Wie einen Staatsmann hat Recep Tayyip Erdogan den Terroristenführer Ismail Haniya empfangen. Offizielle Fotos zeigen den türkischen Präsidenten, wie er flankiert von zwei türkischen Flaggen dem Hamas-Chef fest die Hand drückt. Es ist skandalös, wie ein Nato-Mitglied dem Anführer einer Organisation den roten Teppich ausrollt, die mit ihrem Terrorangriff auf Israel am 7. Oktober den Gazastreifen in einen verheerenden Krieg gestürzt hat. Jeder Versuch, die Hamas zu rehabilitieren, ist falsch.
Bei dem Besuch betonte Erdogan, der Sieg über Israel hänge von der Einheit der Palästinenser ab. Die Hamas verglich er mit den türkischen Freischärlern, die sich nach dem Ersten Weltkrieg gegen die ausländischen Besetzungsmächte erhoben hatten. Schon früher hatte Erdogan die Islamistengruppe als Befreiungsbewegung verklärt. Im Gegensatz zu den westlichen Verbündeten weigert sich die Türkei hartnäckig, die Hamas als Terrororganisation einzustufen.
Haniyas Besuch in Istanbul nährt nun Spekulationen, dass die Hamas-Führer von Katar in die Türkei übersiedeln könnten. Katar beherbergt die Exil-Führung seit 2012. Damals hatte die Bewegung Damaskus verlassen müssen, weil sie sich mit dem syrischen Regime von Bashar al-Asad überworfen hatte. Zuletzt wuchs aber in Katar der Frust über die Hamas. Laut Medienberichten erwägt das Emirat sogar, die Hamas-Führer des Landes zu verweisen.
Der Golfstaat steht seitens Israels und seiner Verbündeten zunehmend unter Druck. Zwar spielt Katar eine zentrale Rolle als Vermittler bei den Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas über eine Waffenruhe in Gaza und die Freilassung der Geiseln. Israel wirft ihm aber zu grosse Nähe zu den Islamisten vor und gibt ihm eine Mitschuld an der Blockade der Gespräche. Auch im amerikanischen Kongress wächst der Druck. Einige Senatoren fordern gar, Katar seinen Status als Verbündeter abzuerkennen, wenn es nicht die Hamas ausweist.
Sollte das Emirat tatsächlich der Hamas-Führung das Gastrecht entziehen, müsste sich diese ein neues Asyl suchen. Syrien oder Libanon wären eine Option, doch wären die Hamas-Führer dort ein leichtes Ziel für den israelischen Geheimdienst. Iran wäre eine Alternative, doch dürfte die Hamas-Führung Vorbehalte haben, sich allzu fest an die schiitische Regionalmacht zu binden. Schliesslich ist auch Algerien im Gespräch, doch wäre die Hamas dort weitgehend isoliert.
Vor diesem Hintergrund dürfte die Türkei die attraktivste Variante für die Hamas sein. Vor dem 7. Oktober haben Haniya und sein Vorgänger viel Zeit am Bosporus verbracht. Sie sind dort gut vernetzt, auch gibt es in der Bevölkerung grosse Sympathien für die Sache der Palästinenser, und die Regierung pflegt enge Beziehungen zur Muslimbruderschaft. Das Land hat Gewicht in der Region, zudem dürfte der Mossad zögern, dort Hamas-Führer zu ermorden.
Sollte die Hamas tatsächlich ihr Hauptquartier in die Türkei verlegen, wäre dies ein Affront für Israel und seine Partner. Es wäre inakzeptabel, würde ein NATO-Staat einer Organisation Zuflucht gewähren, die sich der Vernichtung Israels verschrieben hat. Zwar ist auch Katar ein enger Partner der USA, der mit al-Udeid die grösste amerikanische Militärbasis im Nahen Osten beherbergt. Doch hat Katar bereits klargemacht, dass die Hamas spätestens nach Ende des Krieges gehen muss.
Vor dem 7. Oktober hatte es durchaus Sinn ergeben, in Katar einen Gesprächskanal mit den Islamisten offenzuhalten. Dies war auch von den USA gewollt und von Israel gebilligt. Durch das Massaker hat sich die Hamas jedoch als Verhandlungspartner diskreditiert. Mehr als Gespräche über die Freilassung der Geiseln und eine Waffenruhe kann es mit ihr nicht mehr geben. Sollte es einmal zu einer Wiederaufnahme der Verhandlungen über eine politische Lösung des Nahost-Konflikts kommen, darf die Hamas keinen Platz am Tisch haben.
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