Seit dem 7. Oktober versucht al-Jazeera nicht einmal mehr, den Anschein von Neutralität zu wahren. Noch am Tag des Massakers durfte der Hamas-Führer Ismail Haniya vor laufender Kamera den grössten antisemitischen Pogrom seit dem Holocaust feiern. „Sehen Sie diesen Heroismus, diese Opfer, diesen Mut“, sagte er. Seine Männer hätten „die Türen für den Sieg geöffnet“.
Mit seinen Sendungen erreicht der vom Wüstenstaat Katar finanzierte Sender al-Jazeera nach eigenen Angaben 430 Millionen Zuschauer. Sie erhalten jene Mischung aus seriösen Informationen, Halbwahrheiten und Verschwörungstheorien, die gute Propaganda auszeichnet. Greueltaten der Palästinenser werden ausgeblendet, „Zionisten“ beschuldigt, die Medien im Westen zu kontrollieren. Israel hat bereits die Reissleine gezogen: Das Parlament hat ein Gesetz verabschiedet, das die Schliessung von ausländischen Medien ermöglicht – sofern diese die Sicherheit des Staates gefährden. Darauf gestützt will Ministerpräsident Benjamin Netanyahu den katarischen Sender abschalten.
Diese Medienkontrolle in Jerusalem hat die deutsche Bundesregierung alarmiert. Mit Sorge nehme man das neue Gesetz zur Kenntnis, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amts von Annalena Baerbock der Agentur DPA. Eine „freie und vielfältige Presselandschaft“ sei der „Grundpfeiler einer liberalen Demokratie“. Diese Haltung kann man einnehmen, sofern man grundsätzlich der Meinung ist, eine Demokratie müsse auch Propaganda, Hetze und Tatsachenverdrehungen aushalten. Dass sich aber ausgerechnet die deutsche Regierung in dieser Weise äussert und indirekt Partei für al-Jazeera ergreift, ist bemerkenswert. Schliesslich halten es besonders die SPD und die Grünen für ihre Pflicht, gegen alles vorzugehen, was ihrer Meinung nach Hass und Hetze ist. Dies selbst dann, wenn es um Äusserungen unter der Strafbarkeitsgrenze geht.
Wer schon Begriffe wie „Gender-Gaga“ für Hetze hält, müsste al-Jazeera sofort verbieten. Denn der Sender ist in dieser Hinsicht notorisch, gerade was Antisemitismus betrifft. Einer der Stars von al-Jazeera, der 2023 verstorbene Prediger Jusuf al-Karadawi, rief in seinen Fernsehansprachen offen zur Gewalt gegen Juden auf. Zudem lobte er Hitler für den Holocaust. Mit ihrer Reaktion offenbart die deutsche Regierung eine Doppelmoral, die für „Israel-Kritiker“ typisch ist: Was in Israel Anlass zur Besorgnis gibt, ist anderswo kein Problem. So könnte man auch russische Propagandakanäle wie RT und Sputnik als Teil der Meinungsvielfalt betrachten. Diese sind in der EU allerdings verboten. Gemäss einem Beschluss des Ministerrates vom 1. März 2022 stellt RT eine „unmittelbare Bedrohung“ für die Sicherheit dar. In Deutschland ist RT gleich doppelt verboten, wegen eines Entscheids der Medienaufsicht.
RT und al-Jazeera haben nicht nur gemeinsam, dass sie von autoritären Staaten finanziert werden. Sie bieten dem Publikum ein ähnliches Programm, das Nachrichten und Desinformation gekonnt vermischt. Das scheint auch Vertretern der deutschen Regierungsparteien bewusst zu sein. Die FDP-Bundesabgeordnete Katja Adler kritisierte, dass al-Jazeera in Deutschland immer noch frei verfügbar sei, um „Hass und Hetze gegen den Westen und die Juden zu verbreiten. Das Medium sollte «hier ebenso wie der russische Propagandasender RT verboten werden“.
Die Einsicht, wonach man es bei al-Jazeera mit Propaganda zu tun hat, kommt spät. Lange wurde der Sender im Westen als eine Art BBC des Morgenlandes verklärt. Selbst jetzt wird mancherorts so getan, als ginge es um ein ganz normales Medium – aus Naivität und wohl auch aus diplomatischer Rücksicht auf Katar. Die amerikanische Regierung etwa kritisierte Israel ebenfalls und erklärte, man unterstütze die „unabhängige freie Presse“ überall auf der Welt. Das deutsche ZDF suggerierte in einem Beitrag, Israel wolle al-Jazeera bloss abschalten, weil dort Bilder der Zerstörung aus Gaza gezeigt würden, die in israelischen TV-Sendern kaum zu sehen sind. Ob sich das Al-Jazeera-Verbot in Israel politisch und juristisch durchsetzen lässt, ist noch offen.
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