Der Iran und Saudi-Arabien wollen nach jahrelangem Konflikt ihre diplomatischen Beziehungen wiederherstellen. In einem ersten Schritt wollen sich die Außenminister der rivalisierenden Länder treffen, wie die staatlichen Nachrichtenagenturen beider Länder berichteten. Demnach unterzeichneten hochrangige Regierungsvertreter in China eine entsprechende Übereinkunft.
Erstmals seit den vor sieben Jahren abgebrochenen diplomatischen Beziehungen habe der König Saudi-Arabiens, Salman bin Abdulasis Al Saud, den iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi zu einem Besuch in die Hauptstadt Riad eingeladen, twitterte der Mitarbeiter im Präsidialamt, Mohammad Dschamschidi. Es sei ein entsprechender Brief des Königs eingegangen. Raisi begrüße die Einladung, die Regierung in Riad gab zunächst keine Stellungnahme dazu ab.
Beide Staaten verständigten sich darüber hinaus auf die Wiedereröffnung der Botschaften innerhalb von zwei Monaten. Das sunnitische Saudi-Arabien und der mehrheitlich schiitische Iran unterhielten in den vergangenen Jahren keine diplomatischen Beziehungen. Riad hatte die offiziellen Kontakte mit Teheran im Januar 2016 als Reaktion auf einen Angriff iranischer Demonstranten auf die saudische Botschaft im Iran gekappt. Ausgelöst wurden die Proteste durch die Hinrichtung des prominenten schiitischen Geistlichen Scheich Nimr al-Nimr in Saudi-Arabien. Ihre Rivalität trugen die beiden Staaten in vergangenen Jahren auch bei militärischen Konflikten in der Region aus, etwa im Jemen.
Aufgehängt sind diese Konflikte vordergründig meist an der Religionsfrage. Saudi-Arabien ist Hüter der den Muslimen heiligen Stätten Mekka und Medina und damit eine sunnitische Führungsmacht. Die Islamische Republik Iran als Schiitenstaat geht auf eine „Islamische Revolution“ zurück, die den muslimischen Staaten früher mit „Revolutionsexport“ gedroht hatte. In Wahrheit geht es aber stets um geostrategische Konkurrenz, die Kontrolle der für den Ölexport wichtigen Wasserstraße am Persischen Golf und um Einfluss in der muslimischen Großregion.
Bei einem Außenminister-Treffen soll über einen Aufbau von Handelsbeziehungen und eine Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen gesprochen werden. China hatte iranischen Medienberichten zufolge als Gastgeber der Unterzeichnung neben dem Oman und dem Irak als Vermittler eine wesentliche Rolle. Angesichts der politischen Isolation des Irans und internationaler Kritik hatte die Islamische Republik in den vergangenen Jahren in Asien nach neuen Partnern gesucht.
Vermittelt hat diesen Durchbruch im Dauerkrisengebiet am Persischen Golf aber nicht der Westen, sondern die Volksrepublik China. Das erklärt, weshalb die westlichen Reaktionen wenig euphorisch sind. Als Grund für die Annäherung sähen die USA vor allem den inneren und äußeren Druck, unter dem die Regierung in Teheran stehe, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby. Sofern der Schritt helfe, den Krieg in Jemen zu beenden und dazu beitrage, dass sich Saudi-Arabien nicht mehr gegen von Iran angezettelte Angriffe verteidigen müsse, sei die Annäherung aber zu begrüßen. Der geostrategisch große Gewinner ist China, der erste große Verlierer ist Israel. Die vielleicht dramatischste Frage bleibt, wie der Deal den Atomstreit mit dem Iran beeinflusst und die Gefahr einer Nuklearisierung des Nahen Ostens vergrößert.
Im Nahen und Mittleren Osten klang das ganz anders. Dort herrscht Zustimmung. Und in Peking selbst, wo zwischen Teheran und Riad verhandelt worden war, gab man sich so unbescheiden wie überschwänglich. „Dies ist ein Sieg für den Dialog, ein Sieg für den Frieden und eine wichtige gute Nachricht in einer Zeit großer Turbulenzen in der Welt“, sagte laut Reuter Chinas Top-Diplomat Wang Yi. So kann Peking, das in der Region bisher auf Handel, Energie und andere wirtschaftspolitische Hebel gesetzt hatte, einen politischen Erfolg verbuchen. Da das gegenseitige Verhältnis zwischen der Volksrepublik und den USA sich gleichzeitig kontinuierlich verschlechtert, muss der Verhandlungserfolg fast zwangsläufig als Meilenstein für China gewertet werden. Erklären lässt sich dies zuerst einmal mit dem seit Jahren konsequent betriebenen Rückzug Washingtons aus Nahost. Die Wegsteine reichen vom wenig erfolgreichen Ende des langjährigen US-Einsatzes im Irak – der US-Einmarsch samt dem Sturz Saddam Husseins jährt sich gerade zum 20. Mal – bis hin zum chaotischen Abzug aus Afghanistan im August 2021.
Die geopolitischen Auswirkungen des chinesischen Vermittlungserfolges lassen sich bisher schwer abschätzen. Ob es sich wirklich um eine „tektonische Machtverschiebung“ zugunsten Pekings und zum Nachteil Washingtons handelt, wird sich zeigen. Die Versöhnungsschritte, von der Wiedereröffnung der seit sieben Jahren geschlossenen Botschaften bis hin zur gemeinsamen Schaffung von Sicherheit am Golf, sind vage. Die Nachbarstaaten, die vom Rohstoffreichtum leben, bekämpfen sich seit Jahren mittels offener oder verdeckter Stellvertreterkriege, ob in Jemen, in Libanon oder Bahrain.
Diese Entwicklungen geschehen vor dem Hintergrund des seit Jahren schwindenden US-Einflusses in der MENA-Region. Saudi-Arabien war wegen seiner Ölreserven jahrzehntelang die „Tankstelle“ der USA, stand unter Washingtons Schutz. Inzwischen sind die Amerikaner aber nicht mehr auf saudisches Öl angewiesen, nutzen eigene Energiereserven. Die Saudis beliefern nun den chinesischen Markt und andere asiatische Abnehmer. Seit der faktischen Machtübernahme des saudischen Kronprinzen Mohamed bin Salman 2017 hat sich das Verhältnis zu Washington weiter abgekühlt.
Dass Peking als Handelspartner immer wichtiger wurde, war dem Westen nicht entgangen. Mehr Besorgnis löste Chinas Staats- und Parteichef Xin Jinping aus, als er im Dezember den saudischen König Salman in Riad besuchte und Kooperation beim Ausbau des zivilen Nuklearprogramms im Land versprach. Das hatte Washington stets verweigert, weil auch ein ziviles Programm die Grundlage für ein militärisches Nuklearprogramm sein kann. Mit dem jüngsten diplomatischen Erfolg nimmt Peking nun eine Rolle ein, auf die bisher Washington ein einflussreiches Monopol zu haben schien – die des Streitschlichters und Schiedsrichters.
Damit wird Peking zu einem Machtfaktor und zu einer ernsthaften Konkurrenz für die USA in jener Weltregion, in der sich die Amerikaner zugunsten eines verstärkten Engagements in Asien eher zurückhalten wollten, die aber dennoch wirtschaftlich und militärisch extrem wichtig bleibt. Die Zwischenbilanz auf der großen Ebene der Geopolitik lautet darum: Washington wollte sich wegen China auf Asien konzentrieren, aber Peking landet einen erfolgreichen Gegenangriff ausgerechnet dort, wo sich die USA Schwächen nicht gut leisten können – im Nahen Osten.
Vor dem Hintergrund der gleichzeitig wachsenden Furcht vor einer möglichen Atommacht Iran suchen arabische Staaten wie Saudi-Arabien oder die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) nun einerseits Sicherheit, indem sie massiv aufrüsten. Die VAE haben inzwischen eine sehr schlagkräftige Armee, Saudi-Arabien steht in den internationalen Rüstungsstatistiken an achter Stelle weltweit.
Zu der Golf-Politik gehören auch die Normalisierungsbemühungen gegenüber Israel, die die VAE und Bahrein durch die „Abraham-Accords“ eingegangen sind. Israel droht Teheran mit einem Militärschlag gegen das Nuklearprogramm und fordert die Unterstützung des zögerlichen Washington ein. Gleichzeitig suchen die Golfstaaten diplomatische Lösungen im Umgang mit Iran. Dazu gehört nun die von China vermittelte „Versöhnung“ zwischen Saudis und Iranern.
In der Region könnte die Einigung weitreichende Folgen haben. Der schiitische Iran und das sunnitische Königreich Saudi-Arabien, das auch die heiligen Stätten von Mekka und Medina beherbergt, verfügen zugleich über die größten Ölreserven im Nahen Osten. Zugleich stehen sie einander in zahlreichen Stellvertreter-Konflikten gegenüber. Ob die angekündigte Normalisierung zu einem wirklichen Ende des Jemen-Kriegs führen wird, ist ebenfalls offen. Die Saudis sind den von Iran ausgerüsteten Huthi-Rebellen in all diesen Jahren trotz ihrer modern bewaffneten Streitkräfte nicht Herr geworden, um den von ihnen gemeinsam mit den VAE begonnenen Krieg zu ihren Konditionen zu beenden. Der Krieg dauert seit acht Jahren an, flackert trotz aller Friedensbemühungen immer wieder auf. Es gab bereits 377.000 Opfer.
Der Westen hat den Polit-Poker noch nicht verloren, muss sich nun aber mit der Konkurrenz durch China auseinandersetzen. Der wohl klarste Verlierer der Entwicklung ist Israel, genauer dessen neuer und alter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Die Friedensverträge seines Landes mit den Emiraten, Bahrain und Marokko waren möglich geworden durch die Eskalation des Atomkonflikts und die Isolation des Iran. Sie waren Erfolge der geschickten Diplomatie Netanjahus vor seiner Abwahl im Jahr 2021.
Nachdem Netanjahu in diesem Jahr eine Regierung mit ultrareligiösen Parteien gebildet hatte, kündigte er als nächstes großes außenpolitisches Ziel einen Frieden mit Saudi-Arabien an. Wenn die Hüter von Mekka und Medina dann Israel anerkennen würden, käme das einer offiziellen Rehabilitierung des jüdischen Staates namens der muslimischen Mehrheit in aller Welt sehr nahe.
Stattdessen nehmen die Saudis diplomatische Beziehungen zum Iran auf, der Israel mit Vernichtung droht. Das macht es nicht wahrscheinlicher, dass Netanjahu den größten Jackpot der israelischen Außenpolitik knackt. Riad orientiert sich immer weniger an den Freund-Feind-Linien, die einen Frieden mit Israel logisch gemacht haben. Washington kommentierte die Einigung mit der lakonischen Bemerkung, man unterstütze jede Deeskalation in der Region. Jerusalem gab bisher keinen Kommentar ab.
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