Der 14. Mai rückt näher: An diesem Tag entscheiden die Türken über die politische Zukunft des Langzeitherrschers Erdogan und seiner Partei AKP. Da dieses Mal der Sultan nicht mehr sicher sein kann, erfolgreich aus den Wahlen hervorzugehen, werden alle Register gezogen, um das Blatt noch drehen zu können: Oppositionelle werden verfolgt oder juristisch mundtot gemacht, die kritische Presse wird diffamiert oder auch mit Hilfe der Justiz in die Schranken gewiesen, Propaganda und Fake News werden als Stilmittel eingesetzt.
Und da gibt es noch die zahlenmäßig nicht unerhebliche Gruppe der „Diaspora-Türken“, also diejenigen, die in westeuropäischen Ländern seit Jahrzehnten leben. Bereits bei vergangenen Wahlen hat die AKP nichts unversucht gelassen, dieses Wählerpotential für sich zu gewinnen, bislang erfolgreich. Ich erinnere mich an die Aussage eines türkischen Freundes in Istanbul, der nach dem letzten Wahlerfolg Erdogans in einem ironischen Unterton meinte, „wir in der Türkei haben alles getan, um den Autokraten NICHT zu wählen, und da kommen die Auslandstürken daher und wählen ihn mit großer Mehrheit. Sie sind es, die für diese Katastrophe verantwortlich sind, nicht wir!“
Auch wenn die im Ausland lebenden Türken numerisch nicht die Mehrheit an Stimmen für eine Parlaments- und Präsidentschaftswahl, können diese sehr wohl gerade bei einem knappen Wahlausgang eine nicht unerhebliche Rolle spielen. Da ist es nicht verwunderlich, dass die Erdogan-Getreuen auch dieses Mal besonders in den in Deutschland, Österreich, Benelux und Skandinavien lebenden türkischen Communities versuchen, Wahlkampf für ihren Chef zu machen.
Verbrannte Erde in Deutschland
Schon sehr früh hat die AKP in Deutschland versucht, die dort lebenden Türken auf ihre Seite zu ziehen. Laut deutschem Statistischem Bundesamt sind es 1,4 Millionen potentielle Wahlstimmen, also eine nicht unerhebliche Größe. Im Vergleich zu früheren Wahlen jedoch, als türkische Politiker massiv in Deutschland um Stimmen warben, ist es in diesem Jahr bislang ruhig. Das liegt auch daran, dass die Bundesregierung Auftritte ausländischer Funktionäre in den letzten Wochen vor der Wahl inzwischen untersagt.
Trotzdem waren seit September 2022 weit über 100 AKP-Abgeordnete in Deutschland unterwegs. Erdogan hat den Wahlkampf in Deutschland also schon sehr früh gestartet, was von der größeren deutschen Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wurde. Der Auftritt eines Erdogan-Gesandten in der westdeutschen Stadt Neuss im Januar hat dann dazu geführt, dass die deutsche Regierung scharfe Kritik übte, mit Konsequenzen für die Wahlpropaganda auf deutschem Staatsgebiet drohte. Die Folge war dann sogar die Absage eines Arbeitsbesuchs Erdogans in Berlin. In seiner Rede vor Türken in Neuss rief der Abgeordnete der Erdogan-Partei dazu auf, den Gegnern seines Chefs „das Lebensrecht“ in Deutschland zu nehmen.
Seit dem Skandal in Neuss gab es einen Bruch. Zwar gibt es weiterhin kleinere Wahlkampfauftritte der AKP, die Abgeordneten sind aber sehr vorsichtig in ihren öffentlichen Statements geworden. Es sind keine größeren öffentlichen Wahlkampfauftritte von Amts- und Mandatsträgern bekannt, die Funktionäre sind aber immer noch in Deutschland unterwegs. In vielen Städten hat die AKP regionale Teams gegründet – zum Beispiel in Essen, Frankfurt, Hamburg und anderen Regionen. Deren Aufgabe ist es, den Wahlkampf in Deutschland zu koordinieren.
Die breite Öffentlichkeit bekommt davon kaum etwas mit. In den letzten Wochen haben AKP-Teams viele Hausbesuche gemacht, um vor allem älteren Türken dabei zu helfen, sich für die Wahl zu registrieren. Die AKP-Teams organisieren auch Reden und Konzerte, zu denen sie bekannte türkische Influencer und Musiker einladen. Der Journalist Eren Güvercin sieht auch die Moscheeverbände als Werkzeug der AKP-Kampagne: „Sie versuchen, über die Moscheen Einfluss auf türkische Wähler zu nehmen, auch wenn sie versuchen, diese Aktivitäten in Moscheen zu verdecken.“ Offiziell präsentieren sich Moscheeverbände wie Ditib, IGMG oder vom Zentralrat der Muslime als politisch neutrale Religionsgemeinschaften. „Deswegen versucht man zu verheimlichen, dass dort Wahlkampf betrieben wird.“
Für Güvercin ist klar, mit welchen Mitteln Erdogan und seine Getreuen die Wähler in Deutschland ködern will: „Europa und ‚der Westen‘ werden als Feind gesehen, der die aufstrebende neue Weltmacht Türkei wieder in Ketten legen will. Die Parallelen zu Putins Russland sind erschreckend. Auch darüber müssen wir als Gesellschaft in Deutschland reden, warum Teile der türkischen Community in Deutschland solchen Narrativen anhängen.“ Es ist ihm auch klar, dass man den Wahlkampf in Deutschland nicht unterbinden könne. Er erwarte von der Bundesregierung aber eine klarere Haltung zu den Moscheeverbänden. „Es ist offensichtlich, dass die Ditib-Gemeinden zu AKP-Filialen mutieren. Und das muss man offen thematisieren. Wenn Moscheeverbände wie Ditib oder IGMG den Anspruch haben, eine deutsche Religionsgemeinschaft zu sein, dann müssen sie sich auch in dieser Frage daran messen lassen.“ Dass Gemeinden dieser Verbände für den Wahlkampf eines autokratischen Regimes missbraucht werden, „ist kein außenpolitisches Thema, sondern eine Frage, mit der wir uns als Gesellschaft und Politik kritisch auseinandersetzen müssen.“
„Geschmeidigkeit“ ein Wiener Charakteristikum: Außenminister Alexander Schallenberg und Wiens Bürgermeister Michael Ludwig
Für Österreich und im besonderen Wien ist diese spezielle Form der Geschmeidigkeit charakteristisch beim Umgang mit den von Gülcerin genannten AKP-Filialen und der Auseinandersetzung in Gesellschaft und Politik: Denn hier spielt die heimische Politik eine tragende Rolle, im Gegensatz zu Deutschland!
Letzte Woche besuchte der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoglu Wien. Es kam dabei auch zu einem Treffen mit seinem österreichischen Amtskollegen Alexander Schallenberg, in dem sie sich über den Krieg Russlands in der Ukraine und die Folgen den verheerenden Erdbebens vergangenen Februar im Südosten der Türkei und in Nord-Syrien austauschten. In seinem Statement nach dem Treffen unterstrich der Wiener Minister zudem, „dass Österreich keinen Import innertürkischer Auseinandersetzungen und Konflikte nach Österreich akzeptiert und allen Versuchen einer Instrumentalisierung der türkischstämmigen Community hierzulande entschieden entgegentritt.“
War ihm da nicht bewusst, dass Çavuşoglu nicht nur für eine Melange ins Wiener Außenamt flog, sondern dass er die Möglichkeit nutzen würde, aktiven Wahlkampf für seine Partei und Präsident Erdogan in Österreich zu betreiben? Denn am selben Abend nahm dieser an einem großen Iftar-Fastenbrechen der “Union Internationaler Demokraten” (UID) mit etwa 1.000 geladenen Gästen teil. Die UID gilt als AKP-Arm im Ausland. Bei der Festrede brachte Çavuşoglu sein Handy mit auf die Bühne, hielt es vor sein Mikrofon. Es war Erdogan persönlich, der direkt zu seinen Landsleuten sprechen wollte. „Ich grüße Sie, meine lieben Brüder und Schwestern im Ausland, mit den herzlichsten Gefühlen, möge Ihr Ramadan gesegnet sein. Der 14. Mai ist Wahltag, wie Sie wissen, ein neues Datum des Wechsels, der Transformation und des Wandels für uns in der Türkei und im Ausland. Ich glaube an Sie.”
Nun könnte man meinen, dass es der österreichische Außenminister ernst meint mit seiner Äusserung, die Regierung würde keinerlei Wahlkampf-Propaganda zulassen. Weit gefehlt: Es gab keinerlei Proteste oder gar Sanktionen seitens der Bundesregierung für diesen Auftritt.
Kurz vor der Iftar-Gala bei der UID kam es noch zu einer anderen Großveranstaltung, bei der die AKP-Unterstützergruppe zu den Ehrengästen gehörte: Der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig, gleichzeitig Chef der Wiener SPÖ, lud den UID-Vorstand zusammen mit Repräsentanten der Islamischen Glaubensgemeinschaft Österreichs (IGGÖ) zum Fastenbrechen in den Rathauskeller.
Verwunderlich ist, dass zum Fastenbrechen auf Einladung des Bürgermeisters die AKP-Repräsentanz in Wien eingeladen wurde, nicht aber auch muslimisch-türkische Vereine und Gruppen, die sich gegen die türkische autoritäre Regierung öffentlich aussprechen. „Wir wollen in Österreich keine Wahlpropaganda aus der Türkei, weil wir fürsorglich auf den inneren Frieden und das Zusammenleben in Österreich sehr hohen Wert legen“, so die Türkische Kulturgemeinde Österreichs (TKG), die zudem keine Einladung zum Iftar beim Bürgermeister erhielt.
Michael Ludwig und seine Wiener SPÖ spielen seit Jahren ein seltsames Spiel: Bei Besuchen in der Türkei trifft sich der Sozialdemokrat gerne öffentlichkeitswirksam mit hohen AKP-Vertretern und mit Erdogan, während seine „Schwesterpartei“ CHP anscheinend für ihn keine Relevanz hat. Auch Vertreter der CHP in Wien waren übrigens nicht in den Rathauskeller geladen. „Wir verstehen es wirklich nicht. Was soll das Anbiedern an den Diktator Erdogan uns bringen?“, sagt ein türkischstämmiges SPÖ-Mitglied, der anonym bleiben will. „Er und sein Team, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die konservativen Muslime in Wien zu umgarnen, sollen endlich mit dieser Heuchelei aufhören“, ergänzt eine Wiener Sozialdemokratin mit kurdischen Wurzeln, die auch darum bat, nicht namentlich genannt zu werden.
Mit dem „Team“ sind besonders zwei Namen zu nennen, die für die Wiener SPÖ die Nähe zur Erdogan-AKP sowie zu konservativen Kreisen der arabischen Muslime in der Stadt verantwortlich sind: Da ist einmal die Landtagsabgeordnete Aslihan Bozatemur, vor ihrer politischen Karriere Mitarbeiterin im Büro des damaligen Stadtrats Ludwig. Sie ist seit Jahren für die Kontakte zur türkischen Community in der Hauptstadt verantwortlich und kümmert sich nicht, wie zu vermuten wäre, um die säkularen Türken, sondern dockt an bei AKP-nahen Gruppierungen. Hier scheint es mehr SPÖ-Stimmen zu geben. Die türkische Community in Wien tendiert grob in zwei Richtungen. Hier säkulare Aleviten und Kurden, die einen westlichen Lebensstil pflegen und auch Alkohol trinken. Dort jener Teil der traditionellen Sunniten, der regelmäßig in die Moschee geht und auf halal (islamisch rein) setzt. Bozatemur war beim Wahlkampf für die SPÖ vorwiegend im zweiten Lager unterwegs. „Und daran stoßen sich nicht wenige Genossen hinter vorgehaltener Hand. Denn dieses Milieu ist stark an der Türkei des islamisch-nationalistischen Autokraten Recep Tayyip Erdoğan und seiner AKP-Partei orientiert“, so dass Nachrichten-Magazin „Profil“ in einer langen Recherche zu Bozatemur.
Es gibt viele Fotos von ihr mit Frauen mit Kopftuch aus dem Umfeld der UID, Bozatemur-Flyern, die Geschenkpaketen des Vereins beigelegt waren, Online-Wahlhinweise, die über mitgliederstarke WhatsApp-Gruppen des Vereins verteilt wurden. SPÖ-Politiker wunderten sich im letzten SPÖ-Wahlkampf über Plakate Bozatemurs, die direkt neben den Wahlaufrufen der UID affichiert waren. Am Tag vor der Wahl warf sich der Präsident der UID, Mahmut Koc, noch einmal für Bozatemur und Ludwig ins Zeug.
Der andere SPÖ-Stimmenfänger ist Omar al-Rawi, Abgeordneter der Partei mit irakischem Familienhintergrund. Im vergangenen Jahr berichtete MENA Research Center bereits über ihn, seine Reisen nach Katar und seine Kontakte zu fundamentalistischen Kreisen innerhalb der islamischen Welt. „Zu Veranstaltungen von Omar für Muslime werden wir gar nicht erst eingeladen“, sagt ein Wiener Sozialdemokrat und gläubiger Muslim, der sich allerdings immer wieder dagegen wehrt, wie gerade seine Partei mit konservativen muslimischen Vereinigungen umgeht, die die europäischen Werte ablehnen und ein rückwärtsgewandtes Weltbild propagieren.
Geschmeidigkeit kann von Vorteil sein, in der Naturwissenschaft oder Kunst. Aber sicherlich nicht im politischen Leben, liebe ÖVP und SPÖ!
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