Der türkische Präsident Erdoğan sieht sich als den wichtigsten Vermittler im Konflikt zwischen Israel und der palästinensischen Hamas. Er sei bereit, zwischen den beiden Seiten zu verhandeln, bis hin zu einem Gefangenenaustausch. In einem „gerechten Frieden gibt es keine Verlierer“, so seine Worte. Seine Meinung als „Friedensengel“ ist nur zu verständlich, denn einerseits ist seine Politik gegenüber Israel eine sehr pragmatische gewesen, während er gleichzeitig Führern der terroristischen Hamas, dem militärischen Ableger der Muslimbruderschaft, in seinem Land einen sicheren Hafen garantierte. So ist seit Jahren der poltitische Teil von Hamas entweder im Unterstützerland Katar beheimatet, oder aber am Bosporus.
„Die Unterdrückung, die israelische Sicherheitskräfte über Palästinenser bringen“, sei genauso abzulehnen wie „Gewalt gegen israelische Zivilisten“. Wichtig sei, dass Israel und Hamas nun in keine Spirale der Gewalt gerieten, wobei Erdoğan allerdings vor allem die Israelis ansprach: Sollten diese das Bombardement des Gazastreifens einstellen, öffne sich „eine Tür zu einem Weg hin zum Frieden“. Nur einen Tag später mahnte er angesichts der Abriegelung des Gazastreifens durch Israel die Wahrung der Menschenrechte an – und schickte auch eine Botschaft in Richtung USA, die Israel Unterstützung zugesichert hatten.
Bei einer Pressekonferenz mit Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer in Ankara sprach Erdoğan über den Flugzeugträger USS Gerald R. Ford, den das Pentagon ins östliche Mittelmeer verlegen ließ. „Was wird der Flugzeugträger der USA in der Nähe von Israel tun, warum kommen sie?“, fragte der türkische Präsident. „Sie werden Gaza und Umgebung angreifen und dort Schritte hin zu schweren Massakern vornehmen.“
Seine Rolle als neuer „Beschützer des Islam“ weltweit bezog sich für den Sultan des Bosporus immer auch auf die Palästinenser, er unterstützte die Hamas offen. Bis heute weigert er sich, sie als Terrororganisation einzustufen, nach türkischer Definition ist sie eine legitime politische Kraft. Erdoğan traf die Hamas-Führung mehrmals, einige von ihnen führen ihren Kampf von Istanbul aus. Er soll sogar den Befehl gegeben haben, einigen der Hamas-Funktionäre türkische Pässe auszustellen.
Das Verhältnis zu Israel ist daher auch etwas abgekühlter als das zu der palästinensischen Sache. Aber, wie so häufig in der Politik Erdoğans, zeigt er auch hier, wie flexibel er sein kann. Er empfängt das Staatsoberhaupt Israels in der Türkei, später wird bekannt, dass er Hamas-Leute, die zu deren militärischem Flügel zählen, ausgewiesen habe. Bei der Uno-Generalversammlung vor wenigen Wochen in New York traf sich Erdoğan sogar mit Premier Benjamin Netanjahu, zum ersten Mal überhaupt. Da gaben sich zwei die Hand, die sich ihr Leben lang verachtet haben. Und ließen dem Handschlag gleich den Plan einer Pipeline folgen, von einem israelischen Gasfeld im Mittelmeer in die Türkei.
Ähnlich wie im Ukrainekrieg ist der türkische Präsident also auch im Nahen Osten einer der wenigen, die anscheinend mit beiden Seiten können. Er telefonierte zunächst mit Mahmud Abbas in Ramallah und versicherte ihm die türkische Unterstützung, danach mit Isaac Herzog und bat um „ein rationales Vorgehen“ bei der Reaktion auf den Überfall der Hamas. Viele unabhängige Experten halten die Rolle Erdoğans als Friedensvermittler für geeignet, besonders weil er ein Fürsprecher der Palästinenser ist. Als solcher ist der Türke glaubwürdig, vielleicht eher als die Herrscherhäuser von der arabischen Halbinsel, die sich mit ihrer Anerkennung Israels angreifbar gemacht haben. Erdoğan musste den Schritt nie gehen, die Türkei unterhält zu Israel schon seit 1949 diplomatische Beziehungen. Die Israelis ihrerseits wissen, dass Erdoğans Wort in der islamischen Welt Gewicht hat.
Aus Erdoğans Sicht gibt es gute Gründe, einen größeren Krieg zu verhindern. Sollte der Nahe Osten in Gewalt versinken, würde das seine Versuche stören, in der Region neue Freunde zu finden. Eskaliert die Lage, könnte er wohl nicht anders, als Partei für die Palästinenser zu ergreifen. Ein großer Krieg könnte auch der türkischen Wirtschaft schaden. Erdoğan würde sich schwertun, sich mit den Palästinensern solidarisch zu erklären, während er an dem Gas-Deal mit Israel festhält.
Die möglichen Konkurrenten schlafen allerdings nicht! Einerseits ist da Ägypten, das schon früher zwischen Israel und der Hamas teilweise erfolgreich vermittelt hat, die Vereinigten Arabischen Emirate sind ebenfalls in der Region gut vernetzt: Die Emiratis sollen den syrischen Diktator al-Assad gewarnt haben, er solle sich aus dem neuen Gaza-Konflikt heraushalten.
Und das sind noch die USA. Es gibt erste Anzeichen, dass die Biden-Administration einen anderen Player bitten wird, in der kritischen Situation zu vermitteln. Anscheinend traut man Erdoğan nicht ganz über den Weg, besonders wenn man seine Taktik im Ukraine-Krieg beobachtet. Hier scheint Washington auf eine andere Karte zu setzen. Katar ist nämlich der Ort, an dem sich ein anderer Teil der politischen Führung von Hamas aufhält, das Emirat finanziert die Organisation zum großen Teil. Es soll nun erste Gespräche mit der Terrormiliz führen, bei denen es um eine Freilassung zumindest einiger der israelischen Geiseln in Gaza geht.
Es bleibt abzuwarten, ob Erdoğan nicht doch noch eine Trumpfkarte ziehen kann. Es bleibt jedoch festzuhalten, dass – egal ob man nach Ankara schaut oder nach Dohar – es eigentlich einer moralischen Bankrotterklärung gleichkommt, wenn Staaten, die ganz offiziell die Terror-Organisation der Muslimbruderschaft unterstützt, letztendlich zum Friedensrichter werden. Damit macht man sich den Bock zum Gärtner. Das sollte auch der Westen endlich einsehen, aber auch Israel, das jahrelang die Geldflüsse an die Hamas absegnete.
Alle Veröffentlichungs- und Urheberrechte sind dem MENA Research Center vorbehalten.