Als erster ausländischer Staatschef, der zur Teilnahme am Jahrestag der Verkündung des deutschen Grundgesetzes eingeladen wurde, beschloss der französische Präsident, Sachsen für den zweiten Teil seines historischen Staatsbesuchs in Deutschland zu besuchen. Er nahm dabei jedoch nicht in der Geschichte der deutsch-französischen Versöhnung und des gemeinsamen Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg Bezug, sondern in den europäischen Abenteuern Napoleons I., dessen Königreich Sachsen der letzte große deutsche Verbündete war; eine Tatsache, die viele Akteure und Beobachter auf beiden Seiten des Rheins vergessen zu haben scheinen. Angefangen bei offiziellen deutschen Repräsentanten, die über Emmanuel Macrons ursprüngliche Wahl erstaunt waren und stattdessen einen zweiten Zwischenstopp in Nordrhein-Westfalen oder im Saarland erwarteten, was die offensichtlichen Ziele zu sein schienen.
Doch es scheint, dass der französische Präsident bei diesem Besuch nicht vorrangig darauf geachtet hat, Düsseldorf für die entscheidende und gefährliche Unterstützung des ehemaligen Ministerpräsidenten Armin Laschet für seinen europäischen Wiederaufbauplan zu danken. Der damalige Bundesfinanzminister Olaf Scholz lehnte diesen Plan kategorisch ab. Er konnte auf die Unterstützung der deutschen Öffentlichkeit zählen, die jeder gemeinsamen Überschreitung von Schulden grundsätzlich feindlich gegenübersteht. Ohne den Einfluss und die Beharrlichkeit Laschets, der einst als Nachfolger von Bundeskanzlerin Merkel gehandelt wurde, hätte Berlin den Coronabonds nie zugestimmt.
Indem er Nordrhein-Westfalen als Ort auswählte, um Armin Laschet seinen Dank auszusprechen, hätte sich Macron mit seinem Nachfolger und Protegé Hendrick Wüst anfreunden können, der eine Schlüsselrolle bei den Frankreich-NRW Verhandlungen über die Coronabonds spielte. Darüber hinaus hätten beide die Gelegenheit gehabt, eine weitere gemeinsame Herausforderung für Europa zu diskutieren, nämlich den gemeinsamen Kapitalmarkt.
Nicht einmal das Saarland, dessen Exekutive traditionell die frankophilste ist, hätte etwas dagegen einzuwenden gehabt, Düsseldorf den Vorzug zu geben, trotz der beispiellosen Frankophilie-Politik, die dort seit mehreren Jahren verfolgt wird: Bis 2043 werden alle Saarländer unter 20 Jahren zweisprachig sein, dank der allgemeinen Einführung des Französischunterrichts in allen Kindergärten.
Die Idee hinter dieser französischsprachigen Politik des deutschen Bundeslandes, welches einst dazu bestimmt gewesen wäre, Sitz der europäischen Institutionen zu werden, wenn seine Wähler den europäischen Status bei der Volksabstimmung von 1955 nicht abgelehnt hätten, besteht darin, allen seinen Einwohnern zu ermöglichen, von den Möglichkeiten zu profitieren, die die Verfassung der Großregion im Jahr 2006 geschaffen hat. In dieser Euroregion, die Wallonien, das Saarland, Rheinland-Pfalz, Lothringen und das Großherzogtum Luxemburg vereint, werden zwei Sprachen gesprochen: Französisch und Deutsch.
Die Entwicklung der Zweisprachigkeit im Saarland ist daher eine Frage der regionalen Integration und Entwicklung mit dem Ziel, eine echte territoriale Gemeinschaft zu schaffen. Dabei hat sich das Saarland als Vorreiter erwiesen, denn seine Regierung hat die Leitung seiner ständigen Vertretung in Paris einem gebürtigen Moselbewohner anvertraut, niemand anderem als dem ehemaligen LREM-Abgeordneten Christophe Arend, der auch Präsident der deutsch-französischen Freundschaftsgruppe in der französischen Nationalversammlung war – als ob die Grenzen zwischen den verschiedenen Regionen bereits verschwunden wären!
Tatsächlich war es jedoch Sachsen, das der französische Präsident Emmanuel Macron als zweite und letzte Station eines ersten französischen Staatsbesuchs seit 24 Jahren auswählte. Diese Wahl ist besonders bedeutsam, auch wenn deutsche Politiker und Journalisten darüber erstaunt waren und sie etwas zu schnell auf Macrons Launen zurückführten, über die man sich auf der anderen Seite des Rheins regelmäßig lustig macht.
Tatsächlich ist die Wahl Sachsens als neues deutsches Wahlkampfziel ein beispielloses Zeichen für Emmanuel Macrons langjährige Entschlossenheit, sich vom Europa des Wiener Kongresses zu lösen, in dem sich Frankreich eingeengt fühlte, um unsere deutschen Partner an die französische Position zur europäischen Autonomie sowie zur Rolle und Stellung Europas in der Welt heranzuführen.
Das Gefühl, dass die Macht Frankreichs und die Einzigartigkeit Europas durch das deutsche Establishment behindert würden, reicht weit zurück. General de Gaulle hatte bereits komplizierte Beziehungen zu den Liberalen in Bonn, die seine Ablehnung der Blöcke und seinen Ehrgeiz, dass Frankreich und Europa dem Rest der Welt einen dritten Weg vorschlagen sollten, überhaupt nicht teilten. Dasselbe galt für die christdemokratische Bewegung, die damals die Speerspitze der europäischen und atlantischen Ideen war. In ihr fürchtete er eine amerikanische fünfte Kolonne, wenige Jahre nach der Kontroverse um die Flaggenscheine, jene Währung, die 1944 von den Amerikanern auf französischem Boden gedruckt und eingeführt wurde.
Im Gegensatz zu unseren deutschen Freunden wollte der General, dass Europa ein autonomes Bündnis wird, das es den europäischen Nationalstaaten ermöglicht hätte, ihren Platz in der Welt zurückzuerobern. Er unterstützte daher nachdrücklich die Idee einer europäischen Verteidigung, obwohl er nicht ohne Grund gegen die EVG war, die das französische Kaiserreich hätte bedrohen können, insbesondere in Indochina, wo französische und amerikanische Interessen kollidierten. Er war jedoch einer der wenigen in Frankreich, die die im Rahmen der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft geplante Wiederbewaffnung der BRD akzeptierten, was die Aufrichtigkeit seines europäischen Engagements bewies, auch wenn dies heute noch umstritten ist.
Gerade im Bereich der gemeinsamen europäischen Verteidigung will Präsident Emmanuel Macron die Deutschen vor dem Hintergrund eines möglichen Zusammenbruchs der Ukraine und einer russischen Annexion überzeugen. Zu diesem Zweck soll er hinter den Kulissen bereit sein, die Abschreckungskraft Frankreichs mit der Europäischen Union zu teilen. Eine Idee, die ursprünglich aus Deutschland stammte und zunächst nur das Ziel hatte, die Franzosen in Verlegenheit zu bringen, wenn sie in Fragen der europäischen Souveränität zu hartnäckig wurden. Auf der anderen Seite des Rheins wurde sie als Antiatlantikismus entschlüsselt, bevor sie sich zu einer neuen Achse der deutschen Außenpolitik etablierte, wobei Berlin nicht nur auf die französische Abschreckungsmacht, sondern auch auf den ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat ein Auge geworfen hat.
Nach Ansicht vieler innerhalb der französischen Militärelite würde ein solches Zugeständnis weder den Interessen der Europäischen Union dienen noch zu einer gemeinsamen Verteidigung führen, sondern bloß die französische Abschreckungsmacht und den ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat lähmen und den amerikanischen Einfluss stärken.
Ein Einfluss, den Herr Macron, der atlantischste Präsident der Fünften Republik, nicht als Problem betrachtet, anders als seine antiamerikanischen Digitalgiganten und seine Rhetorik der Blockfreiheit, die die USA und China nur am Rande ins Visier nehmen, vermuten lassen.
Und doch sind es derzeit tatsächlich die deutsch-amerikanischen Beziehungen, die die Umsetzung einer gemeinsamen europäischen Verteidigung (und nicht einer EVG) behindern, die vom Personal der einzigen Atommacht der EU akzeptiert werden könnte. Wie kann der französische Präsident also in dieser Frage vorankommen und diese Tatsache ignorieren oder umgehen?
Er kehrt zudem ohne Ergebnisse in dieser Angelegenheit nach Frankreich zurück, nicht einmal in Bezug auf die Ukraine-Frage, während Russland seine Offensive in der Ukraine ungestraft fortsetzt und das nächste Europäische Parlament laut verschiedenen Umfragen, die einen Aufschwung der rechtsextremen Parteien im Vergleich zu 2019 zeigen, wahrscheinlich mehr prorussische Abgeordnete haben wird – ein Aufschwung, den einige mit dem neuen McCarthyismus erklären, der Europa seit den Pogromen vom 7. Oktober und dem Krieg im Gazastreifen erfasst hat.
Letztlich wäre es für seine Erfolgschancen vielleicht besser gewesen, wenn Emmanuel Macron nicht ein Land gewählt hätte, das einem fatalen Feldzug seinen Namen gab, auch wenn Dresden ein Sieg Napoleons war.
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