„China verfolgt kein geopolitisches Eigeninteresse im Nahen Osten. Auch soll es kein Machtvakuum durch die USA geben, das die Volksrepublik zu füllen versucht.“ Dieses Zitat aus einem jüngst publizierten Strategiepapier der chinesischen Führung zu den Beziehungen Chinas mit der MENA-Region. Es wurde kurz nach dem Besuch des gerade wiedergewählten Staats- und Parteichefs Xi Jinping in Saudi-Arabien öffentlich gemacht. Grund der Visite war der erste China-Arabien-Gipfel beginnen, den das chinesische Außenministerium als „Meilenstein“ bezeichnete.
Wie wichtig der Besuch für Peking war, zeigt das Timing: Zu Hause stand der chinesische Präsident unter massivem Druck mit landesweiten Protesten gegen den Corona-Kurs der Regierung, dennoch hielt der Parteichef an seiner Reise fest.
Pekings Interesse ist groß, seine Beziehungen in der Golfregion auszubauen, in der die USA traditionell viel Einfluss haben. Das Verhältnis zwischen dem saudischen Königreich und den USA gilt als angespannt, seit die von Riad und Moskau angeführten erdölexportierenden Länder ihre Rohölproduktion trotz des Preisanstiegs gedrosselt haben.
Der Bericht über die chinesisch-arabische Zusammenarbeit aus Peking liest sich zuweilen wie eine Antwort auf das Versprechen, das US-Präsident Joe Biden im vergangenen Juli bei seiner Reise nach Saudi-Arabien machte: „Wir werden uns nicht zurückziehen und ein Vakuum hinterlassen, das von China, Russland oder Iran gefüllt wird“, sagte Biden. Im US-Wahlkampf hatte er den saudischen Kronprinzen noch wegen des Journalisten-Mordes an Jamal Khashoggi als einen „Schurken“ bezeichnet, im Sommer 2022 sicherte er dann eine „aktive“ und „prinzipientreue“ amerikanischen Führung in der Region zu.
Für die USA war eine Präsenz im Nahen Osten in den letzten Jahrzehnten vor allem wichtig, um pünktliche Öllieferungen zu garantieren und effektiver gegen Gefahren des Terrorismus vorzugehen. Jetzt kommt neben dem Konflikt mit Russland eine weitere Dimension dazu: der Systemkonflikt mit China. Das Land hat sich innerhalb weniger Jahre als neue globale Macht in der arabischen Welt etabliert.
Als die russische Invasion in der Ukraine den Rückzug der USA aus dem Nahen Osten und Nordafrika beschleunigte, waren die Golfmonarchien zunehmend darauf fixiert, ihre Partnerschaften zu diversifizieren, insbesondere in Richtung Asien und insbesondere China. China ist bereits ein bedeutender Wirtschaftspartner des Golfs: 2020 löste es die Europäische Union als größten Handelspartner der Golfmonarchien mit einem bilateralen Handel im Wert von 161,4 Milliarden US-Dollar ab und hat in den letzten 17 Jahren fast 25 Milliarden US-Dollar in die Monarchien investiert Jahre.
In dem chinesischen Strategiepapier stellt Peking sein Konzept für die MENA-Region wie folgt dar: China unterstützt regionale Länder nur, um solidarisch an der Lösung regionaler Sicherheitsprobleme zu arbeiten und der Bevölkerung dabei zu helfen, ihren eigenen Entwicklungsweg „unabhängig und autonom“ zu finden: „China hat immer geglaubt, dass es im Nahen Osten kein ‚Machtvakuum‘ gibt und dass die Menschen im Nahen Osten die Herren über ihre Zukunft und das Schicksal der Region sind.“
Implizit reagiert es damit auf das Gefühl, das die junge Herrschergeneration in Saudi-Arabien zunehmend offen artikuliert: Sie will als Gleichgestellte mit ihren Partnern sprechen. Vor Bidens Besuch hatte Reema bint Bandar Al-Saud, die saudische Botschafterin in Washington, erklärt, dass die Zeiten, in denen die amerikanisch-saudischen Beziehungen durch das veraltete Paradigma „Öl für Sicherheit“ definiert werden konnten, lange vorbei seien.
Der Kontakt mit den Chinesen verlief daher angenehmer. Parteichef Xi Jinping stellt keine moralischen Imperative auf, fordert keine Menschenrechte, Korruptionsbekämpfung oder Privatisierung der Industrie. Dafür dürften seinem Besuch Millionendeals folgen. Lange hat China eine relativ zurückhaltende Außenpolitik im Nahen Osten betrieben, inzwischen spricht Peking gegenüber Saudi-Arabien von einer „umfassenden strategischen Partnerschaft“. Ziel Pekings ist es, sich Zugang zu Energie und Ressourcen zu sichern und neue Handels- und Versorgungswege in der Region auszubauen.
Seit Aufnahme der Beziehungen 1990 ist der Handel zwischen China und Saudi-Arabien um mehr als das Zweihundertfache gestiegen. Das Königreich ist Chinas größter Handelspartner im Nahen Osten und in Nordafrika und wichtigster Rohöl-Lieferant. China ist wiederum größter Handelspartner Saudi-Arabiens, 2021 gingen fast 30 Prozent seines Gesamtexports in das Milliardenland. Noch ist der Handel größtenteils auf Rohstoffe und Chemikalien beschränkt. Die Zusammenarbeit soll aber besonders bei Zukunftstechnologien und Rüstung ausgeweitet werden – eine Entwicklung, die Washington nicht gefallen dürfte.
Die meisten Golfstaaten haben strategische Partnerschaftsabkommen mit Peking unterzeichnet. China hat in die Häfen und Freihandelszonen von Jebel Ali (VAE) und Duqm (Oman) investiert und über Cosco Shipping Ports eine 20-prozentige Beteiligung am Red Sea Gateway Terminal von Saudi-Arabien erworben – dem größten Terminal im Hafen von Jeddah, der größte Hafen des Landes. Trotz einer allgemeinen erheblichen Verlangsamung der Mittel durch Chinas Belt and Road Initiative (BRI) nach der Covid-19-Pandemie hat Peking viele seiner BRI-Versprechen gegenüber Saudi-Arabien eingehalten. Während in Ländern wie Ägypten im vergangenen Jahr die Investitionen auf null zurückgingen, war Saudi-Arabien mit rund 5,5 Milliarden US-Dollar der größte Einzelempfänger von BRI-Geldern.
In den vergangenen Jahren haben beide Seiten auch ihre Investitionsprogramme „Neue Seidenstraße“ und „Saudi Vision 2030“, den Modernisierungsplan des Königssohns, immer weiter synchronisiert. Größere Investitionen in der Region dürften allerdings dafür sorgen, dass Peking sein Prinzip der Nichteinmischung endgültig aufgeben könnte. Peking hat eine starke Anziehungskraft auf den Golf mit seiner viel zur Schau gestellten Vision der Arabischen Halbinsel als einer Region von entscheidender langfristiger geostrategischer Bedeutung für die globale Konnektivität und insbesondere auf Saudi-Arabien als Anführer und Türöffner in die breitere arabische und islamische Welt.
China hat sich vordergründig auf Augenhöhe mit den Golfmonarchien positioniert und behauptet gleichzeitig, Washingtons Haltung gegenüber der Region sei von Instrumentalismus und Arroganz geprägt. Zumindest auf rhetorischer Ebene teilen China und die Golfmonarchien die Vision einer multipolaren Weltordnung, in der Erhalt und Ausbau von Globalisierung und Konnektivität Priorität haben. Die Entwicklung der Beziehungen zwischen China und dem Golf zeigen die Bedeutung der Multipolarität für die Golfmonarchien, die die Erwartung, sich für eine Seite zu entscheiden, selbstbewusst zurückweisen. Es ist klar, dass halbherzige, halb unterstützte Ultimaten der USA die Monarchien wahrscheinlich nicht dazu bringen werden, ihren Kurs gegenüber China umzukehren. Die europäischen Regierungen sollten erkennen, dass sie sich, um mit Chinas Einfluss am Golf zu konkurrieren, auf ihren eigenen Mehrwert konzentrieren und ihre Stärken – sowohl als Wirtschafts- als auch als Sicherheitspartner – gegenüber den Schwächen von Chinas Angeboten nutzen sollten.
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