Die türkischen Metropolen sind nicht nur Anziehungspunkt für Flüchtlinge aus der arabischen Region. Auch der Tourismus aus den Golf-Monarchien sowie den nordafrikanischen Ländern ist in den letzten Jahren ständig gestiegen. Allein in Istanbul besuchten mehr als 130.000 Saudis in einem Sommermonat dieses Jahr die Stadt am Bosporus. Auch die Küstenstädte am Schwarzen und dem Mittelmeer verbuchten dieses Jahr ein Besucherplus von 70 Prozent aus arabischen Ländern. Erst letzte Woche konnte der Autor auf den Flughäfen von Ankara und Istanbul beobachten, wie viele Pilger zur Hadj einen zwei- oder dreitägigen Zwischenstopp in der Türkei machten, bevor die Flugzeuge sie weiterbrachten zu den heiligen Stätten in Mekka und Medina.
Aber nicht alle in der Türkei scheinen glücklich mit diesem Besucherstrom zu sein. Es gibt mittlerweile Anzeichen dafür, dass viele Menschen die arabischen Besucher nicht in ihrem Land haben wollen. Ein 46 Jahre alter Kuwaiter wurde im September auf dem Hauptplatz der türkischen Küstenstadt Trabzon, wo er mit seiner Familie Urlaub machte, von einem Türken verprügelt. Die Videoaufnahme einer Augenzeugin dokumentierte den Angriff, zu hören sind die Schreie seiner Familie. Das Video ging im arabischen Netz viral, die wichtigsten Nachrichtenseiten berichteten darüber. Sofort versuchten Offizielle zu beschwichtigen, der Täter wurde schnell festgenommen, das Opfer bekam, kaum aus der Klinik entlassen, Besuch vom örtlichen Polizeichef. In einer Erklärung der Stadtverwaltung war die Rede von einem Missverständnis: Das Opfer habe mit einem anderen Touristen gestritten, der Täter habe daraufhin angenommen, dass die beiden sich gegen Polizisten gewehrt hätten. Wenige Tage nach diesem Vorfall kam eine weitere Schlagzeile in den arabischen Medien, eine Schlägerei in Istanbul. Verwickelt waren anscheinend Touristen aus Ägypten, die sich laut Medienberichten über eine falsche Restaurantrechnung beschwert haben, woraufhin die Lage eskaliert sei.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan, wissend um die Wirtschafts- und Finanzkrise in seinem Land, sucht eigentlich die Nähe zu den arabischen Herrscherhäusern. Bei seinen jüngsten Besuchen in den Herrscherhäusern am Golf bat er um deren Versprechen, verstärkt in die Türkei zu gehen mit Investitionen. Er will die Türkei als regionales Machtzentrum etablieren mit Istanbul als Drehkreuz für Handel und Tourismus. Dafür muss sein Land in alle Richtungen offen bleibt, nach Europa genauso wie in Richtung Nahost oder nach Russland.
Gleichzeitig, und da ist die türkische Politik mitverantwortlich, wächst der Nationalismus in der Türkei, angestachelt von den regierungsnahen nationalistischen Gruppierungen wie den „Grauen Wölfen“, oder aber der islamistischen „Milli Görüs“. Daneben hat für lange Zeit die extremistische Muslimbruderschaft in Erdoğan einen Unterstützer gefunden. Die jüngsten Äusserungen des türkischen Präsidenten zur Hamas, dem militärischen Arm der Muslimbruderschaft in den palästinensischen Gebieten, zeigt dies mehr als offen.
Der zunehmende Hass auf Geflüchtete aus Syrien, aus Afghanistan, aber auch auf jene Ausländer, die reich ins Land kommen und eben zum Beispiel den Immobilienmarkt verändern, wird immer stärker in Erdoğans Reich. So sind es nicht nur mehr die Flüchtlinge, die von der Politik, aber auch von Bürgern angegriffen werden, sie seien die Hauptverantwortlichen für die miserable wirtschaftliche Lage im Land. Mieten haben sich vervielfacht, einige Viertel in Städten wie Istanbul oder Ankara sind inzwischen nicht mehr billiger als in Metropolen Westeuropas. Es sind für viele Türken reiche Russen oder reiche Familien vom Golf, die mit ihren Immobilienkäufen die Preise in die Höhe schnellen lassen.
Wohin sich die Türkei orientieren soll, ist seit der Staatsgründung der Republik vor 100 Jahren eine mehr oder weniger unbeantwortete Frage. In diese Orientierungslosigkeit geraten nun auch die Gäste vom Golf sowie die im Land lebenden Araber. Für Millionen arabischer Gäste ist die Türkei noch immer ein friedliches Urlaubsland. Im türkischen Tourismus und in der Gastronomie sind sie dankbar, dass die Araber ihnen dieses Jahr Rekordzahlen bescheren – neben Russen und Europäern. Daneben aber sehen viele im Land die arabischen Gäste als schlechtes Omen. Dafür, dass die Türkei unter Erdoğan eben nicht mehr nur nach Westen schaut. Der Präsident wird aufpassen müssen, dass sich die Ressentiments im Nahen Osten nicht allzu sehr herumsprechen. Dies würde auch dem von ihm angestrebten Bild des Patriarchen aller Muslime auf der Welt Schaden zufügen.
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