Die in diesem Jahr letzte Islamkonferenz in Deutschland war geprägt vom 7. Oktober in Israel und den Konsequenzen für deutsche Muslime.
Turnusmäßig sollte es eigentlich bei der vom deutschen Innenministerium orchestrierten Konferenz diesmal um Muslimfeindlichkeit gehen. Angesichts der Lage im Nahen Osten und der darauf folgenden Protestwelle in Deutschland, die teilweise von islamistischen Unterstützern instrumentalisiert wurden, wurde nun auch Antisemitismus thematisiert. Angesichts des Kriegs in Gaza, der Solidarisierung mit der Hamas auf deutschen Straßen und des Besuchs des türkischen Staatspräsidenten Erdoğan musste die deutsche Regierung die Agenda des Treffens ändern.
Das ursprüngliche Ziel der Deutschen Islamkonferenz, die der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) 2006 ins Leben gerufen hatte, war ein Islam, der zu einer pluralistischen Gesellschaft passt. Doch davon ist man nicht nur in Berlin weit entfernt, auch wenn inzwischen Imame und muslimische Religionslehrer an deutschen Universitäten ausgebildet werden. Die meisten Gemeinden können sich einen akademisch ausgebildeten Imam gar nicht leisten. Die meisten ausländischen Vorbeter kommen nach wie vor aus der Türkei. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums schickt das türkische Amt für religiöse Angelegenheiten Diyanet fast tausend Religionsbedienstete nach Deutschland.
Die überwiegende Mehrheit von ihnen ist in DITIB-Gemeinden beschäftigt, aber auch im niedrigen zweistelligen Bereich in der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş und dem Verband ATIB, der laut Verfassungsschutz in Verbindung zu den rechtsextremistischen „Grauen Wölfen“ steht. Faeser plant, die Entsendung ganz zu beenden. Inzwischen liegt dafür nach ihren Worten eine Vereinbarung vor. Das scheint um so dringlicher, als der Präsident der türkischen Religionsbehörde Diyanet, Ali Erbaş, Israel vor Kurzem noch in einer Freitagspredigt als „rostigen Dolch im Herzen der muslimischen Welt“ bezeichnete. Bei einer virtuellen Konferenz mit Theologen aus aller Welt sprach er davon, dass das „zionistische Israel“ in Gaza mit seinen Angriffen einen „Völkermord“ begehe, der auf einem „schmutzigen und perversen Glauben“ basiere.
Das offizielle Thema „Sozialer Frieden und demokratischer Zusammenhalt: Bekämpfung von Antisemitismus und Muslimfeindlichkeit in Zeiten gesellschaftlicher Spaltung“ diente angesichts der aufgeheizten Stimmung der Konfliktvermeidung. Grundlage der Diskussionen war auch die Studie des Unabhängigen Expertenkreises Muslimfeindlichkeit, die noch vom früheren Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) nach dem rechtsextremistischen Anschlag von Hanau im Februar 2020 in Auftrag gegeben worden war. Der Leiter des Erlanger Zentrums für Islam und Recht in Europa, Mathias Rohe, der den Expertenkreis koordiniert hatte, verwies auf viele Stereotypen, die sich in den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Gruppen halten. Das grundsätzliche Problem eines Empathiemangels treffe sowohl Muslime als auch Juden.
Nicht nur das Verhalten von einer kleinen aber extremistischen Gruppe innerhalb der deutschen muslimischen Community wurde offen kritisiert. Die deutsche Innenministerin Nancy Faeser forderte von muslimischen Verbänden ein deutlicheres Bekenntnis gegen Antisemitismus. Sie appellierte an die großen Islamverbände, den Kampf gegen Antisemitismus noch sichtbarer voranzutreiben. Es reiche nicht, eine Synagoge zu besuchen und sich dort gegen Terror und Antisemitismus zu stellen, ohne dies auch in Moscheen oder den eigenen Social-Media-Kanälen zu kommunizieren. Auch dort müsse es klar gesagt werden, „und zwar gleichlautend, egal, ob auf Deutsch, Arabisch oder Türkisch kommuniziert wird“, sagte Faeser. Man müsse dabei anerkennen, „dass wir ein Problem mit Antisemitismus haben, der auch von Muslimen ausgeht“, sagte sie. Aus der Schoah erwachse für die deutsche Politikerin eine Verantwortung, die nicht nur für den Staat, sondern auch für jeden Einzelnen gelte, auch für Menschen, die später die deutsche Staatsbürgerschaft annahmen. Auf Israel bezogene Ressentiments seien unter Muslimen in Deutschland deutlich verbreiteter als in der übrigen Gesellschaft, das sei wissenschaftlich erwiesen. Wenn Juden wieder zur Zielscheibe werden, „müssen wir einsehen, dass unser ‚Nie wieder‘ brüchig geworden ist“, sagte Faeser. Aufgabe der Islamverbände sei es, sich laut und deutlich gegen den Antisemitismus auszusprechen – in den Freitagsgebeten und auf ihren sozialen Netzwerken.
Zugleich wandte sich Faeser gegen einen Generalverdacht gegen Muslime. Der Staat gehe nicht gegen eine Religion vor, sondern gegen islamistischen Terrorismus. Es gebe durchaus Muslime und Moscheegemeinden, die sich gegen Antisemitismus engagierten, deren Stimme müsse lauter werden, sagte Faeser, die zum diesjährigen Treffen auch kleinere und liberale Islam-Vereine eingeladen hatte.
Auch mit der Einladungspolitik setzte das Ministerium ein Statement. Der umstrittene Verband DITIB, der den Auftritt eines Taliban-Vertreters in den eigenen Räumen geduldet hatte, erhielt keine Einladung. DITIB müsse künftig garantieren, „dass so etwas nicht mehr vorkommt“, sagte Faeser. Ebenso wurde der Zentralrat der Muslime in Deutschland erstmals nicht zur Konferenz eingeladen. Das Innenministerium begründete dies damit, dass die vom Verfassungsschutz beobachteten Verbände Islamisches Zentrum Hamburg (IZH) und die Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa (Atib) im Zentralrat Mitglied sind. Ersteres gilt laut Inlandsnachrichtendienst als ein „bedeutendes Propagandazentrum des Iran in Europa“; der Zentralrat hatte die Mitgliedschaft des IZH nach einer dortigen Razzia ausgesetzt. Die Atib wird der türkischen Rechtsextremisten-Bewegung Graue Wölfe zugerechnet.
Der frühere Bundespräsident Christian Wulff rief Muslime zu einer ehrlichen Bestandsaufnahme antisemitischer Inhalte im Islam auf. Der Protestantismus habe sich auch Luthers Antisemitismus gestellt, sagte er. Die Wurzeln muslimischen Judenhasses reichten tief in die Geschichte dieser Religion und seien in vielen Teilen der islamischen Welt fester Bestandteil der Erziehung. So zeichne der Koran stellenweise ein Zerrbild des Judentums. Es müsse allen klar sein, dass man nicht im Medina des siebten Jahrhunderts lebe, als der Prophet Mohammed Juden töten und vertreiben ließ, sondern an der Schwelle zum Jahr 2024.
Die relevanteste Ankündigung machte die deutsche Innenministerin in Bezug auf Imame der DITIB, die bislang als türkische Staatsbeamte unmittelbar der bei Präsident Recep Tayyip Erdoğan angesiedelten Religionsbehörde Diyanet unterstellt sind. Beim Besuch des türkischen Präsidenten sei mit dem Bundeskanzler eine Vereinbarung auf den Weg gebracht worden, „die Ausbildung von Imamen in Deutschland signifikant auszubauen“, sagte die Innenministerin. „Mit dem Ziel, die Entsendung von Imamen aus der Türkei in der Folge ganz zu beenden.“ Man müsse darauf vertrauen können, „dass das Freitagsgebet frei bleibt von Hassbotschaften“.
Die Bundesregierung plant nun, die Ausbildung insbesondere beim durch das Innenministerium geförderten Islamkolleg Deutschland auszubauen. Die dortige Ausbildung der Imame soll weiter durch die Bundesregierung finanziert werden. Im September hatten dort die ersten 26 Absolventen nach dem Abschluss ihres Studiums der islamischen Theologie in Deutschland und einer zweijährigen Imam-Ausbildung in Osnabrück ihre Abschlusszertifikate erhalten. Im Kuratorium des Islamkollegs ist auch der umstrittene Zentralrat der Muslime in Deutschland vertreten.
Ausgebaut werden soll aber auch die Ausbildung an der DITIB-Akademie in Köln. Je mehr Imame in Deutschland ausgebildet werden, desto weniger Visa sollen für die aus der Türkei entsandten Imame vergeben werden. Die in DITIB-Moscheen tätigen Imame sollen dann keine türkischen Staatsbeamten mehr sein, also nicht mehr bei der Diyanet in der Türkei angestellt sein, sondern bei der DITIB in Deutschland. Volker Beck, Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, hält es für einen Fortschritt, die Ausbildung nach Deutschland zu holen. „Wenn das Curriculum aber weiter von der DITIB bestimmt wird, ist nichts gewonnen“, sagte er.
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