Nachdem der türkische Militärkomplex bislang darauf angewiesen war, Technologie aus den USA und den EU-Staaten zu importieren, um als NATO-Partner und geostrategisches Großgewicht in der Region präsent zu sein, sind die Aufrüstungspläne unter Präsident Erdogan darauf ausgerichtet, autark von anderen Ländern zu sein.
In den Augen des Staatsoberhaupts am Bosporus soll sich die Türkei zum rüstungstechnischen Selbstversorger entwickeln. Statt auf Waffenimporte zu setzen, wird eine eigene schlagkräftige Rüstungsindustrie aufgebaut. Dazu zählt die Produktion von Drohnen, Panzern, Kampfjets, Haubitzen und Kriegsschiffen. Hinzu kommen noch verstärkte Kooperationen mit Ostasien und auch das Russland Putins hat in der Vergangenheit eine wichtigere Rolle gespielt.
Erst kürzlich übergab Erdogan türkische Haubitzen des Typs Firtina II an seine Streitkräfte. Zudem kündigte er an, dass in Kürze der Grundstein für eine Fabrik zur lange erwarteten Serienproduktion des türkischen Kampfpanzers Altay gelegt wird.
Für Erdogan ist 2023 der ideale Zeitpunkt, militärische Stärke besonders für seine Innenpolitik zu zeigen. In diesem Jahr wird das 100-jährige Bestehen der Republik Türkei gefeiert. Erdogan will der Weltöffentlichkeit und der eigenen Bevölkerung die Türkei als Top-Mitspieler in der Rüstungsbranche präsentieren und mit hohen staatlichen Investitionen wird auf dieses Ziel hingearbeitet. Die in diesem Jahr anstehenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen spielen dabei auch eine Rolle, dadurch kann er sich bei der Wählerschaft, die nicht mehr von ihm überzeugt ist, vielleicht punkten.
Als Präsentation der neuen Errungenschaften hat sich der türkische Präsident die internationale Rüstungsmesse Istanbul (IDEF), die vom 9. bis 12. Mai angesetzt ist, ausgesucht. Sie soll die Bühne werden, auf der die Türkei ihre jüngsten Entwicklungen vorführt. Anders als die Parlaments- und Präsidentenwahlen, die auf den 14. Mai angesetzt sind und über deren Verlegung spekuliert wird, will die IDEF trotz der Erdbebenkatastrophe einstweilen an ihrem Zeitplan festhalten.
Die Türkei investierte 2021 – also noch vor dem Ukraine-Krieg – mit 2,1 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt deutlich mehr in die Rüstung als viele andere europäische Staaten. Damit übertraf das Land den Nato-Zielwert von zwei Prozent. Experten des in Stockholm beheimateten Think Tanks „Sipri“ nennen zwei Unternehmen – Aselsan und Turkish Aerospace – unter den weltweit Top-100-Rüstungsfirmen. Während beispielsweise die deutsche Regierung erst mit dem Ukraine-Krieg und einem 100-Milliarden-Sonderbudget begonnen hat, gravierende Lücken in den Waffendepots aufzufüllen, hat die Türkei schon vor Jahren einen anderen Weg eingeschlagen.
Erdogan kann bereits auf Achtungserfolge im Rüstungsmarkt verweisen. So wurden der Ukraine im Krieg gegen die russischen Streitkräfte Kampf- und Aufklärungsdrohnen vom Typ Bayraktar TB2 des Herstellers Baykar geliefert. Dem türkischen Unternehmen gelang jüngst auch der Erstflug der fast 15 Meter langen großen Jet-Kampfdrohne Kizilelma, die künftig unbemannt sogar auf einem Militärschiff landen soll. Diese Drohne soll in diesem Jahr einsatzbereit sein.
Auch bei Kampfflugzeugen wird die Türkei künftig im Markt mitreden. Voraussichtlich nächsten Monat wird das Modell „Milli Muharip Ucak“ der Weltöffentlichkeit vorgestellt. Zwar wird es noch dauern, bis der Kampfjet mit zwei Triebwerken einsatzbereit ist, aber die Türkei setzt ein Zeichen. Ein weiterer nationaler Stolz soll das unbemannte Kampfflugzeug „Kizilelma“ werden. Sein Name, der „rote Apfel“, steht in der Geschichte für die imperialen Bestrebungen der Türken. Seinen 18 Minuten dauernden Jungfernflug absolvierte es am 14. Dezember 2022. Die Firma, die Selcuk Bayraktar gehört, einem Schwiegersohn von Präsident Erdogan, war mit der Entwicklung von Kampfdrohnen, insbesondere dem türkischen Exportschlager TB2, bekannt geworden. Vor zwei Jahren begann Baykar mit dem Bau von Kizilelma. Kizilelma sei ein Zeichen dafür, dass die Türkei nicht länger ein Mitläufer sei, sondern ein Mitgestalter der Geschichte, sagte der Schwiegersohn Erdogans.
Das Triebwerk stammt von der Ukraine. Bei einem Gewicht von 6000 Kilogramm soll Kizilelma eine Nutzlast von 1500 Kilogramm tragen, eingesetzt werden soll ausschließlich türkische Munition. Unterstützung erhielt Baykar von der Behörde für Rüstungsproduktion (SSB), die dem Verteidigungsministerium untersteht. Angaben aus der Branche zufolge ist Kizilelma auch als Alternative zu den bemannten F16-Kampfflugzeugen vorgesehen. Zu den Besonderheiten des Kampfjet-Projektes gehört, dass die Türkei ursprünglich am Bau des modernen US-Tarnkappenjets F-35 beteiligt war, den auch andere NATO-Partner bei den Amerikanern bestellten. Als Ankara aber russische Flugabwehrsysteme im Land installierte, kündigten die USA die Beteiligung der Türken am F-35 und forcierten damit die Entwicklung des eigenen türkischen Jets.
So kann die Türkei zwar Erfolge beim Aufbau ihrer eigenen Rüstungsindustrie feiern, aber noch stammt nicht alles aus eigener Fertigung. Weiterhin müssen viele Schlüsselkomponenten zugeliefert werden. Deutlich wird dies auch beim Kampfpanzer Altay mit seiner langen Entwicklungsgeschichte. Im Kern basiert der Panzer auf dem südkoreanischen Modell „K2 Black Panther“ des Herstellers Hyundai Rotem. Die Asiaten mischen bereits in der Weltspitze des Panzerbaus mit. So hat aktuell Polen zum Ausbau seiner Panzerflotte nicht nur in den USA, sondern auch den K2 von Hyundai bestellt.
Bei der Entwicklung waren noch europäische Partner aus der Rüstungsindustrie beteiligt, beispielsweise Rheinmetall aus Düsseldorf in Deutschland. Die Kooperation wurde jedoch schnell wieder beendet, weil der deutsche Rüstungsriese keine Exportgenehmigung für Schlüsselkomponenten von der deutschen Regierung erhielt. Auch Firmen wie die britische Rolls Royce verabschiedeten sich von dem Rüstungsprojekt, obwohl auch deren Technik in den ersten Prototypen verbaut war. Der Aufschwung der türkischen Rüstungsindustrie ist also auch eng mit den Sanktionen und Waffenembargos von NATO-Staaten gegen die selbst zu dem westlichen Verteidigungsbündnis gehörenden Türkei verknüpft, als Reaktion auf den blutigen Bürgerkrieg gegen die inzwischen verbotene kurdische PKK. Weil die anderen Staaten keine Schlüsseltechnik für neue Rüstungsprojekte lieferten, musste sich Erdogan andere Quellen erschließen. So bekommen die ersten Modelle des türkischen Kampfpanzers Altay einen Motor aus Südkorea.
Auch wenn das Ziel von Präsident Recep Tayyip Erdogan, die Türkei unter die zehn führenden Wirtschaftsnationen zu führen, klar verfehlt wird, werden bis zum Jahrestag am 29. Oktober zahlreiche Projekte fertiggestellt oder zumindest vorangetrieben, auf die die Türken mehrheitlich mit Stolz blicken. Dazu soll nach Willen Erdogans auch besonders die heimische Rüstungsindustrie gehören. Die verheerende Erdbeben-Katastrophe im Osten der Türkei und die Verantwortung der Erdogan-Regierung bei der Bewältigung dieser kann nun die Pläne Erdogans durcheinander bringen. Er kann sich nun noch weniger sicher sein, Prestige-Objekte öffentlichkeitswirksam für seine persönliche Zukunft ins Feld zu führen, Investitionen in die Rüstungsindustrie zu stecken, während Zehntausende seiner Landsleute ihr Leben lassen mussten.
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