Fahnder beobachteten die auffällige Reisetätigkeit Deutschen mit Wurzeln aus Tadschikistan. Dieser fuhr nach Wien, später hielt er sich zeitweilig in Istanbul auf. Ende letzten Jahres wurde er schließlich in Deutschland verhaftet. Die Fachleute in den Sicherheitsbehörden waren hochnervös, denn kurz zuvor hatten sie von ausländischen Diensten Hinweise bekommen, dass aus Zentralasien stammende, in Europa vernetzte Dschihadisten im Auftrag der Terrorgruppe „Islamischer Staat Provinz Khorasan“ (ISPK) in Deutschland und Österreich Anschläge auf den Kölner Dom und den Wiener Stephansdom planen. Konkrete Spuren für Anschlagsvorbereitungen in Köln fanden sich dann nicht, doch die Polizei blieb sicherheitshalber auch über Silvester mit einem Großaufgebot auf der Domplatte präsent.
Der höchst konspirativ agierende ISPK ist derzeit die größte islamistische Bedrohung in Westeuropa, wie auch die deutsche Inenministerin Nancy Faeser (SPD) immer wieder betont. Nach dem Islamisten-Angriff auf eine Konzerthalle in einem Moskauer Vorort schätzen die deutschen Sicherheitsbehörden die Gefahr durch tadschikische IS-Terroristen als „abstrakt hoch“ ein. Namentlich Nordrhein-Westfalen könne jederzeit „Zielscheibe von Terroranschlägen“ werden, sagte der dortige Innenminister Herbert Reul. Seine Warnung hängt mit der Erkenntnis der deutschen Sicherheitsbehörden zusammen, dass sich ein Großteil der bisher in Deutschland bekannten rund 50 mutmaßlichen Anhänger des ISPK in Nordrhein-Westfalen aufhält. Bei ihnen handelt es sich meist um Asylbewerber aus Tadschikistan und anderen zentralasiatischen Ländern, die in abgeschotteten Kleingruppen leben, was es den Fahndern überaus schwer macht, Informationen zu sammeln. Hinzu kommt, dass den Sicherheitsbehörden nur wenige Übersetzer für zentralasiatische Sprachen zur Verfügung stehen. Bis sichergestellte Chatprotokolle übertragen, ausgewertet und Personennetze enttarnt sind, vergeht oft viel Zeit.
In Westeuropa soll es insgesamt 100 gut organisierte und überwiegend konspirativ in digitalen Kanälen kommunizierende ISPK-Anhänger geben, die oft so auffällig mobil sind wie der 27 Jahre alte Tadschike in Deutschland. Die europäischen Sicherheitsbehörden haben den ISPK schon seit längerer Zeit im Blick. Bislang gelang es den deutschen Sicherheitsbehörden in enger Zusammenarbeit mit ausländischen Nachrichtendiensten, mögliche Anschläge rechtzeitig zu erkennen und zu verhindern. Zuletzt wurden in Gera zwei Afghanen festgenommen, die eine Terrorattacke auf das schwedische Parlament geplant haben sollen. Im Juli konnten deutsche Sicherheitsbehörden gemeinsam mit niederländischen Ermittlern und der europäischen Agentur für justizielle Zusammenarbeit Eurojust eine mutmaßliche Terrorzelle zerschlagen. Seither sitzen die sieben mutmaßlichen ISPK-Anhänger in Untersuchungshaft – fünf der Männer stammen aus Tadschikistan, je einer aus Kirgistan und Turkmenistan. Aus dem Haftprüfungsbeschluss des Bundesgerichtshofs von Ende Januar geht hervor, dass die Männer nach dem russischen Angriffskrieg über die Ukraine nach Deutschland kamen und sich bis zu ihrer Festnahme mindestens 58-mal trafen, um über geeignete Anschlagsziele und die technische Umsetzung zu sprechen. Konkret diskutierte die Gruppe nach Erkenntnissen der Ermittler über einen Anschlag auf eine liberale Moschee in Berlin. Auch Juden waren im Visier der Gruppe. Letztlich sollen die Anschläge vor allem an der Finanzierung gescheitert sein. Ein potentieller Geldgeber der Gruppe – ein tschetschenischer ISPK-Kämpfer – kam in Afghanistan ums Leben. Den Männern gelang es dann zwar, einen neuen Finanzier zu gewinnen; einen bisher nicht identifizierten in Österreich lebenden Tschetschenen. Kurz darauf wurden die sieben Männer aber festgenommen.
Wie wichtig auch eine reibungslose innereuropäische Zusammenarbeit ist, macht das Beispiel des verhafteten Tadschiken in Deutschland deutlich. Während dort nicht genügend Belastendes gegen ihn vorlag, um Untersuchungshaft erwirken zu können, brachten die österreichischen Behörden ausreichend Material für einen europäischen Haftbefehl gegen den Mann zusammen. Anders als für den Kölner Dom waren die Vorbereitungen für einen Anschlag auf den Wiener Stephansdom schon konkret, weswegen das Ermittlungsverfahren in der österreichischen Hauptstadt geführt wird. Dort sind nach Auskunft des Wiener Straflandesgerichts in dieser Sache derzeit vier Personen in Untersuchungshaft: ein heute 29 Jahre alter Tadschike und seine Ehefrau, die türkischer Abstammung ist, ein ungefähr 40 Jahre alter Staatsbürger der Russischen Föderation sowie eben der 27 Jahre alte Tadschike aus Nordrhein-Westfalen. Er soll den Stephansdom „in einer für Touristen untypischen Weise“ gefilmt, auf Überwachungskameras überprüft und das Gemäuer abgeklopft haben.
Auch in Österreich nehmen die Sicherheitsbehörden die Terrorgefahr durch den ISPK „sehr ernst“. Doch gebe es derzeit keine konkrete Bedrohung, sagte der Leiter der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN). Wegen eines angeblich erwogenen Anschlags auf die Wiener Regenbogenparade wurden im Sommer 2023 drei jugendliche Österreicher mit Migrationshintergrund aus St. Pölten und Wien festgenommen. Medien berichteten damals, die drei hätten einer radikalislamistischen, international zusammengesetzten Telegram-Gruppe mit rund zehn Teilnehmern angehört, die sich dem ISPK zugeordnet hätten. Andere Teilnehmer haben demnach in Frankreich, der Türkei, der Ukraine, England und Belgien gelebt. Ein 14 Jahre junger Teilnehmer habe ausgesagt, die Gruppe sei von einem Ukrainer geleitet worden, der sich „Abu Hurayrah“ nannte. „Abu Hurayrah“ habe einen Selbstmord-Sprengstoffanschlag mit einem Auto angekündigt und andere dazu aufgefordert, dasselbe zu tun.
Weil ihnen keine konkreten Tatvorbereitungen vorgeworfen wurden, mussten die drei jungen Österreicher bald wieder auf freien Fuß gesetzt werden. Gegen sie wird aber nach Angaben der Staatsanwaltschaft weiter ermittelt wegen Verdachts auf „Beteiligungshandlungen an einer terroristischen Vereinigung zugunsten des Islamischen Staates“. Auch wegen der internationalen Vernetzung zögen sich die Ermittlungen in die Länge.
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