Von Kurt Hengl, ehemaliger Botschafter Österreichs in Israel
Ein Neustart der Bemühungen um zwei souveräne Staaten auf dem ehemaligen britischen Mandatsgebiet Palestine fordern nicht nur gutmeinende Großmächte oder internationale Organisationen, sondern auch ehemalige „Kontrahenten“ selbst: der ehemaligen Jerusalemer Bürgermeister und israelischen Premier (2006–2009) Ehud Olmert und der vormalige Außenminister der Palästinensischen Behörde (2005) und Neffen Jassir Arafats, Nasser Al-Kidwa.
Die Zwei Staaten-Lösung war von den Vereinten Nationen am 29. Nov. 1947 durch den Beschluss eines Teilungsplans aus der Taufe gehoben, jedoch von den arabischen Staaten abgelehnt worden. Mit dem Unabhängigkeitskrieg 1948 trachteten diese bloß, den einen neuen Staat Israel zu beseitigen, ohne einen zweiten, arabischen Staat zu schaffen (dessen Gebiet kurzerhand von Transjordanien annektiert wurde). Erst der Sieg Israels im Yom Kippur Krieg 1973 brachte für die Araber die Erkenntnis, dass Israel nicht ausradiert werden konnte: Der ägyptische Präsident Anwar Sadat streckte in Jerusalem 1977 die Versöhnungshand aus; der Friedensvertrag folgte 1979. Erst seither bemüht sich die arabische Seite um den zweiten – „palästinensischen“ – Staat, der ihr 1947 schon zugestanden worden war. Nach den historischen Oslo-Abkommen (1993 und 1995), die die gegenseitige Anerkennung des Staates Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde (P.A.) als legale Repräsentanz des palästinensischen Volkes brachte, wird seither über das Nebeneinanderleben zweier Völker und die Koexistenz zweier (gleichberechtigter) Staatsgebilde diskutiert und gerungen. Die vielversprechende Madrider Friedenskonferenz 1991 mit internationalen Hilfsprogrammen für einen zukünftigen Staat in Palästina endete im Blutbad der 2. Intifada und weiteren Gewaltausbrüchen bis zum Fanal des 7. Oktober 2023, in dem die Terrorgruppe der Hamas sowohl Israel als auch die internationale Staatengemeinschaft in Geiselhaft nahm und, ähnlich der libanesischen Hisbollah, Israel zu einem unrühmlichen Waffenstillstand zwingen konnte; schlagartig machte sich die Erkenntnis breit, dass periodisches militärisches Ringen zu keinem Ziele führen könne, sondern nur eine politische Vision dem Nahen Osten eine friedliche Zukunft verspräche.
Olmert präsentiert die gemeinsamen Friedensvorschläge emphatisch mit der Erklärung, es gäbe nur diese eine Zwei-Staaten-Lösung, alle anderen Theorien führten zu keiner realistischen Befriedung: Ohne eine Einigung über Jerusalem werde es keinen dauerhaften Frieden geben. In gleicher Weise betonte er, die Hamas sei mit ihrer Gräueltat der größte Schädiger der Palästinenser, wohl wissend, daß bei den israelischen Verteidigungshandlungen in der überfüllten Stadt Gaza viele unschuldige Zivilisten ums Leben kommen werden. Diese Vorschläge waren schon dem Präsidenten der P.A., Mahmud Abbas, unterbreitet worden, der sich nicht zu einer öffentlichen Unterstützung aufzuraffen wagte. Auch Papst Franziskus, den EU-Mitgliedsstaaten in Brüssel und der UNO wurde dieser Friedensplan schon als Erinnerung an die Dringlichkeit einer Zukunftsregelung, gerade im gegenwärtigen Moment internationaler Plan- und Visionslosigkeit, überbracht.
Der wesentliche Inhalt des gemeinsam präsentierten Vorschlages fußt auf Olmerts Konvergenz-Plan 2006: eines israelischen einseitigen Rückzugs auf jüdisch bewohnte Gebiete und deren Annexion, ähnlich Arik Sharons Abkoppelungsplan eines einseitigen Rückzugs aus Gaza 2005, dem kein Friede folgte.
Nun schlagen Olmert und Al-Kidwa, im Bestreben, Frieden zwischen den Völkern Israels und Palästinas zu schaffen, ein Abkommen vor, das Palästina neben Israel, in den Grenzen von Juni 1967 (vor dem Sechstagekrieg) in Frieden und Sicherheit sowie gegenseitiger Anerkennung ermöglicht – die Zweistaaten-Lösung!
- Der Plan sieht, scheinbar plausibel, einen einvernehmlichen Landtausch vor: Israel annektiert 4,4 % Zisjordaniens (Westbank, Judäa & Samaria) mit seinen „jüdischen” Siedlungen sowie die “jüdischen” Stadtviertel im arabischen Ostjerusalem. Eine gleiche Fläche tritt Israel von seinem Territorium ab, darunter auch einen Landkorridor zwischen der Westbank und dem Gazastreifen.
- Gaza: Olmert erinnert an eine bittere Erkenntnis des Gazakriegs: Weder Israel noch die Araber, – keine Seite könne die andere jemals vernichten. Daher begrüßen die beiden Politiker die Sicherheitsrats-Resolution 2735 und das Waffenstillstandsabkommen zwischen Israel und der Hamas, welches eine Freilassung aller Geiseln, ein Ende der Kriegshandlungen im Gazastreifen und seine Räumung durch die israelische Armee schrittweise vorsieht. Eine palästinensische Organisation, nur aus Technokraten bestehend, solle im Namen der P.A. den Gazastreifen verwalten und mit internationaler Hilfe wieder aufbauen. Sie sollte auch – sowohl in der Westbank als auch im Gazastreifen – die überfälligen, zuletzt 2005 abgehaltenen Wahlen vorbereiten. Zur Absicherung des reibungslosen Rückzugs der Israelis schlagen Olmert und Al-Kidwa die Aufstellung einer “Temporären Arabischen Sicherheitspräsenz” vor, die zusammen mit palästinensischen Sicherheitskräften die unsichere Lage stabilisieren solle; eine heikle Mission dieser arabischen Präsenz bestünde auch darin, allfällige Angriffe der Hamas aus Gaza gegen Israel zu verhindern. Beide Politiker appellieren an die betroffenen arabischen Staaten, sich ihrer Mitverantwortung bewusst zu sein, und an die reichen Länder, mittels einer Geberkonferenz den Gazastreifen zu rekonstruieren.
Nach dieser Beschäftigung mit dem dringenden humanitären Problem Gaza stellen sich Olmert und Al-Kidwa der ewigen Kernfrage Jerusalem. Der Neffe Arafats postulierte, solange die Fahne Israels über dieser Altstadt wehe, könne und werde es keinen Frieden geben.
- Für die Stadt Jerusalem wird, analog zum Land, die Teilung nach der grünen Linie von Juni 1967 vorgeschlagen: Die Hauptstadt Israels soll das jüdische Westjerusalem, vergrößert um die unter Bürgermeister Teddy Kollek im arabischen Ostteil errichteten jüdischen Wohnviertel umfassen; der Rest soll die Hauptstadt Palästinas bilden.
Über die Altstadt Jerusalems, begrenzt von den Mauern des Sultans Suleiman, soll nach dem Friedensplan kein Staat exklusive Souveränität haben. Ein Kuratorium von fünf Staaten, darunter Israel und Palästina, soll die verwaltende Behörde bilden, gemäß den Vorgaben des UN-Sicherheitsrates; die historische Rolle des jordanischen Königs wird betont (wie es auch im Friedensvertrag Israels mit Jordanien 1994 festgeschrieben ist). Paradiesisch mutet die Erwartung der beiden Politiker an: Es wird keine Beschränkung der Glaubensausübung und des Zugangs in diesem heiligen Bereich geben – Juden, Muslime und Christen werden freien Zugang zu ihren heiligen Stätten haben.
- Sicherheit: Nach solchen Details folgt lapidar die schwerwiegende Bestimmung über die Sicherheit Israels: Palästina wird ein demilitarisierter Staat werden, mit Ausnahme der notwendigen internen Polizei.
Olmert und Al-Kidwa verbergen nicht, dass ihr Appell bloß ein Anstoß sein kann zu Verhandlungen weiterer gravierender Fragen, wie Siedler und Siedlungen in der Westbank, Flüchtlinge und Stationierung einer internationalen Streitmacht entlang des Jordans (zum Schutz Israels). Sie laden die betroffenen Parteien ein, mit internationaler Hilfe zu einem umfassenden Abkommen zu gelangen, das den beiden Staaten, damit auch dem ganzen Nahen Osten, eine friedliche Entwicklung bescheren würde.Anmerkung des Autors: Die zur Zeit wogende Diskussion über die politische und wirtschaftliche Zukunft des Gazastreifens, besonders die Beiträge des neuamtierenden US-Präsidenten, zeigen die Dringlichkeit umfassender Verhandlungen auf Basis der Zwei Staaten-Lösung auf.