Oft wird die Frage diskutiert, inwieweit die Terrororganisation Hamas eine Unterstützung durch die palästinensische Bevölkerung hat. Die Popularität der Hamas scheint durch den Krieg noch gewachsen zu sein. Dies zumindest legt eine Umfrage nahe, die die deutsche Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Zusammenarbeit mit dem Palestinian Center for Policy and Survey Research (PSR) im Westjordanland und im Gazastreifen Ende letzten Jahres durchgeführt hat.
Laut der Befragung gab eine Mehrheit der Menschen an, dass die Entscheidung der Hamas richtig war, Israel am 7. Oktober zu überfallen (82 Prozent im Westjordanland, im Gazastreifen hingegen nur 57 Prozent). Jedoch ist das Meinungsbild voller Widersprüche. Auf die Frage, welche Partei die größte Unterstützung bekäme, wählten 44 Prozent im Westjordanland die Hamas. Damit ist der Wert um das Dreifache gestiegen (im September waren es noch zwölf Prozent), während im Gazastreifen die Werte von 38 auf 42 Prozent moderat wuchsen. Und lediglich 38 Prozent in Gaza sind der Meinung, dass die Hamas nach dem Ende des Krieges den Gazastreifen regieren solle, wohingegen 75 Prozent im Westjordanland für eine weitere Hamas-Herrschaft sind.
Der Leiter des PSR und Mitautor der Studie ordnet die Ergebnisse ein: „Die Unterstützung für die Hamas während des Krieges kommt von denselben Menschen, die ihre Werte teilen, aber auch von denjenigen, die jetzt der festen Überzeugung sind, dass die Palästinenser Rache nehmen und Gewalt gegen die Israelis anwenden müssen, und sie sehen, dass nur die Hamas dazu in der Lage ist.“ Wenn es eine politische Alternative zur Hamas und eine bessere Regierungsführung gäbe, würde die Unterstützung für die Hamas auf unter 30 Prozent sinken, glaubt er.
Diese Skepsis wird in einer Umfrage der amerikanischen Zeitschrift „Foreign Affairs“ deutlich. In den „Arab Barometers“ zeigt sich, dass die Frustration in Gaza vor dem Terrorangriff auf Israel groß war. Damals hatten 44 Prozent der Befragten „überhaupt kein Vertrauen“ in die Regierungsführung der Hamas und weitere 23 Prozent „nicht viel Vertrauen“. Eine deutliche Mehrheit gab an, dass es in den von der Hamas geführten Institutionen ein hohes (34 Prozent) oder mittleres (38 Prozent) Maß an Korruption gebe. Nur eine Minderheit war der Meinung, dass die Hamas sinnvolle Schritte zur Lösung des Problems unternimmt.
Im Sommer 2023 kam es zu Protesten und Versammlungen gegen die Hamas, die mit Polizeigewalt unterbunden wurden. Hier zeigt sich ein Dilemma, in dem die Hamas steckt. Einerseits will sie einen Widerstandskampf gegen Israel führen, andererseits muss sie den Gazastreifen regieren. Die Islamisten seien in dieser Hinsicht immer ambivalent gewesen, meint der Islamismus-Experte Tareq Baconi. Sie betrachteten das Regieren als „eine Last, als etwas, was die Widerstandsbewegung fesselte und ihre Handlungsfähigkeit einschränkte“, sagte er der „New York Times“. In seinem Buch „Hamas Contained“ schreibt Baconi, dass die Hamas als „vielschichtige Organisation an politischen, sozialen und militärischen Aktivitäten beteiligt ist“, also ein „Akteur mit einer Vielzahl interner Spannungen“ sei, die ständig ausbalanciert werden müssen. Denn die Hamas sei eine Terrororganisation, aber zugleich auch eine politische Partei und Bewegung, die soziale Infrastruktur bereitstellen müsse wie Schulen, Krankenhäuser, Polizei und Gehälter.
Diese Ambivalenz macht sich auch in den Umfragen bemerkbar. Der Zeitpunkt, in dem die Umfragen durchgeführt werden, ist wohl entscheidend: Die Unterstützung für die Hamas steigt in der Regel während oder unmittelbar nach einem Krieg an. Einige Monate nach Kriegsende fallen die Werte dann üblicherweise auf das vorherige Niveau zurück, auf Werte zwischen 35 und 40 Prozent also. Der Nahostfachmann der Konrad-Adenauer-Stiftung in Ramallah, Steven Höfner, erklärt die historischen Muster solcher Umfragen: Die Sympathien für die Hamas würden nach den verheerenden Auswirkungen auf die palästinensische Zivilbevölkerung häufig wieder runtergehen. „In allen Konfliktphasen, in denen Palästinenser Gewalt angewendet haben, haben sie am Ende sehr hart dafür bezahlt. Das sorgte bislang immer wieder für einen Abschwung“, sagt Höfner.
Viele Palästinenser sind frustriert, wütend und verzweifelt über die katastrophale Situation in Gaza. Und es gibt unter ihnen eine breite Unterstützung für den Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober mit rund 1.200 Toten. Die Mehrheit der Befragten glaubt sogar, dass die Hamas keine Gräueltaten an israelischen Zivilisten begangen habe. PSR meint, dass die Unterstützung für den 7. Oktober keineswegs bedeute, dass die Palästinenser die Gräueltaten unterstützen, die Hamas-Kämpfer während dieser Offensive begangen haben. Im Gegenteil, die überwältigende Mehrheit der Palästinenser ist der Meinung, dass Angriffe auf Zivilisten in ihren Häusern oder die Entführung von Zivilisten als Geiseln nach dem Völkerrecht nicht zulässig sind. Diese Palästinenser glauben jedoch schlicht nicht, dass die Hamas dies getan habe. Denn längst hat sich die Sichtweise durchgesetzt, dass es sich bei den Berichten um „Fake News“ handle.
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