Kurz vor einer richtungsweisenden Wahl, in welcher es für den türkischen Präsidenten um jede einzelne Stimme geht und inmitten einer fatalen wirtschaftlichen Prognose für die kurzfristige Zukunft des Landes greift Erdogan auf seine religiösen Vorfeldorganisationen zurück, um für ihn die Diaspora wahlentscheidend zu mobilisieren. Erdogan setzt dabei vor allem auf seinen Einfluss innerhalb der muslimischen und türkischen Diaspora in Europa, um seine Macht entsprechend zu festigen und die europäische türkische, aber auch muslimische Diaspora entsprechend zu instrumentalisieren. Die Regierung Erdogans hat beste Erfahrungen damit verdeckte Methoden anzuwenden, um Feindbilder aus dem Weg zu räumen, die als schädlich für die eigenen Staatsinteressen, deren Einrichtungen, Ideologie oder auch Interessen eingestuft werden. Als Beispiel dient dem türkischen Regime etwa die kurdische Opposition, die lange ein Ziel solcher staatlichen Methoden war und ist. Selbiges gilt auch für linke Gruppen, Kommunisten, Alaviten, Gulenisten, Mitglieder und Sympathisanten der „Furkan Foundation“ oder sämtliche andere sowohl sozialen oder religiösen Gruppen, die dem türkischen Regime nicht loyal gegenüber eingestellt sind. Diese waren ebenso Ziel von geheimen Aktionen sowohl innerhalb der Türkei als auch im Ausland.
Diese Studie fokussiert vor diesem Hintergrund auf eine der kriminellsten „Langarm Aktivitäten, Strategien und Verstöße“, welche unter der Regierung Erdogans in Auftrag gegeben wurden. Auch wird die Studie sich damit auseinandersetzen, wie das autokratische türkische Regime staatliche Institutionen nutzt und einsetzt, und was nicht staatliche Organisationen (NGOs) als sichtbare Akteure in dem politischen Denken der AKP – Regierung für eine Rolle spielen.
Es ist eine bekannte Tatsache, dass das politische islamistische Regime in der Türkei, unter der Führung der regierenden AK – Partei und dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan, seit langem die Opposition innerhalb des Landes unterdrückt. Unter Zuhilfenahme krimineller Organisationen der ehemaligen Machtstrukturen des Landes setzt die Regierung harte Maßnahmen ein, um politische Deszendenten zu quälen und schürt damit Erinnerungen an die Hexenverfolgungen aus Zeiten des Mittelalters.
Anhand zahlreicher Zwischenfälle zeigt sich, dass die seitens der türkischen Regierung eingesetzten Methodiken, um Kritiker zum Schweigen zu bringen, als Verbrechen gegen die Menschlichkeit einzustufen sind. Verleumdungen und Diffamierung von Regierungskritikern sind alltäglich, beschleunigt, angetrieben und umgesetzt von einer massiven Propagandamaschine. Das sogenannte „Profiling“, also das gezielte Analysieren, sowie das Zusammentragen von Hintergrundinformationen von Personen und Strukturen wird mittlerweile selbst von „non governmental organizations“ (NGOs) praktiziert. Diese Methodik der nachrichtendienstlichen Analyse war vor der Machtübernahme Erdogans teilweise sogar den staatlichen Sicherheitsorganisationen untersagt. Die Ergebnisse dieses „Profiling Prozesses“ werden anschließend in den nationalen Medien veröffentlich, als würde es sich dabei um ein Kavaliersdelikt handeln. Diese staatliche Vorgangsweise ist mittlerweile so institutionalisiert, dass Vergehen wie offene oder verdeckte Drohungen, körperliche Angriffe und oder Folter im Namen des Staates werden nicht mehr als Verbrechen gesehen. Im Gegenteil. Diese Vorgangsweisen werden mit der Erhaltung der Macht von Erdogan und seiner Regierung gerechtfertigt, und all jene, die Gewalt anwenden werden gefeiert und belohnt.
Zeitgleich sucht die Regierung in Ankara gezielt die Nähe zu ideologischen Feinden im Nahen Osten, um die marode türkische Wirtschaft durch Investitionen in Milliardenhohe zu stabilisieren, droht mit Militäraktionen in der Ägäis, wirft Griechenland vor Waffen in den umstrittenen Gewässern der beiden Lander einzusetzen und droht den europäischen Staats – und Regierungschefs unterstutzt durch die muslimisch und türkische Diaspora sämtliche EU Projekte zu boykottieren, sollten die türkischen politischen Forderungen nicht erfüllt werden. Erdogan baut eine Drohkulisse auf, um politischen Druck auszuüben und Starke zu symbolisieren. In Wirklichkeit steht er so sehr unter Druck wie noch nie zuvor in seiner politischen Laufbahn.
Ein politisches Schwergewichtsthema für Erdogan ist etwa die Aufstellung eines Diyanet Ablegers in Deutschland, welcher für die Ausbildung von islamischen Theologen verantwortlich sein soll. Zu diesem Zweck ernannte Erdogan bereits Verhandlungsführer auf der türkischen Seite, die mit der Umsetzung des Projekts betraut wurden. Auch die türkische Entwicklungs – und Kooperationsagentur (TIKA) und die YTB (Organisation für die Anliegen von Auslands- Türken) wurden seitens Ankara dazu aufgefordert die in Europa stark präsente Vorfeldorganisation UID (Union der Internationalen Demokraten) sowohl finanziell auch als logistisch in der Vorwahlkampfphase zu unterstutzen. Speziell die UID agiert als verlängerter politischer Arm Erdogans in Europa und ist für die Mobilisierung der türkischen und muslimischen Diaspora zur Erreichung politischer Ziele Ankaras verantwortlich.
Auch türkische religiöse Organisationen, die von Ankara aus finanziert werden, haben beste Verbindungen zur UID. Dazu zählt etwa „Türkiye Youth Foundation (TÜGVA)“, welche von der Erdogan Familie unterstutzt wird. Der Journalist Metin Cihan veröffentlichte im Januar 2022 Papiere, die Belegen, dass TÜGVA während ihrer Auslandsaktivitäten auf staatseigene Einrichtungen zurückgreifen kann. Es steht der Verdacht im Raum, dass TÜGVA in ausländische nachrichtendienstliche Operationen der Türkei involviert sein konnte.
Dabei lauft ein Großteil der Steuerung und Kommunikation über die Personennetzwerke der türkischen Religionsbehörde Diyanet. Imame, die seitens der Diyanet für ihre Auslandsverwendung entsandt werden, werden in türkischen Botschaften und Konsulaten als Attachés oder Konsuln eingegliedert und agieren dort als kommunikative Schnittstelle, was die Übermittlung von Anweisungen oder Nachrichten kommend aus Ankara betrifft. Ali Erbas, der Präsident der mächtigen Religionsbehörde und ein handerlesener Verbündeter Erdogans mit dem Auftrag ein großflächiges Netzwerk an Imamen und Moscheen, die durch ein großzügiges Budget seitens Ankara unterstutzt und gefordert werden, lädt regelmäßig zu einem Treffen der Religionsattachés und Konsuln nach Ankara ein. Im Rahmen dieser geschlossenen Gesellschaft erteilt Erbas den Repräsentanten der Religionsbehörde Auftrage enger und koordinierter mit anderen staatlichen Organisationen der Türkei zusammen zu arbeiten, um die von Ankara vorgegebenen Ziele bestmöglich erfüllen zu können. Zur Unterstreichung der Absichten Ankaras wurden am 02 Juni 2022 die Religionsattachés und Konsuln nach dem Meeting mit Erbas in den Präsidentenpalast zu einem Treffen mit Staatspräsident Erdogan selbst geladen. Seitens dem präsidialen Kommunikationsbüros wurden weder Informationen über das Treffen an die Presse weitergegeben, noch sind bis heute Gesprächsthemen dieser Zusammenkunft bekannt.
Unter der Führung Erdogans erlebte die Diyanet in den vergangenen zehn Jahren einen bedeutenden Wandel und entwickelte sich zu einem staatlichen Instrument, um die polarisierende und spaltende politisch islamistische Ideologie der Regierungspartei sowohl innerhalb als auch außerhalb von Türkei zu verbreiten. Diejenigen, die gegen die Politisierung der heiligen Organisation waren und sind, werden in großem Stiel aussortiert und durch glühende Anhänger ersetzt, die gewillt sind die Aufträge der Regierung in Ankara nach bestem Wissen und Gewissen umzusetzen. Ihr Handeln rechtfertigen diese Personen als religiöse Tätigkeit zum Wohle der Allgemeinheit.
Präsident Erdogan vertraut Diyanet, neben anderen Organisationen vor allem den Ausbau und die Sicherung seiner Umfragewerte innerhalb der türkischen und muslimischen Diaspora an. Türkische Moschee, Verbände und Stiftungen, die von der türkischen Regierung in anderen Ländern unterstützt und finanziert werden, spielen für die Türkei eine wichtige Rolle bei der Wählerregistrierung, als auch bei der Durchführung von Initiativen zur Wahlabgabe. Seit einigen wenigen Jahren werden diese staatlichen religiösen Strukturen seitens Ankara auch gezielt zur Erfassung von nachrichtendienstlichen Informationen und der Durchführung verdeckter Operationen herangezogen. Durch seine politische Rhetorik hofft Erdogan auch die Stimmen jener Menschen zu gewinnen, die mit der aktuellen Lage in den Ländern, in welchen sie leben, unzufrieden sind. Erdogan konzentriert sich bei seiner Kritik vor allem auf jene Lander, in welchen die Dichte an türkeistämmigen Personen besonders hoch ist.
Wie die angeführten Beispiele zeigen, verfügt Erdogan über ein breites Repertoire an Möglichkeiten und Varianten, um seine Ziele zu erreichen. Diyanet etwa ist für etwa 90.000 Moscheen zuständig und verfügte 2022 über ein Budget von 16.1 Milliarden TL (türkische Lira). Insgesamt sind bei der türkischen Religionsbehörde knapp 140.000 Personen beschäftigt, darunter auch Personen der Diaspora. Die türkische Stiftung für religiöse Angelegenheiten (Türkiye Diyanet Vakfi) wird zusätzlich mit einem jährlichen Budget von mehr als 1 Milliarde TL ausgestattet, um Investitionen und finanzielle Unterstutzungsleistungen für religiöse Programme und Projekte im Ausland bereitstellen zu können. Zuständig für die finanziellen Gebarungen innerhalb der Organisation ist der Leiter der türkischen Religionsbehörde, Ali Erbas.
Alleine in der Türkei gibt es mehr als 1003 verschiedene Zweigstellen der Stiftung, die weltweit in mehr als 149 Ländern tätig ist. Die Kernaufgabe der Stiftung liegt darin eine neue Generation an jungen Islamisten heranzuzüchten, die gewillt sind ihre volle Unterstützung gegenüber Erdogan, seiner Regierung und der islamistischen Ideologie anzubieten. Zu diesem Zweck widmet sich die Stiftung der Ausbildung und dem Training von Austauschstudenten aus dem Ausland.
Alles in allem wird Erdogans Regierung, durch ihre aggressive Außenpolitik, dem unterdrücken oppositioneller Gruppierungen in der Türkei, dem ausstatten und bewaffnen von türkischen Proxy – Einheiten oder terroristischen Organisationen im Ausland, der eminenten und allgegenwärtigen Androhung gegenüber Europa die Tore für neue Flüchtlingsbewegungen zu öffnen, sollten die Interessen der Türkei nicht entsprechend gewahrt bleiben, als eine Bedrohung nicht nur für die Sicherheit Europas, aber auch für Menschenrechte und das zwischenmenschliche Zusammenleben in einigen europäischen Ländern gesehen. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Art und Weise, wie Erdogan seine Politik durchsetzt nicht nur für seine Einflussgebiete außerhalb der Türkei, sondern auch für Europa eine reale und gegenwärtige Bedrohung darstellt.
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