Obwohl sich Deutschland und seine Justiz in den vergangenen Monaten als Ankläger vieler Straftaten, die in Syrien begangen wurden, einen Namen gemacht hat, sollten Behörden und Politik stärker als bisher auch ihre historische Verantwortung beim Aufbau des Terrorregimes in Syrien aufarbeiten: Deutsche Sicherheitskräfte waren maßgebliche Partner der syrischen Diktatoren.
Ein Sprichwort unter Syrern sagt viel aus über das historische Verhältnis Deutschlands zu den Machthabern und dem repressiven System in Syrien: „Hua almani“. Wortwörtlich übersetzt muss es heissen „Der ist Deutscher“. Allerdings – wie oft bei Redensarten – soll der Ausdruck ganz anders verstanden werden: „Der ist einer vom Geheimdienst!“. Und noch ein weiteres Wort bringt Deutschland in direkten Zusammenhang mit der syrischen Diktatur. Bei den jüngst in Europa stattgefunden Prozessen gegen Personen, die mit dem syrischen Sicherheitsapparat zusammenarbeiteten, berichteten mehrere Zeugen von einem Folterinstrument, mit dem die Wirbelsäule der Opfer in den Gefängnissen des Assad-Regimes qualvoll gebogen wurde. Diese nannten vor den Richtern dieses Werkzeug den „deutschen Stuhl“, auf arabisch „kursi al-almani“, ein auch in Syrien gebräuchlicher Begriff.
In den letzten Jahren hat Deutschland mehr als 800.000 Flüchtlinge aus der Diktatur Assad aufgenommen. Die deutsche Justiz hat in die Abgründe der syrischen Foltergefängnisse geblickt und sehr aufwendige Ermittlungen geführt, obwohl sie dazu nicht verpflichtet gewesen wäre. In Koblenz beispielsweise hat sie den weltweit ersten Prozess gegen Täter des syrischen Geheimdienstapparats wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit geführt. Richter verurteilten einen syrischen Oberst, der mitverantwortlich für die Folter von mehr als 4.000 Menschen und den Tod von mindestens 27 Gefangenen war, zu lebenslanger Haft.
Woher kommen dann aber die sprachlichen Verbindungen in der syrischen Umgangssprache, die Deutschland als Synonym nehmen für Geheimdienst oder ein Folterwerkzeug?
Der syrische Geheimdienstapparat ist von 1948 bis 1954 von Deutschen mit aufgebaut worden. An der Spitze fungierte ein früherer hochrangiger SS-Mann, ein Holocaust-Organisator im Reichssicherheitshauptamt. Die Bundesregierung in Bonn sprach damals von einer „Deutschen Militärmission in Syrien“, das klang fast offiziell. Der erste Chef des Bundesnachrichtendiensts, Reinhard Gehlen, sagte sogar: Die Syrer wüssten zu schätzen, dass die Altnazis „aktive Kriegserfahrung“ hätten, zugleich aber keinem fremden Staat mehr verpflichtet seien. Anders als zum Beispiel französische Ex-Militärs, die immer im Verdacht stünden, Frankreichs aktuelle Agenda zu bedienen.
Gehlen schrieb am 19. März 1951 an den Chef des Bundeskanzleramts, Hans Globke: „Es wäre auf längere Sicht wünschenswert, wenn diese zur Zeit private Gruppe eine gewisse ideelle Unterstützung durch die deutsche Regierung erführe“. Dazu kam es zwar nicht. Die Altnazis sind, nach einer Reihe von Unruhen in Syrien, bis 1956 auch so gut wie alle weitergezogen in Richtung Argentinien. Ihre jeweils einjährigen Verträge mit dem syrischen Generalstab wurden nicht mehr erneuert, weil sich Syrien nun eher in Richtung des Ostblocks orientieren wollte.
Aber einer, der blieb, war Alois Brunner, einst die rechte Hand von Adolf Eichmann, dem Organisator der Shoah. Er lebte, als Dr. Georg Fischer getarnt, im Diplomatenviertel von Damaskus. Auch das ist im zurückliegenden Jahr 2022 aufgeklärt worden, nachdem das Bundesamt für Verfassungsschutz endlich die Akte herausgegeben hat. Brunner, so hielt der Verfassungsschutz 1959 fest, spiele „im syrischen Nachrichtendienst eine erhebliche Rolle“.
Während Westdeutschland mit Nazis in Syrien aktiv war, wollte auch, besonders nach der Hinwendung der syrischen Machthaber zum Ostblock, die DDR ihren Einfluss in der Levante geltend machen. Schon 1966 empfing sie Syriens „Politische Polizei“ in Ostberlin für Trainings. Laut Stasi-Akten bekamen die Syrer auch Gerät und Material aus der DDR, von Zuchthunden bis hin zu Nachtsichtgeräten. Auf einer ihrer vielen Wunschlisten finden sich Mikroskope, Blitzlichtgeräte, Fingerabdruckfolie, Formaldehyd, Schwefelsäure und Essigsäure. Stasi-Dokumente belegen solche Lieferungen bis in die 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts.
Unterlagen aus Akten in Berlin belegen, dass den Stasi-Mitarbeitern fiel zwar auf, wie brutal ihre syrischen Lehrlinge waren. Kritik wurde zudem geäussert, dass sich Syrien so viele Geheimdienste parallel leistete. So ist es bis heute: Selbst wenn Bürger den Reisepass verlängert haben wollen, müssen sie bei mehreren Diensten vorstellig werden, überall wird ein Tee getrunken, Geld unter dem Tisch zugeschoben. Das hat in Syrien Methode, die Idee ist, dass kein einzelner Dienst allein zu mächtig werden soll. Worüber die Stasi allerdings nur den Kopf schüttelte, das sei ja Arbeitsverschwendung und ineffizient.
Von den 1980er-Jahren an dann begann Syriens Regime, sich mehr in Richtung des Westens zu orientieren. Es begann geschickt, West- und Ostdeutschland gegeneinander auszuspielen und sich von beiden beliefern zu lassen. In den 1990er-Jahren konnte die Zusammenarbeit mit dem wiedervereinigten Deutschland deshalb gut fortgesetzt werden. Und daran waren die deutschen Geheimdienste vor allem nach 9/11 brennend interessiert.
Im Juli 2002 wurde, nur wenige Stunden vor seinem Beginn, der Strafprozess gegen zwei syrische Spione eingestellt, die in Deutschland syrische Oppositionelle drangsaliert hatten. Die Bundesregierung hatte sich schützend vor sie gestellt, sie wollte die syrischen Dienste freundlich stimmen. Aus demselben Grund reiste 2002 das komplette Bundestagsgremium, das die Geheimdienste kontrolliert, zum Besuch nach Damaskus. Im November dann folgten fünf Beamte des BND, des Bundesamtes für Verfassungsschutz und des Bundeskriminalamtes, sie vernahmen dort drei Tage lang einen inhaftierten Deutsch-Syrer.
Für deutsche Sicherheitsbehörden hatte die gute Syrien-Connection plötzlich hohe Priorität. Selbst der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder zeigte sich mit dem syrischen Machthaber Baschar al-Assad, um ihn als potenziellen Partner im „war on terror“ zu umschmeicheln. Was derweil im Schatten geschah, bis im Jahr 2012 nach der brutalen Niederschlagung von Demonstrationen die deutsche Botschaft in Damaskus geschlossen wurde, haben Untersuchungsausschüsse im Bundestag bis heute nicht recht aufklären können. Das Problem bleibt. Die Akten der Stasi sind heute offen. Die Akten des BND sind es nicht.
Deutschland spielt nun neuerdings eine ganz andere Rolle im Verhältnis zum syrischen Folterapparat. Als Aufklärer, als Ankläger. Von den Vertretern der Bundesanwaltschaft ging am Oberlandesgericht Koblenz ein glasklares „J’accuse“ aus, am Oberlandesgericht Frankfurt am Main führen die deutschen Ankläger schon den nächsten Prozess gegen syrische Folterer. Diesmal geht es um ein Militärkrankenhaus in der Stadt Homs. Aber Deutschlandmuss sich auch seiner historischen Rolle bewusst werden, da ist noch einige Aufarbeitung bitter notwendig!
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