Im Februar bombardierten die USA einen isolierten Militärtützpunkt im Irak. Dabei wurden 16 Kämpfer getötet. Der Ort heisst Balad und ist in einer sehr ärmlichen Region. In der Stadt am Tigris zwischen Bagdad und Samara gibt es kaum geteerte Strassen, und zwischen den einfachen Häusern liegt der Müll. Die Männer fühlen sich vernachlässigt und machen dafür Amerika verantwortlich. „Die Amerikaner beuten unser Land aus und sie reissen sich die Ressourcen unter den Nagel und bestimmen alles im Irak. Wir wollen nur unsere Unabhängigkeit wiedererlangen.“ So die Meinung vieler dort lebenden Bürger.
Die Amerikaner hatten den irakischen Diktator Saddam Hussein 2003 gestürzt und damit das Land in einen jahrelangen blutigen Bürgerkrieg geworfen. Ende 2011 zog Barack Obama die letzten amerikanischen Truppen aus dem Irak ab. Doch als der Islamische Staat (IS) im Sommer 2014 über das Zweistromland herfiel und bis an den Rand von Bagdad vordrang, rief die belagerte Regierung dort Washington zu Hilfe.
Gemeinsam mit den kurdischen Peshmerga-Milizen, den irakischen Truppen und rasch ausgehobenen schiitischen Freiwilligenverbänden gelang es der internationalen Anti-IS-Koalition Ende 2017, die Terrormiliz zu besiegen. Doch noch immer sind rund 2000 Amerikaner im Land stationiert. Offiziell sind die Truppen für den Kampf gegen die verbleibenden IS-Zellen im Irak. Washington geht es aber auch darum, Einfluss im Land zu bewahren und ein Erstarken Irans zu verhindern.
Inzwischen wollen die meisten irakischen Kämpfer, dass ihre einstigen Bündnispartner verschwinden. „Die Amerikaner haben heimlich den IS unterstützt“, behaupten Bewohner, die selbst gegen die Jihadisten gekämpft haben. Sie wünschen sich, dass der Abzug der Amerikaner durch Verhandlungen zustande kommt. Gewalt halten sie nicht für den richtigen Weg.
Andere setzen hingegen auf Gewalt. Seit dem Hamas-Massaker in Israel am 7. Oktober haben die Angriffe auf amerikanische Stützpunkte im Irak und in Syrien stark zugenommen. Washington antwortet mit Luftangriffen auf Stellungen proiranischer Gruppen. So liess Joe Biden Anfang Februar zur Vergeltung für einen tödlichen Drohnenangriff auf einen amerikanischen Stützpunkt in Jordanien Dutzende Ziele im Irak und in Syrien bombardieren, auch in Bald.
Die antiamerikanischen Kämpfer schreckt das nicht ab, denn sie haben mit Iran einen mächtigen Freund. Das Teheraner Regime unterstützt seit Jahren radikale schiitische Milizen im Irak. Unter anderem auch Harakat al-Nujaba, die für den Grossteil der jüngsten Angriffe verantwortlich gewesen sein soll. Sie wurde einst von den iranischen Revolutionswächtern mit aufgebaut und gilt als Waffe Teherans im Schattenkrieg gegen Amerika. Sie sagen, sie würden die Amerikaner so lange bekämpfen, bis sie den Irak verliessen: „Sie sind Imperialisten. Zudem verbreiten sie Homosexualität im Irak.“ Sie sehen sich als Teil der sogenannten „Achse des Widerstands“, die von Teheran über Libanon bis Jemen reicht. Die palästinensische Hamas zählen sie ebenfalls dazu. „Wir werden so lange weitermachen, bis der Krieg in Gaza aufhört.“
Für die Regierung des Iraks ist das ein Problem. Ministerpräsident Mohammed Shia al-Sudani will am liebsten mit den Amerikanern über einen geordneten Rückzug verhandeln. Doch die Angriffe der bewaffneten Gruppen erschweren das. Denn viele von ihnen gehören gleichzeitig zu den Sicherheitskräften. Als Mitglieder der Volksmobilisierungseinheiten (PMF) bekommen manche ihrer Kämpfer sogar Lohn vom Staat.
Die mehrheitlich schiitischen PMF waren 2014 für den Kampf gegen den IS geschaffen worden. Inzwischen umfassen sie sowohl regierungstreue Verbände als auch Abteilungen dissidenter Gruppen, wie Harakat al-Nujaba. Sie wirken deshalb wie ein Zwitterwesen: Einerseits sind ihre Kämpfer stolz darauf, dem irakischen Staat zu dienen. Andererseits stehen sie oftmals Iran näher als der Regierung in Bagdad. Zudem haben viele PMF-Verbände ein Eigenleben entwickelt. Ihre Vertreter sitzen inzwischen im Parlament und bestimmen die Politik in Bagdad mit.
Sicher ist auch, dass der mächtige Nachbar Iran wenig Appetit auf eine offene Konfrontation mit den Amerikanern hat. So sollen Teherans Emissäre vor kurzem nach Bagdad gereist sein, um ihre Verbündeten zu mehr Zurückhaltung aufzufordern. Doch Gruppen wie Harakat al-Nujaba sehen sich keineswegs nur als Befehlsempfänger: „Wir sind Iraker und fällen unsere eigenen Entscheidungen“, sagt ein Sprecher der Gruppe.
Verschwinden werden die heterogenen Kampfverbände unter dem Dach der PMF wohl auch dann nicht, sollten die Amerikaner tatsächlich abziehen. Denn sie sind längst ein fester Bestandteil der irakischen Gesellschaft geworden. Inzwischen dienen Zehntausende junger Männer in ihren Brigaden. Im Irak, wo eine hohe Jugendarbeitslosigkeit herrscht, ist das für viele eine lukrative, wenn nicht gar die einzige Beschäftigung.
In den sunnitischen Gebieten kommt die Präsenz schiitischer Kämpfer nicht besonders gut an. Viele sehen sie als Besetzungstruppen. Man vertraut ihnen nicht wirklich, sagt viele Sunniten. „Uns wäre es daher lieber, die Amerikaner würden bleiben“, meinen viele.
Die meisten schiitischen Gruppen sind dennoch Iran-treu. So beispielsweise die Badr-Organisation, die bereits seit den achtziger Jahren existiert. Im Gegensatz zu Harakat al-Nujaba oder Kataib Hizbullah beteiligen sie sich derzeit nicht am Kampf gegen die Amerikaner. „Wir folgen den Befehlen der Regierung in Bagdad“, wiederholen sie immer wieder. Trotzdem wollen auch sie, dass die Amerikaner gehen. „Wir brauchen sie nicht mehr. Wir können unser Land selbst verteidigen.“
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