Als der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz im März zum Antrittsbesuch in die Türkei reiste, um den türkischen Präsidenten zu bitten bei der russischen Invasion in der Ukraine stärker als Vermittler aufzutreten, wurde er bei der gemeinsam ausgerich-teten Pressekonferenz im Anschluss an die bilateralen Gespräche zwischen den beiden Regierungschefs überrumpelt und Teilnehmer berichteten, dass sogar das mittlerweile berühmte „Scholz-Lächeln“ im Gesicht des Bundeskanzlers für einen kurzen Moment einfror. Was war geschehen?
Überraschend, anscheinend ohne vorherige Absprache mit seinem Gegenüber aus Berlin, thematisierte der autokratische Herrscher am Bosporus die Ausbildung der Ditib-Imame, die unter Kontrolle der türkischen Behörden in den deutschen Moscheen ihren Dienst tun.
Erdogan präsentierte die Idee, wonach die islamischen Vorbeter in Zukunft an der Türkisch-Deutschen Universität (TDU) in Istanbul ausgebildet werden sollten, ei-nem Seminar, welches vor 14 Jahren als Kooperation zwischen Deutschland und der Türkei gegründet wurde und zumindest teilweise auch aus Mitteln der deutschen Bundesregierung gefördert wird. Für die Ausbildung der islamischen Theologen solle, so der türkische Präsident, nun auch eine Dependance in Deutschland eingerichtet werden.
Für die Ausgestaltung und Konkretisierung dieser Idee habe nun der türkische Präsident bereits zwei Verhandlungsführer benannt, auch Scholz habe zugesagt, „zwei Beauftragte zu benennen“, um „entsprechende Schritte“ vorzubereiten, berichtete Erdogan. Der Bundeskanzler ging auf diese Sichtweise nicht ein und ließ die Aussagen des Präsidenten unkommentiert.
Sollte sich nun dieser Plan Erdogans realisieren, hätte dies schwere Konse-quenzen für die Imam-Ausbildung in der Bundesrepublik, denn die Ditib-Moscheeverbände, die unter der absoluten Kontrolle des türkischen Staates stehen, haben seit Jahren Nachwuchsprobleme. Rund neunzig Prozent der islamischen Geistli-chen, die in Deutschland arbeiten, werden laut Schätzungen des deutschen Innenmi-nisteriums aus dem Ausland entsandt. Bei den türkischen Islam-Verbänden, die von der Ditib beaufsichtigt werden, ist es die Religionsbehörde Diyanet in Ankara. Eigent-lich wollte die deutsche Regierung diese Kontrolle beenden und fordert seit 2020 von Imamen den Nachweis von Deutschkenntnissen, was die Einreise erschwert. Zudem unterstützt sie in Deutschland angesiedelte theologische Ausbildungsgänge.
Seit letztem Jahr gibt es beispielsweise es vom Islamkolleg Deutschland (IKD) einen neuen Ausbildungslehrgang für Imame. Die Ausbildung erfolgt ausschließlich in deutscher Sprache erfolgen.
Finanziert wird das Projekt vom deutschen Innenministerium. Zu den Grün-dungsmitgliedern des Islamkollegs gehören islamische Theologen, muslimische Perso-nen des öffentlichen Lebens und Verbände wie der Zentralrat der Muslime in Deutsch-land und die Islamische Gemeinschaft der Bosniaken.
Der IKD-Vorsitzende unterstrich bei der Vorstellung 2020, dass die Lehrpläne der neuen Imam-Ausbildung unabhängig von jeglichem staatlichen Einfluss aus dem In- oder Ausland erstellt würden. Die Hauptintention dabei soll es sein, politische Pre-digten im Sinne der nationalistischen türkischen Regierungspolitik, Antisemitis-musskandale, Spionage, Militarismus mit einer solchen Aus- und Weiterbildung nach-haltig zu verhindern – all das, was viele mit den Gotteshäusern der großen türkischen Moscheeverbände verbinden.
Doch die Türkei ist nicht gewillt, ihren Einfluss auf die türkischen Muslime in Deutschland aufzugeben. Bereits vor zwei Jahren beschloss der türkische Präsident „par ordre du mufti“ die Gründung einer theologischen Fakultät an der TDU, ohne Konsultationen mit den deutschen Partnern.
Experten meinen dazu, dahinter stecke das Ziel der türkischen Regierung, das Monopol und den ideologischen Einfluss auf die Theologen und Imamen nicht zu ver-lieren.
Auf Nachfrage nach den jüngsten Äußerungen Erdogans zur theologischen Zu-kunft der TDU wollte man sich im deutschen Kanzleramt nicht äußern. Rechtlich fällt die Zuständigkeit in der deutschen Regierung in den Bereich des Bildungsministeri-ums. Zu „internem Regierungshandeln“ äußere man sich grundsätzlich nicht, so ein Sprecher der deutschen Regierung.
Beim Bundesministerium für Bildung und Forschung zeigt man sich überrascht über das präsidiale Dekret aus Ankara. Über die Gründung einer theologischen Fakul-tät könne allein durch die dafür zuständigen Gremien der TDU und gemeinsam von der deutschen und türkischen Seite beschlossen werden, sagt eine Sprecherin. Zustän-dig sei der paritätisch zusammengesetzte deutsch-türkische Lenkungsausschuss.
Die Regierung in Berlin scheint also von Erdogan überrumpelt worden zu sein. Erst seit dem Arbeitsbesuch von Kanzler Scholz in der Türkei sei der Bundesregierung bekannt, dass Erdogan und seine islamische AKP-Partei die Gründung einer Theologie-Fakultät an der TDU vorschwebt.
Dies scheint jedoch nach Recherchen deutscher Medien nicht der Wahrheit zu entsprechen. Bereits im Herbst letzten Jahres berichtete der stellvertretende Präsident der türkischen Religionsbehörde Diyanet gegenüber dem deutschen Innenministeri-um, dass die TDU Interesse an einer Kooperation mit der Religionsbehörde Diyanet habe. Dies könne „eventuell Teil des künftigen Ansatzes zur Imam-Ausbildung sein“, heißt es in einem Protokoll des Treffens, das von der Deutschen Botschaft in Ankara erstellt wurde und welches die deutsche Tageszeitung „WELT“ zitiert.
Also war die deutsche Seite informiert, hatte aber zu dem Zeitpunkt auch Vor-behalte gegen die Idee eines islamischen Theologiestudiengangs an der TDU. Bis 2020 investierte Deutschland fast 30 Millionen Euro in die TDU, ließ aber bislang öffentlich negative Schlagzeilen umkommentiert, die sich in der TDU ereigneten: homophobe und rassistische Äußerungen von Dozenten, Anzeigen gegen kritische Wissenschaftler, die gegen die Politik der AKP und Erdogan opponiert hatten.
Zur Zeit ist noch nicht klar, ob die deutsche Regierung eine Bildungseinrichtung weiterhin finanziell unterstützen will, bei der deutsche Gelder direkt in eine Institution fließen würden, die als Propaganda-Tool der nationalistischen Erdogan-Regierung fungiert: Ditib
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