Kaum in einem anderen Land werden Superlative mehr sichtbar als in den Vereinigten Arabischen Emirate sind ein Land der Superlative: Saubere Strassen in den Sand gesetzt, postmoderne Wolkenkratzer, die internationale Architekturpreise einheimsen. Oft wurde dabei besonders von westlicher Seite ignoriert, dass das Emirat am Golf auch verstärkt auf der politischen Arena eine wichtigere Rolle spielt.
Ein neuer Coup ist eine Wasseranlage an der Grenze zwischen Ägypten und dem Gaza-Streifen. Dank dieser von den Emiraten errichteten Innovation könne man täglich 4,5 Millionen Liter Trinkwasser nach Gaza pumpen. Dies wird aus dem Mittelmeer entnommen und das Salz wird dem Wasser entzogen. Mit dieser Technik kennen sich die Emirate aus, schliesslich würde ohne die ausgefeilte Technik in ihrem knochentrockenen Wüstenstaat kaum ein Baum wachsen. Nun stellen sie ihre Expertise den bedrängten Palästinensern zur Verfügung.
Mit dem Hilfsprogramm könnte Abu Dhabi gerade hier, an der neu aufgeflammten Konfliktlinie des Nahen Ostens seine internationale Reputation weiter erhöhen. Das Projekt umfasst nicht nur die Entsalzungsanlage, es werden zudem Evakuierungsflüge für verletzte Kinder aus Gaza heraus organisiert, ebenso wurde ein Feldspital im in der Kriegszone errichtet. All das wäre allerdings nicht möglich ohne die Kooperation mit Israel. So betonen emiratische Offizielle immer wieder, wie wichtig ihre Zusammenarbeit mit dem ehemaligen Feind sei. Nur so könne man den Palästinensern helfen, heisst es. Und es soll auch zeigen: die Emirate haben eben Einfluss.
Das ölreiche Land am Golf befindet sich zurzeit in einer ziemlich komplizierten Lage. Nachdem Abu Dhabi 2020 im Rahmen der sogenannten Abraham-Abkommen offizielle Beziehungen zu Israel aufgenommen hatte, glaubte es eigentlich, die Weichen für die Zukunft gestellt zu haben. Doch dann überfiel die Hamas am 7. Oktober Südisrael und richtete dort ein Massaker an. Seither herrscht Krieg, und Israels Armee dringt immer tiefer in den Küstenstreifen vor.
Die Emirate hatten gehofft, gemeinsam mit Israel, Saudi-Arabien und anderen arabischen Staaten einen neuen Nahen Osten aufzubauen, in dem die Politik der Vergangenheit angehört und gemeinsame Wirtschaftsinteressen über allem stehen. Nun finden sie sich inmitten eines blutigen Chaos wieder.
Die Herrscher in den Emiraten vollführen deshalb aktuell einen Drahtseilakt. Einerseits wollen sie ihre wütenden arabischen Brüder nicht verprellen, sind aber auch fest entschlossen, den bisherigen Weg weiterzugehen. Zwar sind die Flüge nach Tel Aviv zurzeit reduziert, und in der neu errichteten Synagoge in Abu Dhabi fehlen die israelischen Touristengruppen. Die israelische Botschaft arbeitet aber immer noch ganz normal.
Eigentlich haben die Emirate ein gutes Jahr hinter sich. Die Wirtschaft wuchs um vier Prozent, die Führung träumte bereits von Wirtschaftsräumen der Zukunft, schloss ein Freihandelsabkommen mit Indien ab und lud im vergangenen Herbst zur Umweltkonferenz COP. Die Hightech-Nation Israel galt dabei als wichtiger Partner.
Doch jetzt ziehen dunkle Wolken auf. Überall brennt es: Im Roten Meer bringen die Houthi die internationale Schifffahrt durcheinander, in Libanon und im Irak drohen Milizen den USA mit Krieg. Im Hintergrund flammt der Dauerkonflikt mit Iran wieder auf, den die Golfstaaten auf ein erträgliches Niveau reduziert hatten.
Zudem kocht wegen der Bilder aus Gaza überall im Nahen Osten die Volksseele hoch. Ihr Ruf hat wegen der Freundschaft mit Israel gelitten. Während sich Katar dank seinen Verbindungen zur Hamas als Chefunterhändler profiliert, sind den stramm antiislamistischen Emiraten diesbezüglich die Hände gebunden.
Kürzlich stiess Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu den Emir von Abu Dhabi vor den Kopf, als er ihn angeblich bat, er möge doch bitte die Gehälter der palästinensischen Arbeiter bezahlen, die nach dem 7. Oktober nicht mehr nach Israel konnten. In Abu Dhabi, wo die Machthaber keine Lust mehr haben, immer nur als reicher Spender-Onkel gesehen zu werden, kommt so etwas nicht gut an. Genauso wenig wie Israels harte Kriegsführung in Gaza. Nach aussen hin redet am Golf aber kaum jemand über die Differenzen. Stattdessen wird der Glaube an jenen neuen Nahen Osten hochgehalten, der zuletzt Kratzer abbekommen hat.
Einige Experten sprechen davon, dass der „Prototyp des neuen Nahen Ostens“ Dubai sei, der des alten hingegen Beirut, Bagdad und das kaputte Gaza. Wo will man lieber leben? Für die Analysten in Abu Dhabi und Dubai ist klar, wo der eigentliche Feind steht. „Natürlich sind wir schockiert von dem, was in Gaza passiert, das ist menschlich. Aber wenn die Herrscher in Abu Dhabi oder Riad morgens aufstehen, dann fragen sie sich weniger, was Israel wohl im Schilde führe, als vielmehr, was Iran als Nächstes vorhabe.“
Iran gilt vielen hier als Feind Nummer 1. „Israel ist immerhin ein rationaler Akteur oder hat zumindest eine grössere rationale Basis“, sagt ein Berater des Herrscherhauses. „Iran hingegen ist ein ideologischer Staat.“ Entsprechend herrscht in den Emiraten Enttäuschung über die Haltung der Amerikaner, von denen sich viele ein härteres Auftreten gegenüber Teheran wünschen. Gleichzeitig pflegt Abu Dhabi selber gute Beziehungen zu Rivalen des Westens, etwa zu China und Russland.
Es werden weiter grosse Hoffnungen in den autoritär regierten Golfstaat gesetzt. Das benachbarte Dubai, knapp eine Autostunde von Abu Dhabi entfernt, ist längst zur Traumstadt vieler Araber geworden, die vom Chaos in ihren Heimatländern die Nase voll haben. In der futuristischen Handelsstadt, die aussieht, als hätte man sie auf dem Mars gebaut, spielt Politik keine Rolle.
„Hier geht es immer nur ums Geld“, sagt eine Libanesin, die hergekommen ist, um Karriere zu machen. Kaum ein Ort im Nahen Osten ist so multikulturell und divers wie Dubai. Gleichzeitig wirkt er wie die Endstufe des Kapitalismus. Der Krieg in Gaza scheint Lichtjahre entfernt. Demonstrationen sind sowieso nicht erlaubt, über Politik redet keiner. Nur im Künstlerviertel Aserkal hängen ein paar vereinzelte Palästina-Wimpel.
Trotzdem tun sich Brüche auf. So beklagen die Emirate, dass sie auf der israelischen Seite derzeit keine Partner hätten. Mit radikalen Ideologen wie den rechtsextremen israelischen Ministern Itamar Ben Gvir oder Bezalel Smotrich tun sie sich ebenso schwer wie mit den eigenen muslimischen Fanatikern. Und das unvorhersehbare Auf und Ab der Demokratie mit den abrupten Kurswechseln ist dem Golfstaat, der wie ein multinationales Unternehmen geführt wird, ebenfalls fremd.
Einfach nur Frieden anzustreben, kann irreführend werden. Den 7. Oktober sieht man in den Vereinigten Arabischen Emiraten als Kampf zwischen dem neuen und dem alten Nahen Osten. In Israel findet dieser Kampf wohl zwischen Tel Aviv und Jerusalem statt, in den Emiraten hingegen ist es eine Schlacht zwischen Dubai und der iranischen Mullah-Stadt Qom. Oder zwischen Dubai und dem Kalifat.
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