Rede ist. Ein von der grünen Bundestagsfraktion kürzlich einberufenes Fachgespräch nannte beide Phänomene im selben Atemzug.
Die Abgeordnete Kaddor machte dabei deutlich, dass die beiden Konfliktfelder Islamismus und Islamfeindlichkeit nur gemeinsam wirksam bekämpft werden könnten. Dieser Ansatz bleibt indes die Antwort auf den Umstand schuldig, dass Islamismus auch in mehrheitlich islamisch geprägten Ländern virulent ist. Er stellt also nicht einfach eine Reaktion auf islamfeindliche Einstellungen in westlichen Gesellschaften dar.
In das deutsche Parlament wurde ein Antrag eingebracht, der sich auf die Gefahren des Islamismus konzentrierte und wie die Politik damit umgehen sollte. Für die CDU/CSU ist die Debatte durch die Bundesregierung im Wesentlichen auf die Ankündigung verengt worden, Straftäter wieder nach Afghanistan und Syrien abschieben zu wollen. Das sei zwar zu begrüßen. „Allerdings hat Innenministerin Faeser das schon im März 2023 angekündigt und bis heute nicht umgesetzt“, sagte eine CDU-Abgeordnete. Wisse man dann noch, dass die letzte Lageanalyse zu Afghanistan aus dem Oktober 2021 stamme, werde klar: Die Ampel rede nur, tue aber gar nichts.
Die Bevölkerung habe jedoch die „Politik der leeren Phrasen und der Nebelkerzen“ satt. Das habe sich auch bei der Europawahl gezeigt. Die Union schlage daher 14 konkrete Maßnahmen vor, „die Sie sofort tun können“. Dazu zähle die Abschiebung von Straftätern und Gefährdern sowie der Stopp der illegalen Migration, wozu auch die Zurückweisung an den deutschen Grenzen gehöre. Außerdem müsse die Bundespolizei „mit ausreichenden Mitteln“ ausgestattet werden.
Mit dem furchtbaren Anschlag von Mannheim, so Irene Mihalic von den Grünen, habe sich die islamistische Bedrohung erneut schmerzlich realisiert. „Deshalb gehen wir weiter konsequent und mit aller Härte gegen Islamismus und Islamisten vor“, sagte sie. Die Sicherheitsbehörden müssten bestmöglich bei ihrer Arbeit unterstützt werden.
Schon 2020 hätten die Grünen in einem Antrag gefordert, die Abschiebung von islamistischen Gefährdern endlich voranzutreiben, betont Mihalic. Der Rechtsstaat dürfe es sich nicht gefallen lassen, „dass ideologische Fanatiker und Extremisten unsere Freiheit und Sicherheit bedrohen“. Gefährder und Straftäter, nach Verbüßung ihrer Strafe, müssten abgeschoben werden. „Da gibt es in meiner Fraktion keine zwei Meinungen“, machte die Grünen-Abgeordnete deutlich. Das sei im Übrigen schon heute gesetzlich möglich. „Dafür braucht es keinen Schaufensterantrag der Union.“ Darin sei eine Forderung nach der anderen aufgeschrieben worden, um die sich die Union in Regierungsverantwortung nicht gekümmert habe.
Es war nun Bundeskanzler Olaf Scholz, der Abschiebungen von Straftätern aus Afghanistan und Syrien ins Spiel brachte. Aber auch hier bremsen die Grünen. Selbst der beim Thema Islamismus für einen vergleichsweise realistischen Kurs plädierende Parteichef Nouripour äusserte sich ablehnend. Die dafür nötigen Gespräche mit den Taliban würden diese international nur aufwerten, so der in Iran geborene Politiker.
Einzelne grüne Vordenker fordern ihre Partei indes zu einer Debatte ohne Scheuklappen auf. So zeigte sich Baden-Württembergs grüner Finanzminister Danyal Bayaz für Ausschaffungen nach Afghanistan offen. „Ich fände es richtig, wenn das jetzt für derartige brutale und schwere Taten ernsthaft geprüft wird“, sagte er. Er wandte sich auch dagegen, Vorschläge der Union, Forderungen nach einem Kalifat unter Strafe zu stellen, reflexartig beiseitezuwischen.
Dass längst nicht alle Teile der Partei dieses neue Problembewusstsein besitzen, zeigte sich im Berliner Abgeordnetenhaus. Die sozialdemokratische Innensenatorin Iris Spranger sprach dabei mit Blick auf den ums Leben gekommenen Polizisten vom Tod von Mannheim. „Ist Mannheim tot?“, rief die grüne Abgeordnete Tuba Bozkurt dazwischen. Aus ihrer Fraktion erklang daraufhin Gelächter, wie das Protokoll vermerkte.
Bozkurt, die in ihrer Fraktion Sprecherin für Antidiskriminierung ist, entschuldigte sich danach. Der Parteichef Nouripour nannte das Verhalten unanständig. Der Vorfall zeigt indes, wie weit die Grünen nach dem Terrorakt von Mannheim auseinanderliegen.
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