Bei der jüngst stattgefunden Vereidigung neuer Richter und Staatsanwälte durch den türkischen Präsidenten Erdogan wurde einmal wieder deutlich, in welche Richtung seine neue Amtszeit gehen wird: mehr Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit. Der große Kongresssaal des Präsidentenpalastes in Ankara diente dabei als Bühne für eine Inszenierung des Autokraten vom Bosporus, der damit nicht nur die Judikative seines Landes auf Kurs bringen wollte, sondern auch um sich für die kommenden Kommunalwahlkämpfe zu wappnen. Erdogan weiss, dass er nur bei einer noch stärkeren Gängelung der Presse in seinem Land es erreichen kann, der Opposition die großen Städte wie Ankara oder Istanbul wieder abnehmen zu können.
In seiner Ansprache vor den angehenden Staatsdienern beschrieb Erdogan dann, dass es dunkle Mächte sind, die ihm immer wieder schaden wollen: Gezi-Proteste, Betrugsermittlungen, Putschversuch. Die Richter und Staatsanwälte applaudierten immer wieder ihrem Anführer, als der Sultan dann den Vorsitzenden der größten Oppositionspartei CHP scharf angriff, erhielt er stehende Ovationen von ihnen.
Erdogan ist es bereits zu einem sehr großen Teil gelungen, in seinem Land eine Justiz zu schaffen, die seine Herrschaft schützt und ihr dient – und wie nahe seine Herrschaftspraktik mittlerweile an die Tyrannei eines autokratischen Staates herangerückt ist. Von der politischen Opposition gab es so gut wie keine Reaktion, was verdeutlicht, dass solche Zeremonien zur Belustigung des Präsidenten wohl bereits als normal gelten und nur wenige Kritiker in den Medien diese absurden Szenen, die für die fast vollständige Aushöhlung der Gewaltenteilung stehen, öffentlich zum Thema machen. Dies ist ein klares Zeichen dafür, wie stark die Angst und die Selbstzensur mittlerweile verbreitet sind.
Es ist einmal mehr die kurdischen Minderheit in der Türkei, die offen aufsteht gegen den Sultan, auch im Hinblick auf die gleichgeschaltete Justiz: Immer häufiger sind es die kurdischen Journalisten, die über die Justiz und laufende Prozesse gegen Kollegen berichten.
Ende Juli startete eine neue Säuberungswelle der türkischen Polizei, diesmal gegen Firat Can Arslan, einem Reporter der pro-kurdischen Mezopotamya News Agency, er wurde in seinem Haus in Ankara festgenommen. Anlass waren Ermittlungen der Generalstaatsanwaltschaft wegen des Vorwurfs, der Journalist habe Personen „zur Zielscheibe gemacht, die mit der Bekämpfung des Terrorismus beauftragt sind“. Wie das Komitee zum Schutz von Journalisten (CPJ) berichtet, „beziehen sich die Ermittlungen auf einen Tweet, den Arslan am 18. Juli (…) gepostet hat“. Seine Twitternachricht thematisierte eine Richterin und einen Staatsanwalt, die miteinander verheiratet sind – und dennoch beide an einem laufenden Massenprozess gegen Journalisten beteiligt sind. Mit der Verhaftung von Arslan war es aber noch nicht getan. Vier weitere Journalisten wurden in verschiedenen Städten festgenommen, weil sie Arslans Beitrag retweetet hatten. Während Arslan Berichten zufolge inzwischen sogar in Isolationshaft sitzt, wurden die vier anderen nach Verhören wieder freigelassen. Sie müssen sich jedoch regelmäßig bei der Polizei melden, sind mit Ausreiseverboten belegt.
Weil sie über eine eheliche Beziehung zwischen dem Ankläger und der Richterin eines laufenden Prozesses gegen 18 ihrer Kollegen berichtet haben, sollen sich die Journalisten also strafbar gemacht haben? Die Behörden berufen sich auf Artikel 6 des Anti-Terror-Gesetzes, einen vage formulierten Paragrafen, der die Berichterstattung über Staatsbedienstete unter Strafe stellt, wenn „sie deshalb von Terrororganisationen ins Visier genommen werden können“.
Was dem Vorgang nun eine neue Qualität gibt: Bis zum 25. Juli führten solche Anschuldigungen vielleicht zu Ermittlungen, nie aber zu Verhaftungen. In diesem Fall ist das nun anders – obwohl das „Verbrechen“ nur darin bestand, dass die Journalisten Informationen aus einer öffentlichen Quelle getwittert und retweetet haben, aus einem Protokoll auf einer Website der Justiz. Es zeichnet sich so eine neue Phase im Kampf gegen eine freie Presse ab, in der die Justiz die Anti-Terror-Gesetze noch breiter auslegen wird, um die Berichterstattung noch stärker zu blockieren.
„Was hier geschieht, ist eine absolute Unterstützung der Medienstrategie der Regierung durch die Judikative: Alle möglichen Schlupflöcher für Berichterstattung werden geschlossen, indem die Gesetzesartikel verkehrt und Regeln für Ermittlungen auf den Kopf gestellt werden“, kommentierten kritische Medien in einem Aufruf. „Auf diese Weise wird der Informationsfluss komplett zerstört. Unter diesem Gesichtspunkt darf der Name eines Beamten in der Türkei in keinem Nachrichtenbericht mehr erwähnt werden. Egal, was er/sie getan hat. Eine so absurde und für die Presse- und Meinungsfreiheit wichtige Untersuchung fand keinen Platz auf der Tagesordnung der Opposition. Die Journalisten waren allein im Gerichtssaal, sie erhielten nicht einmal symbolische Unterstützung.“
Während viele aus der Opposition noch immer „die Türkei ist eine Demokratie“ vor sich hinmurmeln oder beschwichtigende Rhetorik anwenden, fährt Präsident Erdogan fort, die Reste der Justiz zu verschlingen. In den kommenden zehn Monaten werden drei der hohen Richter des türkischen Verfassungsgerichts ausscheiden, die von Erdogans Vorgänger nominiert wurden und als gemäßigt gelten. Die Neuernennungen wird der Sultan vornehmen, bis zum Sommer 2024 wird die Türkei ein Verfassungsgericht haben, das seiner Exekutive nahesteht.
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