Wenn Präsident Erdogan nach seinem Wahlsieg die Golfstaaten besucht oder aber ein Staatsoberhaupt der autokratisch regierten Länder in der Türkei begrüßt, ist eines sicher: Die bilateralen Beziehungen werden von den staatlich kontrollierten Medien hier wie dort in den höchsten Tönen gelobt. Mehr als verwunderlich nach den gesamten Fehden der vergangenen Jahre, die sich die türkische Politik gegenüber den Golfmonarchien erlaubte. Was hat zu diesem neuen Schmusekurs beigetragen?
Als Erdogan Katar im Frühsommer besuchte, wurde sein Erfolg bei den Wahlen in der Türkei dort großflächig gefeiert: Es leuchtete sein Gesicht von Hochhäusern und Krankenhäuser in der Hauptstadt Doha, die beiden Staaten sind enge Verbündete, Ankara half dem reichen Golfstaat, als andere arabische Staaten von 2017 bis 2021 das Emirat boykottierten. Aber auch Staatenlenker aus den einst verfeindeten Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien gehörten zu den ersten, die Erdogan zu seinem Wahlsieg Mitte Mai gratulierten.
Erst letzten Monat wurden der Präsident der Vereinigten Arabischen Emirate, Mohammed bin Zayed und Erdogan in Istanbul gesehen, wie sie händchenhaltend aus einem Restaurant spazierten. Also jene Herren, die sich im krisengebeutelten Libyen noch unversöhnlich gegenüberstanden und rivalisierende Gruppen militärisch unterstützten. Türkische Medien nannten Mohammed bin Zayed zuvor jahrelang den „schwarzen Prinzen“. Doch im vergangenen März unterzeichneten die Emirate und die Türkei ein Abkommen, das den Handel zwischen den beiden Ländern in den nächsten fünf Jahren auf 40 Milliarden US-Dollar steigern soll. Drei Tage nach dem Wahlsieg Erdogans wurde es ratifiziert.
Es hat eine lange politische Kontinuität, wie die Staatsführer der Golfstaaten auf persönliche Beziehungen setzen, sie erhoffen sich eine Wiederannäherung. Nach Ausbruch des Arabischen Frühlings 2011 stellte sich Erdogans Regierung auf die Seite der Aufständischen, begrüßte das Ende der autoritären Regime in Tunesien, Ägypten und Libyen, während die Herrscher am Golf um ihren autokratischen Staatsapparat als Auslaufmodell fürchten mussten.
Die Zeiten haben sich jedoch massiv verändert: Die Wirtschafts- und Währungskrise in der Türkei spitzte sich mehr und mehr zu, Erdogan brauchte dringend neue strategische Partnerschaften, trotz ideologischer Rivalitäten. Wahrscheinlich ein Hauptgrund für die Reise Erdogans in die Vereinigten Arabischen Emirate, nach Katar und Saudi-Arabien. Es geht immerhin um viele Milliarden und um Investitionen.
Erdogan scheint aus seinen Fehlern der Vergangenheit zu lernen! Die Türkei traf bereits früher Fehlentscheidungen in der Region der heutigen Golfmonarchien, die zurückreichen bis in das Osmanische Reich, welches den Nahen Osten beherrschte. Während die türkischen Kinder in den Schulen nur Gutes über die Osmanen hörten, bekam man in den arabischen Hauptstädten ein anderes Bild bekommen: Die Türken wurden immer als Besatzer gesehen. Noch heute ist das Verhältnis zwischen Türken und Arabern eine Hassliebe.
Wer braucht in dieser Beziehung hier wen, und wer muss deswegen wem entgegenkommen? Heute ist es die Türkei, die auf die arabischen Staaten zugeht. Schon aus finanzieller Not. Die Türkei braucht dringend ausländische Devisen. Die Lira fällt weiter im Wert, bald werden steigende Zinsen das türkische Wachstum auf Pump beenden. Und im Frühjahr sind schon wieder Wahlen in der Türkei: Kommunalwahlen, bei denen Erdogan der Opposition das Rathaus von Istanbul abnehmen will.
Erdogans Nahostpolitik kann aktuell als „pragmatisch“ bezeichnet werden. Er spricht wieder mit den Saudis, die er mied, seit 2018 in deren Generalkonsulat in Istanbul der Journalist Jamal Khashoggi ermordet wurde. Früher nahm er für sich in Anspruch, für die Umma zu sprechen, die Gemeinschaft der Muslime. An Wahlabenden feierte er seine Siege mit den Worten, es habe nicht nur die Türkei gewonnen, sondern auch die Menschen in Sarajevo und Damaskus. Überall, wo die Osmanen herrschten, fühlte Erdogan sich zuständig. Heute sucht er die Versöhnung mit Ägyptens Staatschef Abdelfattah al-Sisi, mit dem er früher nicht in einem Raum sitzen wollte. Erdogans neuer Außenminister Hakan Fidan soll mit dem syrischen Assad-Regime sprechen, schon allein, um das Problem der Geflüchteten zu lösen, denn fast vier Millionen Syrer leben noch immer in der Türkei. Die Stimmung gegen sie wird überall im Land immer aggressiver. Als Reaktion hat Erdogan versprochen, wenigstens für einige von ihnen in Syrien Häuser zu bauen. Gleichzeitig hat der syrische Diktator Assad wieder besonders gute Karten: Erst kürzlich wurde er wieder in die Arabische Liga aufgenommen, also in den Club, wo Recep Tayyip Erdogan gerade neue Freunde sucht. Assad hat den Krieg überstanden, um den Preis Hunderttausender Toter und Millionen Vertriebener – jetzt gilt er im Nahen Osten als erneut salonfähig, vielleicht auch für Erdogan.
Der türkische Staatsgründer Atatürk soll einmal gesagt haben, die Türkei solle sich niemals in einen innerarabischen Streit einmischen. Genau diese Regel hat Erdogan mehrmals verletzt: In Ägypten unterstützte er die Muslimbrüder, im Krieg in Syrien die Rebellen, später auch die Islamisten. Es waren zwei Krisen, in denen sich Erdogan über Jahre für die falsche Seite entschied – nämlich für die der Verlierer, in Ägypten gewann das Militär, in Syrien siegte Assad.
Erdogans Idee war es, reine Machtpolitik zu betreiben, den Nahen Osten gestalten, als neuer Sultan. Bei vielen Menschen dort ist er immer noch populär. Er gilt als demokratisch gewählt, im Gegensatz zu den Diktatoren und Königen der Region, er wird dort als islamistisch gesehen und als Anwalt der Palästinenser. Was aber haben die arabischen Golfstaaten von der Annäherung? Sie verfolgen eine Außenpolitik in alle Richtungen, wollen es sich aus wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Gründen mit niemandem verscherzen, man wolle alle Seiten anhören. Zudem haben die Golfstaaten mit Erdogan einen einflussreichen NATO-Verbündeten gewonnen, der ihnen auch noch etwas schuldig ist. „Nach der Wahl am Sonntag werden Sie sehen, wie diese Führer hierherkommen und wie ich sie besuchen werde, um meine Dankbarkeit zu zeigen“, sagte der türkische Präsident vor der Wahl. Wie er sich erkenntlich zeigen wird, wird man noch beobachten. Vielleicht muss die Türkei umgekehrt alle Bedingungen der Golfstaaten akzeptieren müssen.
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