Zypern, der östlichste Mitgliedsstaat der EU, befindet sich in einer sehr komplizierten Nachbarschaft. Zur Türkei im Norden unterhält die Regierung in Nikosia seit dem Einmarsch türkischer Truppen vor fünfzig Jahren und der bis heute anhaltenden Teilung der Insel keine offiziellen Beziehungen. Im Osten sind es weniger als 200 Kilometer Luftlinie bis zum chronisch instabilen Libanon. Das Bürgerkriegsland Syrien ist von der Küste des türkisch besetzten Nordens der Insel sogar nur 100 Kilometer entfernt. Zumindest geografisch ist Zypern Teil einer Krisenregion. Auf das Sicherheitsempfinden der Bewohner hatte das bisher aber wenig Auswirkungen. Dies könnte sich aber ändern. Der Konflikt im Nahen Osten, vor allem die Möglichkeit eines Krieges zwischen Israel und Libanon, wirft seinen Schatten auf die Insel.
Der türkische Aussenminister Hakan Fidan sprach zuletzt eine unverblümte Warnung aus. Zypern sei im Begriff, eine Art Einsatzzentrale für den Krieg in Gaza zu werden. Das gehe aus Geheimdienstberichten hervor, sagte Fidan in einem Fernsehinterview. Wer sich an den Kriegen im Nahen Osten beteilige, werde in diese hineingezogen. Als Nachbarland habe die Türkei kein Interesse an einer solchen Entwicklung.
Zuvor hatte der Hizbullah-Chef Hassan Nasrallah Zypern sogar ganz direkt gedroht. Sollte Israel im Falle eines Krieges gegen Libanon hierfür auch auf zypriotische Infrastruktur zurückgreifen, werde man das Land als Kriegspartei betrachten, sagte Nasrallah. Die Hizbullah verfügt über mehr als 100.000 Raketen, in deren Reichweite liegt auch Zypern. Der zypriotische Präsident Nikos Christodoulides entgegnete darauf, sein Land sei in keiner Weise in den Krieg im Nahen Osten involviert. Zypern sei ein Teil der Lösung, nicht des Problems. Der Inselstaat ist Ausgangspunkt des humanitären Korridors für die Lieferung von Hilfsgütern nach Gaza. Für dessen Einrichtung hatte sich Nikosia durchaus auch mit strategischem Hintergedanken starkgemacht.
Zypern hat die Zusammenarbeit mit Israel in den letzten Jahren intensiviert, bei der Ausbeutung von Rohstoffen, aber auch in Sicherheitsfragen. Die Streitkräfte haben mehrere gemeinsame Manöver durchgeführt. Der Türkei ist dies ein Dorn im Auge. Das zeigte sich während der schweren Krise um die Seegrenzen im östlichen Mittelmeer und nun erneut, da wegen des Krieges in Gaza die türkisch-israelischen Beziehungen einen historischen Tiefpunkt erreicht haben. Die Hizbullah verurteilt sowieso jeglichen Kontakt mit Israel. Nasrallah behauptete schon vor zwei Jahren, die israelischen Truppen übten auf Zypern den Einmarsch in Libanon, da das hüglige Hinterland der Insel ein ähnliches Terrain habe.
Auf Zypern gibt es aber auch zwei britische Militärbasen. Zur Abwehr der Raketen, die Iran im April auf Israel abschoss, stiegen von dort britische Kampfflugzeuge auf. In Kreisen, die Israels Krieg in Gaza kritisch sehen, kursieren zudem Berichte, dass die Basen zur Unterstützung der Kriegsanstrengung genutzt würden. Auch befänden sich amerikanische Spezialeinheiten auf den britischen Militärstützpunkten.
Die Regierung in London teilte in Antwort auf eine parlamentarische Anfrage mit, dass es allein zwischen Oktober und Februar von der Basis Akrotiri 57 Flüge nach Israel gegeben habe. Diese hätten aber ausschliesslich dem Transport von diplomatischen Delegationen und humanitären Gütern gedient.
Nach Einschätzung des Thinktanks Prio in Zypern geht es bei den Drohungen der Hizbullah nur indirekt um Zypern. „Im Griechischen gibt es ein Sprichwort: ‚Wenn du den Esel nicht schlagen kannst, schlag den Sattel.‘“ Nasrallah wolle, dass die Europäer Israel dahingehend beeinflussen, keinen Krieg gegen den Hizbullah zu beginnen. Deshalb wird das Schreckgespenst eines Flächenbrands an die Wand gemalt.
Ein Angriff auf Zypern würde die Beistandsklausel des EU-Vertrags von Lissabon aktivieren. Würden die britischen Militärbasen ins Visier genommen, beträfe dies sogar die Nato, obwohl Zypern nicht Teil des Bündnisses ist. Die Stützpunkte gelten als extraterritoriales Hoheitsgebiet Grossbritanniens. Bis jetzt gebe es keine Anzeichen, dass Iran, die wahre Entscheidungskraft hinter Hizbullah, Interesse an einer solchen Eskalationsspirale hat.
Bereits vor einigen Monaten versuchte die von Teheran kontrollierte Terrormiliz, über Zypern Druck auf den Westen auszuüben. Die EU schloss im Mai ein Flüchtlingsabkommen mit Libanon. Ähnlich wie bei den Übereinkommen mit Tunesien oder der Türkei sieht das Abkommen vor, der libanesischen Regierung Geld zu zahlen, damit diese den Strom irregulärer Migranten aufhält.
Zypern ist das wichtigste Ziel für Flüchtlinge aus Libanon. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl war der Inselstaat zeitweise das EU-Land mit den meisten irregulären Einreisen. Weil Nasrallah nicht Teil der Verhandlungen mit der EU war, rief er nach der Unterzeichnung des Abkommens syrische Flüchtlinge im Land auf, weiterhin nach Zypern überzusetzen.
Trotz den jüngsten Zuspitzungen erachten die meisten Experten das Risiko, dass Zypern in den eskalierenden Konflikt hineingezogen wird, weiterhin als gering. Auch die Mehrheit der Bevölkerung ist dieser Ansicht. Spürbar sind die Ereignisse in der Nachbarschaft aber in jedem Fall. Der Verband der zypriotischen Hotelbesitzer wies kürzlich in einem Brief an die Regierung auf die negativen wirtschaftlichen Folgen der Diskussion um Zyperns Sicherheit hin. Während früherer grosser Kriege im Nahen Osten waren die Gästezahlen auf der Insel jeweils gesunken. Geografie ist Schicksal.
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